Carte Blanche der Alexandra Maria Lara zu im Kino des DFF Frankfurt, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ah, interessant. Zwar reist die international renommierte Schauspielerin, die seit April 2022 auch Präsidentin der Deutschen Filmakademie, zusammen mit Regisseur Florian Gallenberger ist, am Samstag auch persönlich, zusammen mit ihrem Mann Sam Riley aus Berlin an, um die gesamte CARTE BLANCHE von zehn Filmen vorzustellen, aber zusätzlich ist jedem der Filme ihre Bemerkungen zum Film vorgeschaltet, sozusagen Begründungen, warum sie jeweils genau diesen Film ausgewählt hat.
Da hört man, daß sie von Coppola, der in Rumänien – ihrer Heimat, bevor ihren Eltern mit der Vierjährigen 1983 die Flucht nach Berlin gelang – gerade drehte, einen Brief erhielt, in dem er die Hauptrolle in seinem nächsten Film anbot. Hintergrund war, daß sie 2004 in DER UNTERGANG Hitlers Sekretärin Traudl Junge gespielt hatte, der ihr internationaler Durchbruch wurde. Sie hielt den Brief für einen Scherz, rief dann doch irgendwann wie erbeten zurück – und hatte die Rolle in JUGEND OHNE JUGEND, ein Film, der kein Publikumserfolg wurde, ihr aber wichtig ist.
So also der Zusammenhang mit Coppola und der ausgesuchte Film von ihm hat es in sich. Fast 50 Jahre alt, was man an manchen Szenen auch merkt, aber nicht an der Gesamtkonstruktion, der Geschichte, die, wie sie in der Vorbemerkung anspricht, auch heute spielen könnte, die extreme Angst von Überwachung, eigene Schuldgefühle und regelrechte, noch dazu extreme Paranoia.
Der Film, für den Coppola das Drehbuch schrieb, die Regie führte und auch die Produktion möglich machte, fängt sehr ungewöhnlich, daher spannend an. In Vogelperspektive sieht man einen großen Platz, es ist der Union Square in San Francisco, auf dem es rasant zugeht. Da gibt es einen Pantomimen und da sieht man einen Mann, der das Gegenteil anstrebt, nämlich nicht gesehen werden will. Kein Wunder, denn Harry Caul (Gene Hackman) arbeitet gerade als Überwachungsspezialist, steigt in seinen großen Wagen, wo man die Tonbänder sieht, auf denen gerade ein Gespräch eines Liebespaares, nimmt man an, mitgeschnitten wird: es sind Ann und Mark, die er im Auftrag des ‚Direktors‘ überwacht. Den Zusammenschnitt will er ihm bringen, aber sein Auftraggeber ist nicht zu sprechen. Auch am nächsten Tag nicht, als er in der Firma persönlich vorspricht und vom Assistenten Martin Stett (köstlich, den erst später bekannten...so jung und frech zu sehen) abgewimmelt wird. Beim Weggang sieht er auf einmal das überwachte Pärchen. Man selbst hält Ann für die Ehefrau des Chefs und die Geliebte des jungen Mitarbeiters. Aber ist das so? Oder weisen wir einfach die Rollen aus Erfahrung zu. Auf jeden Fall ist Harry tief verunsichert, denn als er eine undeutliche Passage bearbeitet, hört er ganz deutlich, daß der Chef sie umbringen würde, wenn er die Chance hätte. Jetzt befürchtet er, daß sein Mitschnitt die jungen Leute in Gefahr bringt. Auch die Beichte in der Kirche hilft ihm nicht, seine Gedanken rasen und seine Schuldgefühle machen ihn fertig. Da helfen auch Sex und Frauen nicht. Weder mit seiner Freundin läuft was, noch bedeutet ihm eine weitere Affäre etwas. Sein Thema ist die Überwachung und welche Schuld er auf sich lädt.
Inzwischen hat der Direktor die Bänder und will ihn bezahlen, aber will auch wissen, was den beiden droht. Stattdessen werfen sie ihn raus. Nun wird er aktiv, mietet ein Zimmer im selben Hotel, wo das junge Pärchen ihre Rendezvous haben und bringt dort Wanzen und ein Mikrophon an. Deutlich hört er auf einmal den Direktor mit Ann diskutieren, ja streiten und als er auf den Balkon tritt, wird seine Mordphantasie Wirklichkeit. Er ist so erschüttert,d aß er unter die Bettdecke flieht und Stunden dort verbringt. Als er sich heraustraut und in das überwachte Nebenzimmer geht, sieht alles normal aus, nicht nach Tod. Aber als er im picobello saubergemachten Bad die Toilettenspülung drückt, da kommt von unten eine Blutschwall, der über den Toilettenrand läuft, ins Zimmer hinein, echt unheimlich.
Harry hat nun die Gewißheit, daß der Direktor die junge Frau ermordet hat, eilt in dessen Firma, um Rechenschaft zu fordern, trifft aber verblüfft auf die lebende Ann und erfährt, daß der Direktor bei einem Autounfall verstorben ist. Na, so was. Er weiß sofort, daß dieser ermordet wurde und zwar vom Pärchen, das er unsinnigerweise für gefährdet hielt. Er kommt verstört nach Hause und spielt erst mal Jazzpartien auf seinem Saxophon. Ein Telefonanruf unterbricht, Martin Stett droht ihm vor Einmischungen zum Tod des Direktors und spielt ihm, die eben vom Publikum gehörte Saxophonpassage vor. Harry wird also abgehört! Was jetzt folgt, ist so konsequent, daß man mit offenem Mund zusieht. Er sucht Mikrophon, er sucht Wanzen uns zerlegt nach und nach die ganze Wohnung, läßt nur die lächerliche Marienstatue aus Plastik aus, zserr4eißt jedoch am Schluß auch diese, vergeblich. Er findet nichts. Aus.
Selbst ganz schön verstört verläßt man das Kino und erinnert sich, wie angstbesetzt seit dem Ölembargo die westliche Welt sich entwickelte, was nach Tschernobyl 1986 noch schlimmer wurde und gleichzeitig die persönliche Sphäre, die heute per Internet die meisten freiwillig offenlegen, abgeschottet wurde, Angst vor Strahlungen genauso wie Angst vor dem Eingriff ins persönliche Leben. Wer weiß heute noch die Hysterie um die Volkszählung im April 1983 in Westdeutschland, die tatsächlich dann nicht stattfand (erst 1987) mit einer interessanten juristischen Variante des Rechts „auf informationelle Selbstbestimmung. Ein weites Feld diese Gegensätze: Angst vor Überwachung einerseits und Freilegung der persönlichsten Dinge in den sozialen Medien andererseits.
Fotos:
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Info:
Die Filme laufen in Originalversion, dieser mit deutschen Untertiteln.
Gesehen am Samstag, 2. September
Dieser wird wiederholt am Samstag, 9.9. um 20.30 Uhr