Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) - Das war spannend, mehr und Detaillierteres über diesen Film zu hören, den wir bei seinem Kinostart 2018 als dringend notwendige Geschichtsnachhilfe empfanden. Frühe DDR, die man weder in der DDR, noch in Westdeutschland kannte. So war uns auch neu, daß der Film ursprünglich WARUM? hätte heißen sollen, was sehr sehr gut paßt, denn eigentlich ist es unverständlich, warum sich eine junge Republik mit alten Lügen abgibt und menschenvernichtend agiert. Und doch, drüben war der protzende, von den USA unterstützte Westen. Das entschuldigt nichts, erklärt aber vieles. Der dann genommene Titel entstammt der DDR-Nationalhymne, die Johannes R. Becher gedichtet und zu der Hanns Eisler die Musik komponiert hatte.
Auferstanden aus Ruinen
und der Zukunft zugewandt,
laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
und wir zwingen sie vereint,
denn es muß uns doch gelingen,
daß die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.
Überfällig ist solch ein Film, der glaubwürdig die Tragik derer vermittelt, die in der DDR lebend an den Sozialismus/Kommunismus geglaubt haben und ihr Leben lang trotz großer persönliche Einbußen und Nachteile, für die Idee einer gerechteren Welt und deren Verwirklichung in UdSSR und DDR lebten.
Eine solche Person ist Antonia Berger (Alexandra Maria Lara). Erst bei ihrem im Film dargestellten Leben, das auf wahren Begebenheiten beruht, merkt man wieder einmal, wie lächerlich die allermeisten Filme über die DDR sind, die einzig einen Überwachungsstaat und dummdreiste Stasibeamte zeigen. Die Wirklichkeit der DDR war so vielschichtig wie auch ihre Theorie. Antonia Berger geht es ums Ganze und sie hat seit ihrer Geburt das Ihre für eine bessere Welt schon geleistet. In einem Straflager in Sibirien, wohin sie, die 1938 mit ihrem Mann als überzeugte Kommunisten vor den Nazis in das Land der Hoffnung, die UdSSR aufgebrochen waren, schuldlos – wie so viele – in einer Strafkolonie 10 Jahre Schwerstarbeit verrichten mußte und dort ihre Tochter zur Welt brachte, ist ihr Ehemann aus nichtigen Gründen erschossen worden. Der nichtige Grund war das Geburtstagsgeschenk, das der Vater heimlich seiner Tochter zustecken wollte und verbotener Weise den Drahtzaun, der Männlein von den Weiblein trennt, überkletterte.
Antonia wird nach Hin- und Herabkommen zwischen der UdSSR und ihrem Satelliten DDR zusammen mit zwei weiteren Frauen, die ebenfalls aus dem Straflager kommen, 1952 in die DDR abgeschoben und dort gerne aufgenommen. Dies verdankt sich den jungen SEDlern, die unter dem Gesichtspunkt der Humanität und einer sozialistischen Zukunft sich um die Verbrechen, die sie unglückliche Vorfälle nennen, gekümmert haben und die schuldlos Bestraften in ihr Vaterland zurückholen und ihnen in der DDR eine Heimat bieten wollen.
Zu viert kommen Antonia mit ihrer lungenkranken Tochter Lydia, Susanne Schumann (Barbara Schnitzler) und Irma Seibert (Karoline Eichhorn) ins kleine Fürstenberg, wie die Stadt benannt wird, die in der DDR als Eisenhüttenstadt eine wichtige Zukunftsfunktion hatte. Wie sich die Ärzte in der Polyklinik schnell um ihre Tochter kümmern, gehört zu den Dingen, die Antonia für immer dankbar diesem neuen Deutschland gegenüber sein läßt. Und hinter Systemen stecken ja Menschen, hier ist es der Arzt, Doktor Konrad Zeidler (Robert Stadelober), der wie später viele weitere Antonia zeigen, daß sie in einem Land lebt, wo es um die Menschen geht, denen geholfen wird: mit einer Wohnung, mit Arbeit, mit Bildung.
Antonia, an deren Geschichte sich der Film orientiert, die durch die vielen einzelnen Ereignisse umfangreich erzählt wird, weshalb wir den Verlauf im vorigen Artikel wiedergaben, wird nach und nach desillusioniert, was den Stand des Sozialismus in der DDR angeht. Gleichzeitig sieht sie die Aufbauleistungen und auch die Wärme dieses Landes, das als Anhängsel der großen Sowjetunion von dieser abhängig bleibt. Das zeigte sich in der Verdrängungsleistung, zu der sie unter dem maßgeblichen Einfluß des Leo Silberstein (Stefan Kurt), der für die Partei die Dinge in Fürstenberg regelt, gezwungen war. Alle drei Frauen mußten nach ihrer Ankunft in der DDR versprechen, daß sie über die unmenschlichen Verhältnisse im Straflager der UdSSR schweigen. Der Grund war klar und Antonia mehr als den beiden anderen sogar verständlich. Die große Sowjetunion, der Befreier und Garant der DDR sollte nicht als Unrechtsstaat erkannt und bezeichnet werden. Daß damit ihre persönliche Lebensgeschichte als quasi ungeschehen für die Umwelt erscheinen muß, zieht ja nach sich, daß man selber diese Interpretation übernehmen muß,will man nicht ständig an seiner Lebenslüge ersticken.
Woran die DDR krankt, erkennt Antonia am deutlichsten, als ihre Arbeit als Leiterin des Hauses des Volkes desavouiert wird, ausgerechnet an der von ihr nicht beabsichtigen und perversen Deutung eines traditionellen Stückes, das sie mit den Kindern aufführen wollte. Doch immer noch hat sie Hoffnung, daß dies zu den Kinderkrankheiten eines Systems gehört, daß Chancen braucht, um sich entwickeln zu können.
Sie ist die glaubwürdige Vertreterin einer Haltung, die trotz der persönlichen und politischen Enttäuschungen in einer sozialistischen DDR an diese als Alternative zum Kapitalismus glauben und im Ende der DDR auch den Ausverkauf des gesellschaftlichen Eigentums sehen. Sie ist eine, die bleibt und mit den Widersprüchen lebt.
Dieser Film ist so ernsthaft, daß er kaum in die heutige Spaßgesellschaft paßt, denn er ist ehrlich und meint Ehrliches. Er läßt gesellschaftliche Widersprüche auf der Leinwand lebendig werden und sucht nicht Ausflucht in einer Konsumgesellschaft, die nicht mehr nachfragt, was der Nächste macht.
Dieser Film wurde im Gespräch davor sehr ausführlich gewürdigt.
Fotos:
© Verleih und Redaktion
Info:
Besetzung
Antonia Berger . Alexandra Maria Lara
Konrad Zeidler . Robert Stadlober
Leo Silberstein . Stefan Kurt
Susanne Schumann . Barbara Schnitzler
Irma Seibert . Karoline Eichhorn
Lydia Berger . Carlotta von Falkenhayn
Gerhard Berger . Stefan Lochau
Hanna Sydow . Jenny Langner
Wilhelm Pieck . Peer Jäger
Arthur Pieck . Alexander Khuon
Küppers . Branko Samarovski
Waltraut Kessler . Swetlana Schönfeld
Waltrauts Mann . Jochen Nickel
Friedrich Zeidler . Hark Bohm
Vernehmer . Peter Kurth
Alois Hoecker . Jürgen Tarrach
Werner Schuck . Bernd Stegemann
Hinter der Kamera
Buch & Regie . Bernd Böhlich
Kamera . Thomas Plenert
Szenenbild . Eduard Krajewski
Wiedergesehen am 2. September, wobei auffällig ist, daß sich der Gesamteindruck gleich bleibt, soll heißen, die gleiche Erschütterung und Trauer über historische Prozesse, die falsch liefen, statt sinnvoll für die Menschen
Erstaunlich übrigens, daß beide Filme: Happy New Year und dieser im selben Jahr entstanden, weil man mit Alexandra Maria Lara zwei so gegensätzliche Typen sieht: einmal eine junge, intelligente, lebenslustige junge Frau, ein andermal eine tragische Figur, die glaubwürdig ihr Leben, ihr innere Emigration, ihr Festhalten an Geglaubtem und ihre Verbitterung zeitlos spürt.