TV-Premiere am Mittwoch, 27. September 2023 im Rahmen von DOX - Der Dokumentarfilm im BR
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Regisseur und Drehbuchautor Jan Haft lässt in dem Dokumentarfilm "Heimat Natur" die Zuschauer in sieben Kapiteln an einer bildgewaltigen Reise durch die Natur Deutschlands von Süd nach Nord teilnehmen - von den Alpen bis an die Küsten von Nord- und Ostsee. In diesem Gebiet leben etwa 70000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten. Jan Haft möchte dabei zeigen, wie der Zustand der Natur jetzt gerade ist, wo sich etwas gebessert und was sich verschlechtert hat.
1. Die Alpen
Jan Haft beginnt seinen filmischen Streifzug in den Alpen, die als junges Gebirge immer noch wachsen, aber durch Erosion auch abgetragen werden.
Er zeigt, dass die Erwärmung nicht nur die Gletscher schmelzen lässt und Steinschläge hervorrufen kann, sondern auch dass sich Tiere und Pflanzen, die an die Kälte angepasst sind (wie der Alpensalamander), sich immer höher im Gebirge ansiedeln müssen.
Es gibt allerdings auch Erfolgsgeschichten wie die Wiederansiedlung der Bartgeier (von Österreich aus) oder die Zunahme der Steinböcke. Beides sind Tierarten, die vom Menschen bereits ausgerottet worden waren.
Aber auch bei den Insekten gibt es Arten, die an spezielle Pflanzen angepasst sind, z.B. die Eisenhut-Höckereule, ein Schmetterling, dessen Raupen sich von den Blättern des weißen Eisenhuts ernähren. Da die Pflanze hochgiftig ist, wird sie von den grasenden Rindern gemieden.
2. Der Wald
Etwa 1/3 Deutschlands ist von Wald bedeckt. Auch hier kehren seltene Arten wie der Schwarzstorch oder auch Braunbären (im Süden) wieder in ihre angestammten Biotope zurück.
Inzwischen ist es in manchen Gebieten (wie z.B. im Schwarzwald) wieder üblich, Rinder im Wald grasen zu lassen. Dadurch halten sie Flächen offen, in denen sich Kräuter und Sträucher ansiedeln können, was der Artenvielfalt dient.
In den großflächigen Fichten-Monokulturen sind in den letzten Jahren große Schäden durch die trockenen Sommer und dem damit verbundenen Holzbock-Befall entstanden. Allerdings bedeutet der massenhafte Befall zwar einen Schaden für die Holzwirtschaft, aber es treten auch massenweise Fressfeinde der Bockkäfer wie Vögel, Amphibien, Insekten, Spinnen etc. auf.
Leider sind auch viele der Pilze im Wald verschwunden. Deren Myzel ist nicht nur essentiell für ihre Kooperation mit den Waldbäumen, sondern sie sind auch notwendig für die Zersetzung des pflanzlichen Abfalls im Wald.
3. Das Moor
Typisch für ein Moor ist, dass dort ein gravierender Nährstoffmangel herrscht, der sich vor allem beim Stickstoff bemerkbar macht, den die Pflanzen aber zum Aufbau von Proteinen benötigen. Moore wachsen sehr langsam - nur 1 Meter in 1000 Jahren. In Deutschland sind nur noch etwa 0,5% der Landfläche Moore.
Vor allem wegen des Torfabbaus sind die Moore in den letzten Jahrhunderten beinahe ganz verschwunden.
Einige Pflanzen - wie das Knabenkraut, eine Orchideenart - verzichten aus Sparsamkeit auf Nektar, so dass ihre Pflanzen zwar von Hummeln angeflogen und dadurch bestäubt werden, die Orchidee aber für die Insekten keinen Nährwert haben.
Jan Haft zeigt weiterhin am Beispiel des Sonnentaus, wie Pflanzen mit dem geringen Stickstoffgehalt des Bodens umgehen können: Sie fangen Insekten, Spinnen und andere Kleinsttiere, um damit ihren Stickstoffbedarf zu decken. Allerdings klauen Moorameisen dem Sonnentau etwa 2/3 der gefangenen Insekten, da die Ameisen nicht an den mit klebrigen Sekreten besetzten Tentakeln der Pflanze hängen bleiben.
Am Beispiel des Hochmoor-Gelblings, eine Schmetterlingsart deren Raupen sich von den Blättern der Rauschbeeren ernähren, konnte gezeigt werden, dass zu viel Luftstickstoff (z.B. aus der Landwirtschaft), der sich auf dem Blättern der Pflanzen absetzt, die Raupen abtötet.
In einigen Gegenden Deutschlands werden inzwischen ehemalige Moorgebiete wieder renaturiert. Dabei hilft auch der wieder angesiedelte Biber, der durch seinen Nestbau die Landschaft mit gestaltet.
4. Der Acker
Im Gegensatz zu den Pflanzen im Moor haben diejenigen, die sich rund um Äcker ansiedeln, kein Problem mit der Überdüngung durch Stickstoff. Zwischen den Ackerpflanzen können sich bis zu 300 verschiedene Arten von Tieren und Pflanzen ansiedeln. Darunter sind viele Wildkräuter und Wildblumen, wie der Klatschmohn, das Adonisröschen, der Venusspiegel oder die nachtblühenden Zaunwinde oder Nelken, deren Nektar wiederum Nachtschmetterlingen als Nahrung dienen und die dadurch bestäubt werden.
In naturnah angebauten Getreidefeldern können auch Feldhamster, Wachteln oder Rebhühner (über-)leben. Der Feldrain ist ein wichtiges Biotop für Sandwespen (die ihre Brut mit Insektenlarven füttern) oder die Mohn-Mauerbiene, die den Aushub ihrer Brutröhre sorgfältig weit im Umkreis von etwa einem Meter verteilt.
Leider werden diese Rückzugsgebiete durch die industrielle Landwirtschaft zerstört, vor allem weil in der EU die Großbauern finanziell immer noch bevorzugt werden, da die Gelder immer noch nach der Größe der Anbaugebiete verteilt werden. Dadurch gehen 80% der EU-Gelder an die Agrarindustrie und nicht an die nachhaltig wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betriebe.
5. Die Heide
Jan Haft und das Kamerateam haben vor allem in Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide und der Kyritz Ruppiner Heide in Brandenburg gefilmt. Obwohl die Heidelandschaften durch den Mensch entstanden sind, sind nur etwa 0,2% der Fläche Deutschlands Heide, die sich durch magere, sandige Böden, geringen Bewuchs und Trockenheit auszeichnet.
Die offene Landschaft der Heide wird durch das Grasen von Großtieren wie Wisenten, Rindern, Pferden aber auch Schafen und Ziegen erreicht. Es entsteht eine artenreiche Landschaft, in der sich gerade als seltene Kostbarkeit die Smaragdeidechse wieder ansiedelt. Aber auch viele Insekten wie Hornissenfliegen, Sandwespen, Ameisenlöwen und Heuschrecken findet man dort. Wichtig sind auch die Mistkäfer, die den Dung der Pflanzen fressenden Großtiere für ihre Nachkommen benötigen. Inzwischen konnte man nicht nur in den Heidelandschaften in Brandenburg wieder Wölfe beobachten.
6. Das Meer
Die deutsche Nord- und Ostseeküste vermittelt nicht nur Heimatgefühl oder ist als Urlaubsziel interessant.
In der Ostsee ist z.B. der Blasentang ein wichtiger Lebensraum, der nicht nur zusammen mit anderen Algen Photosynthese betreibt, sondern in den Seegraswiesen können sich auch viele Fische und andere Lebewesen verstecken, wie z.B. die Schlangennadel - ein Verwandter der Seepferdchen, bei dem das Männchen die Eier ausbrütet.
Allerdings nimmt die Erwärmung der Ostsee zu, dadurch steigt auch der Nährstoffreichtum. Dies führt nicht nur dazu, dass Süßwasserfische einwandern, sondern auch verschiedene Quallenarten - wie Rippen- und Ohrenquallen, die teilweise mit Schiffen eingeschleppt wurden - vermehren sich zu stark.
Das Wattenmeer der Nordsee gehört zu den produktivsten Lebensräumen der Erde. Es ist Heimat aber auch Rastgebiet vieler Vogelarten, die ganz unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten haben.
Positiv kann vermerkt werden, dass in den letzten Jahren einige Säugetierarten zurückgekehrt sind - wie die Kegelrobbe, von der es jetzt wieder etwa 8000 Tiere an der Nordsee gibt. Dies ist auch möglich, weil sich die lange überfischten Heringsschwärme wieder erholen konnten, denn eine einzelne Robbe benötigt täglich etwa 10 kg Fisch.
7. Der Stickstoff
Durch die Erwärmung z.B. von Nord- und Ostsee wird das Wasser nährstoffreicher. Außerdem werden jährlich etwa 200000 Tonnen Stickstoff eingetragen. Das führt dazu, dass das Wasser überdüngt ist. Durch das sich stark vermehrende Plankton wird es trüber, was wiederum zum Absterben von Braunalgen und anderen Wasserpflanzen führt, wodurch dann der Sauerstoffgehalt sinkt.
Pflanzen brauchen zwar Stickstoff für den Proteinaufbau. Durch den übermäßigen Eintrag von Ammoniak (aus der Tierhaltung) und Stickoxiden (durch den Verkehr) wachsen die Pflanzen zu schnell, was zu einer Überdüngung von Boden und Wasser führt.
Wichtig ist deshalb, darüber nachzudenken, inwieweit Wachstum und eine andersartige und regionale Landwirtschaft notwendig und sinnvoll sind. Die Wiederherstellung von naturnahen Gebieten sollte deshalb eine wichtige Aufgabe der Politik sein.
"Heimat Natur" ist der neue Film des bekannten Dokumentarfilmers Jan Haft, der durch Naturfilme wie "Mythos Wald" (2009), "Das Kornfeld - Dschungel für einen Sommer" (2010), "Magie der Moore" (2016), "Wildbienen und Schmetterlinge" (2017), "Die Welt der Adler" (2017) oder "Die Wiese - Ein Paradies nebenan" (2019) bekannt wurde und der als einer der besten Naturfilmer der Welt gilt. Die Dokumentation wurde u.a. von der Heinz Sielmann Stiftung gefördert, da "Jan Hafts Filme bildgewaltige Naturaufnahmen auf die Kinoleinwand oder ins Wohnzimmer bringen."
Der Naturfilm wurde von 3 - 4 Teams parallel in den Jahren 2019 und 2020 an mindestens 20 verschiedenen Orten in Deutschland - von der Zugspitze, über den Naturpark Bayerischer Wald, der Schwäbischen Alb, der Bayerischen und Thüringer Rhön, der Lüneburger Heide oder der Döberitzer Heide bis nach Rügen und Sankt Peter-Ording - gedreht. Als Sprecher konnte Benno Fürmann gewonnen werden.
Im Dokumentarfilm wurden eine unendliche Vielzahl von Beispielen von Lebensräumen, Tieren und Pflanzen gezeigt, so dass in dieser Rezension nur ein kleiner Teil davon genannt werden konnte. die vielen verschiedenen Inhalte und Beispiele machen den Film an einigen Stellen zwar interessant aber doch leider auch etwas unübersichtlich.
In allen seinen Filmen versucht Jan Haft den Zuschauern nicht nur die Schönheit der heimischen Natur nahe zu bringen, sondern auch ein tieferes Verständnis für die unterschiedlichen Lebensräume, die Vielfalt von Flora und Fauna und den Zustand unserer Umwelt zu vermitteln. Wichtig ist dabei das Wechselspiel innerhalb der Natur, in das der Mensch immer wieder eingreift, mal bewusst, mal unbewusst - mal zum Nachteil, mal zum Vorteil des gezeigten Lebensraumes.
Insgesamt stellt der Dokumentarfilm die unterschiedlichsten Naturlandschaften Deutschlands von den Alpen bis zum Meer vor. Dabei sind wunderschöne Bilder entstanden, allerdings wird der Film durch die vielen Beispiele manchmal etwas unübersichtlich. Trotz der leisen Kritik ist "Heimat Natur" eine wunderschöne Liebeserklärung an unsere heimischen Lebensräume und an das Miteinander von Mensch und Natur. Die Dokumentation entlässt trotz aller Kritik den Zuschauer mit bezaubernden und überraschenden Ansichten von der eigenen Umwelt und mit der Erkenntnis, dass es nicht zu spät ist, unsere Natur zu bewahren und wiederherzustellen. Es lohnt auf jeden Fall, sich die Naturdokumentation auch zu Hause im Fernsehen anzusehen.
Zusatz: Parallel zum Film hat Regisseur und Drehbuchautor Jan Haft auch das Buch "Heimat Natur - Eine Entdeckungsreise durch unsere schönsten Lebensräume von den Alpen bis zur See" herausgebracht. Es ist 2021 beim Penguin Verlag erschienen.
Foto 1: Gerstenfeld mit Klatschmohn und Kornblumen, Schwäbische Alb, Baden-Württemberg © BR / nautilusfilm GmbH
Foto 2: Heideblüte bei Sonnenuntergang in der Lüneburger Heide, Niedersachsen © BR / nautilusfilm GmbH
Foto 3: Sonnenuntergang am Strand von Prerow, Darß, Mecklenburg-Vorpommern © BR / nautilusfilm GmbH
Info:
Heimat Natur (Deutschland 2021)
Genre: Dokumentation, Natur und Umwelt, Deutschland
Filmlänge: ca. 96 Min.
Regie und Drehbuch: Jan Haft
Deutscher Sprecher: Benno Fürmann
FSK: ab 0 Jahren
Erstausstrahlung der BR/ARTE-Koproduktion "Heimat Natur" im BR Fernsehen am Mittwoch, 27. September 2023 um 22.45 Uhr. Nach der Ausstrahlung ist die Dokumentation bis zum 28. Oktober 2023 in der ARD Mediathek abrufbar.