Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. September 2023, Teil 6
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Mit DIE MITTAGSFRAU legte Schriftstellerin Julia Franck 2007 ihren vierten Roman vor. Bis heute ist es ihr erfolgreichster – in 40 Sprachen übersetzt und über eine Million Mal verkauft. Im Veröffentlichungsjahr wurde die beim S. Fischer Verlag publizierte Geschichte einer jungen Frau in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die nach einem von extremen Härten geprägten Leben ihren siebenjährigen Sohn Peter im Nachkriegschaos auf einem Bahnhof zurücklässt, mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.
In der englischen Übersetzung von Anthea Bell schaffte es das Werk im Jahr 2010 auf die Short List des von der Zeitschrift Jewish Quarterly vergebenen Wingate Literary Prize und auf die Short List des von der britischen Tageszeitung The Independent gegründeten Independent Foreign Fiction Prize, sowie auf die Long List beim International IMPAC Dublin Literary Award.
An der Verfilmung des Bestsellers wurde viele Jahre gearbeitet. Sie ist ein Herzensprojekt der österreichischen Filmemacherin Barbara Albert, die für ihr Oeuvre bereits mit zahlreichen Preisen bedacht wurde. Zuletzt lief ihr Historiendrama LICHT aus dem Jahr 2017 – ebenfalls eine Romanverfilmung – auf zahlreichen bedeutenden Festivals, in Toronto, San Sebastián, Sarajevo sowie Hamburg, und gewann beim Österreichischen Filmpreis in fünf Kategorien.
Neben Barbara Albert war von Anfang an auch Drehbuchautorin Meike Hauck an Bord, die wie Julia Franck als Autorin beim S. Fischer Verlag ihre Heimat hat. Sie nahm sich der anspruchsvollen Adaption der in verschiedenen Zeitebenen und über eine lange Periode – von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre – erzählten Lebensgeschichte von Helene Würsich mit dem Segen von Julia Franck an. Albert und Hauck kannten sich von der gemeinsamen Lehrtätigkeit an der Filmuniversität Babelsberg. Auf der Suche nach einer geeigneten Produktionsfirma nahm das Frauentrio 2014 Kontakt mit der Schweizer Produzentin Anne Walser von C-Films auf. Das in Zürich ansässige Unternehmen zählt zu den größten Produktionshäusern der Schweiz, profilierte sich in der Vergangenheit mit Kinofilmen wie AZZURRO, MEIN NAME IST EUGEN, GROUNDING oder DER GOALIE BIN IG, die alle mit dem Schweizer Filmpreis als bester Spielfilm ausgezeichnet wurden, beteiligte sich auch an renommierten internationalen Projekten wie Bille Augusts NACHTZUG NACH LISSABON und Paolo Sorrentinos YOUTH, und feierte mit ZWINGLI, PLATZSPITZBABY oder DER VERDINGBUB mitunter die größten Boxoffice-Erfolge der Schweizer Kinogeschichte.
Anne Walser erinnert sich: „Normalerweise habe ich immer die Ideen. Aber out of the blue erhielt ich einen Anruf vom Fischer Verlag mit der Frage, ob ich Interesse daran hätte, den Roman von Julia Franck zu verfilmen. Offenbar waren vor mir auch schon andere Produzenten involviert, aber es fehlte immer die entscheidende gemeinsame Vision. Der Fischer Verlag meinte, ich sei die perfekte Person, vielleicht auch, weil ich eine jüngere Frau bin.“ Den Roman kannte Anne Walser zum Zeitpunkt des Angebots nicht. „Die Vorstellung, dass eine Schweizer Produzentin mit einer österreichischen Filmemacherin einen deutschen Roman auf die Kinoleinwand bringt, war etwas ungewöhnlich. Das könnte in der Entwicklungsfinanzierung schwierig werden, dachte ich mir.“ Doch nach dem Telefonat mit dem S. Fischer Verlag las Walser das Buch und war sofort Feuer und Flamme. „Sag niemals nie!“, so Walser. Sie fuhr nach Berlin, um sich mit Barbara Albert, Julia Franck und Meike Hauck zu treffen. „Es war eine sehr schöne Frauenrunde. Nach dem Termin war uns klar, dass wir das gemeinsam anpacken
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wollen.“ Obwohl das Vorhaben aufgrund der Nationalitäten knifflig war, schob die Produzentin die Entwicklung an. „Wir konnten in der Schweiz keine Entwicklungsförderung beantragen, weil keiner der Kreativen schweizerisch war. Somit haben wir mit C-Films auf eigenes Risiko losgelegt. Zum Glück, kann ich nur sagen!“
Anne Walser war fasziniert von Julia Francks Protagonistin Helene, eine komplexe Frauenfigur, wie es sie nur sehr selten gibt. „Ich finde, dass das Thema Muttersein oder Geborensein zum Muttersein hochaktuell ist. Das hat mich am meisten bei der Verfilmung gereizt“, so Walser. Zudem wollte sie schon immer gerne mit Barbara Albert zusammenarbeiten, deren Talent sie sehr schätzt und deren bisherige filmische Arbeiten sie bewundert. „Ich hatte große Lust, mit Barbara diesen Stoff mutig umzusetzen.“ Dass sich die Entwicklung über mehrere Jahre hinziehen würde, hätte Walser jedoch nicht gedacht.
Anne Walsers langjährige Erfahrung sagte ihr auch, dass eine historische Verfilmung in dieser Größenordnung originär aus dem kleinen Filmland Schweiz heraus zu produzieren und zu finanzieren eine schwierige bis unmögliche Aufgabe darstellte. Ein starker Partner aus Deutschland wäre die Lösung. Im Lauf der Entwicklungsphase kamen Walser die Münchner Produzenten Oliver Schündler und Boris Ausserer von Lucky Bird Pictures in den Sinn, mit denen sie ursprünglich zu einem anderen Projekt in Kontakt stand. Schündler und Ausserer feierten zudem 2015 mit ELSER – ER HÄTTE DIE WELT VERÄNDERT, einem historischen Stoff, der zum Teil in der gleichen Zeit wie DIE MITTAGSFRAU spielt, einen großen Erfolg und wurden u.a. mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet.
Oliver Schündler erinnert sich: „Wir hatten großes Interesse an DIE MITTAGSFRAU und an der Zusammenarbeit mit dem Kreativteam um Barbara Albert und Anne Walser. Wenn Deutschland das Land werden sollte, das das meiste Geld beisteuert, würde Lucky Bird aber auch die Federführung und das Herstellungsrisiko übernehmen müssen.“ Entsprechend erhielten die Münchner Kollegen die majoritäre Produktionsaufgabe, C-Films blieb als minoritärer Koproduktionspartner an Bord. „Wir waren damit die ersten Männer, die zu diesem von Frauen getragenen Projekt stießen“, stellt Schündler fest.
Die Zusammenarbeit mit Lucky Bird Pictures hat Anne Walser sehr positiv erlebt: „Oliver und Boris sind hochprofessionelle Filmproduzenten. Oliver hat sehr viel zur weiteren Buchentwicklung beigetragen, weil er einen völlig frischen Blick mitbrachte. Wir anderen waren doch schon ein paar Jährchen unterwegs, als Lucky Bird einstieg. Und manchmal verliert man ein bisschen die Kraft. Oliver ist sehr kritisch, aber sehr positiv eingestiegen und hatte gute Ideen. Nicht nur hinsichtlich der weiteren Ausarbeitung des Männerbilds in DIE MITTAGSFRAU war es gut, ihn an Bord geholt zu haben.“
Fotos:
©Wild Bunch Germany
Info;
„Die Mittagsfrau“ D 2023, 137 Minuten, Filmstart 28. 9. 2023
Regie Barbara Albert mit Mala Emde, Liliane Amuat , Max von der Groeben, Thomas Prenn u.a.
Abdruck aus dem Presseheft