Austria forumSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. September 2023, Teil 5

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - 
Wie sind Sie auf DIE MITTAGSFRAU aufmerksam geworden? Was macht das Buch besonders? Warum eignet es sich für eine filmische Adaption?


Aufmerksam gemacht hat mich Drehbuchautorin Meike Hauck, die ich von der gemeinsamen Dozentinnen-Arbeit an der Filmuniversität Babelsberg kenne. Sie schwärmte von dem Roman und erzählte mir, dass sie den Bestseller von Julia Franck gerne adaptieren würde. Ich habe ihn daraufhin auch gelesen und war ebenso begeistert. So hat sich unsere Zusammenarbeit ergeben. Was mich fasziniert hat an DIE MITTAGSFRAU war, dass es ein sehr visuell geschriebener Roman ist. Er hat viele Momente, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Auch die unterschiedliche Sexualität zwischen Helene und den beiden Männern Karl und Wilhelm fand ich spannend. Die Geschichte bildet überhaupt alle Grade von Liebe und Sexualität in Beziehungen ab, alle Abstufungen – das ist wahnsinnig genau beobachtet.

Er erzählt vor allem eine hochkomplexe Frauenfigur...

Absolut! Eine Frauenfigur, die sich selbst in ihrer Identität verleugnet, deren Identität verschwindet, weil sie nicht die sein kann, die sie ist. Die sich negiert, sich aufgibt. Was auch aufgrund der politischen Situation erzwungen wird. Die Frage nach der Identität, die eine übertragbare ist, ist stark vorhanden. Der Roman handelt nicht nur von einer Frau, sondern auch von ihrem Körper. Von Frauenkörpern und Sexualität. Und dann natürlich von Mutterschaft. Das Thema Mutterschaft beschäftigt jede Frau. Als ich das Buch gelesen habe, war mein Sohn gerade sechs Jahre alt, so alt wie Peter in der Geschichte, als Helene/Alice so sehr hadert mit ihrer Liebe oder Nicht-Liebe zu diesem Sohn. Liebt sie dieses Kind, das sie als Alice, in der Identität, die sie eigentlich nicht ist, bekommen hat? Wie sehr kann sie dieses Kind annehmen oder nicht? Das sind große Fragen. Ich bin dankbar, dass ich einen Stoff inszenieren durfte, der sich so sehr mit Hoffnung und Zerstörung durch die Augen und den Körper einer Frau auseinandersetzt, wo es um alles geht, was einen Frauenkörper betrifft: um Sexualität, Schwangerschaft, nicht gewollte Schwangerschaft, um Homoerotik, Mutterschaft, Geburt und letztlich auch um Gewalt.

Und um Krieg.

Das ist das andere riesige Thema, das leider bei uns im Moment sehr akut ist. Auch darum sollte der Film sehr heutig, modern werden. Auch das Arbeiten daran hatte etwas sehr Aktuelles für mich. Der Film spielt zwar in einer vergangenen Zeit, schaut aber nicht nur in diese Vergangenheit und zeigt, wie es damals war. Für mich behandelt er sehr gegenwärtige Themen. Wir sind von der Geschichte eingeholt worden. Als Meike und ich circa 2014 mit dem Schreiben begonnen haben, ich mich der Vorbereitung zuwandte, war uns nicht klar, dass all diese Themen immer noch so virulent sind, Jahre später!

Sie arbeiten seit fast zehn Jahren an dem Film, haben zwischenzeitlich immer wieder auch andere Projekte in Angriff genommen. Warum hat es so lange gedauert?

Nachdem Meike Hauck mich gefragt hatte, ob ich mir die Inszenierung vorstellen könnte, habe ich Julia Franck kontaktiert. Als Triumvirat sind wir losgezogen, um eine geeignete Produktionsfirma zu finden. Ich habe sehr viele Produzent:innen abgeklappert. Aber nichts wollte sich ergeben. Es waren damals definitiv auch noch andere Zeiten. Keiner hat darauf gewartet, dass drei Frauen anklopfen und ihre Idee unterbreiten, eine Frauenfigur erzählen zu wollen. Bis wir auf Anne Walser von der Schweizer C-Films stießen. Anne ist sofort darauf angesprungen. Sie hat das Projekt mit extremer Geduld, Ausdauer und Energie vorangetrieben, bis sie ein paar Jahre später Oliver Schündlers Lucky Bird Pictures in Deutschland an Bord geholt hat. Mit Lucky Bird, die unser Hauptproduzent wurde, hat unser Film einen großen Schritt gemacht, auch, weil wir über den FFF Bayern einen starken Förderpartner bekommen haben. Anne wechselte in die Rolle der Koproduzentin.

Nachdem „Licht“ bereits auf einem Roman basierte, Sie dem Film dann aber einen anderen Titel gaben, ist DIE MITTAGSFRAU Ihre erste „richtige“ Romanadaption fürs Kino. Ist Ihre Herangehensweise an den Stoff für Sie als Filmemacherin eine andere?

Ich empfinde es nicht so, dass DIE MITTAGSFRAU meine erste richtige Romanverfilmung ist. Bei „Licht“ hatte ich ein ähnliches Gefühl. „Funeral for a Dog“ basierte auch auf einem Roman – wobei die Serie nicht von mir initiiert wurde, ich als Regisseurin mehr oder weniger aufgesprungen bin. Allerdings habe ich bei „Licht“ die Perspektive gewechselt; im Roman war es eine männlichere Perspektive, ich bin mehr auf die Frau gegangen. Die Perspektive bei DIE MITTAGSFRAU haben wir absolut beibehalten. Wir haben nur nicht alle Zeiten so ausführlich erzählen können wie im Roman, mussten konzentrieren. Uns interessierten vor allem die Beziehungen der erwachsenen Helene als Frau zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern. Zwischen dem einen zu früh Gegangenen und dem anderen, der nicht das sein kann für sie, was sie bei allem Pragmatismus vielleicht ganz kurz erhofft hat. Diese Gegensätze fanden wir spannend. Die große Herausforderung war, hier in kein Schwarzweiß-Erzählen zu verfallen. Im Vordergrund stand immer die radikale Perspektive, durch Helene zu zeichnen, von ihrer Kindheit bis zum Alter von 47 Jahren, in einem großen emotionalen Bogen. Das Drehbuch machte eine große Entwicklung durch in den vielen Jahren. Von den anfänglichen Versuchen, die Geschichte achronologisch zu erzählen, sind wir im Lauf der langen Reise abgerückt und zu einem eher chronologischen Erzählen übergegangen.

Julia Franck ist eine Schriftstellerin mit einer ganz eigenen Sprache. War es Ihnen wichtig, dass sich diese Sprache im Film wiederfindet? Wie war Ihre Zusammenarbeit mit ihr?

Julia Franck war immer sehr offen. Als sie den Rohschnitt gesehen hat, sagte sie: „Barbara, ich hab‘ mir den Film ganz anders vorgestellt. Aber er ist toll!“. Das hat mich gefreut. Natürlich hat sie ihre eigenen Bilder im Kopf. Sie hat das Buch vor langer Zeit geschrieben und die Geschichte Jahre davor mit sich herumgetragen. Ich bin glücklich, dass wir eine Entsprechung gefunden haben, natürlich nicht mit ihren Bildern, sondern mit meinen, unseren. Was die Sprache betrifft, so haben wir in den Dialogen versucht, noch mehr zu reduzieren, um weniger literarisch zu sein, auch noch im Probenprozess mit Mala Emde. Dafür recherchierte ich, wie man in den 1920er Jahren gesprochen hat, las auch andere Bücher aus der Zeit, um die Sprechsprache genauer fassen zu können. Mir war wichtig, möglichst trocken zu sein, weg von einem literarischen Stil.

Inwiefern kann man sich die Geschichte einer anderen zu eigen machen, gab es einen Zeitpunkt, bei dem Sie das Gefühl hatten, jetzt ist DIE MITTAGSFRAU mein Film?

Es gibt nicht den einen Moment. Die Aneignung eines Stoffes passiert bei mir immer zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Bei DIE MITTAGSFRAU war es unmittelbar nach der Lektüre des Romans, ich hatte auf Anhieb das Gefühl, daraus einen Film entstehen lassen zu können. Die Aneignung wird in der Drehbucharbeit intensiviert, Meike Hauck und ich arbeiteten eng zusammen, wobei ich vor allem in der letzten Phase mit dem Blick als Regisseurin noch mal selbst durchmuss, meine Bilder sehen muss, Dinge umschreibe. In diesem Fall war es wichtig, damit ich die ganz starke Perspektive bei Helene noch intensiver spüre. Die Arbeit mit der Kamera, den Schauspieler:innen verändert das Drehbuch ein weiteres Mal. Bei DIE MITTAGSFRAU war der Prozess allgemein leichter, weil ich eine Drehbuchautorin an meiner Seite hatte. Wenn ich allein schreibe, weiß ich oft nicht, wann bin ich Regisseurin, wann Drehbuchautorin. Hier konnte ich von Anfang an immer den Blick als Regisseurin bewahren und den Stoff dadurch eigentlich noch früher zu meinem eigenen machen.

Wie frei waren Sie in der Adaption? Welche Elemente des Buchs wollten Sie unbedingt bewahren, welche Elemente waren Ihnen vielleicht nicht so wichtig für den Film?

Wir haben eigentlich nur einen Strang verloren, die Beziehung von Helene zu ihrem Vater und den Tod des Vaters nach dem Ersten Weltkrieg. Die anderen Komponenten – die Mutterschaft, der Sohn, die ungewollte Schwangerschaft, die Beziehung zu Wilhelm und Karl, die Beziehung zur Schwester, zur Mutter – das ist alles da. Wir haben sie nur konzentriert. Für mich sind das alle wichtigen Aspekte.

Vor DIE MITTAGSFRAU haben Sie gemeinsam mit David Dietl und Martin Heislers Flare Film die Miniserie „Funeral for a Dog“ realisiert, wie bereits erwähnt ebenfalls eine Romanadaption. Hat sich Ihre Arbeitsweise als Kinoregisseurin durch diese sicher ungewöhnliche Erfahrung verändert?

Wahrscheinlich schon! Dank dieser Serie konnte ich trainieren, mit A und B Kamera zu arbeiten. Bei meinen Kinofilmen hatte ich bislang nur sehr selten zwei Kameras am Set. Filip Zumbrunn, unser Kameramann bei DIE MITTAGSFRAU, arbeitet viel mit A/B Kamera. Er hat mich darin auch sehr unterstützt – in einer doch straffen Drehzeit. Durch die Arbeit an der Serie war ich geeichter. Als Regisseur:in lernt man mit jedem Projekt. Das gilt für jedes Gewerk. Jedes Projekt hat andere Vorgaben und stellt andere Herausforderungen. Aber man muss sich immer neu einstellen und neue Aspekte lernen. Bei „Licht“ war es zum Beispiel die historische Zeit. So genau, wie wir bei „Licht“ gearbeitet haben, müsste man auch bei zeitgenössischen Stoffen sein. Für DIE MITTAGSFRAU waren die Erfahrungen von „Licht“ wie auch die Erfahrungen von „Funeral for a Dog“ wichtig. Bei der Serie stand die Arbeit mit einem großen Schauspiel-Ensemble im Vordergrund; es wurde auch ein anderes Tempo verlangt mit – im Extremfall – bis zu sieben Minuten pro Tag. Das ist alles Training. Ich sage nicht, dass man bei Kinofilmen auch so arbeiten soll. Aber so war ich gewappnet für einen historischen Kinofilm wie DIE MITTAGSFRAU, dessen Drehtage knapp bemessen sein mussten. Bei „Licht“ wiederum habe ich gelernt, mit reduzierten Mitteln eine bestimmte Zeit zu erzählen. Wir konnten kein riesiges VFX-Budget anwenden. Die Überlegung, mit wie wenig ich wie viel erzählen kann, reizt mich sehr. Bei der Serie konnte ich mehr ins Volle gehen, konnte 9/11 in Bulgarien in einem riesigen Studio mit VFX-Extensions drehen, hatte viele Komparsen... Dafür galt es bei DIE MITTAGSFRAU wieder umzuschalten und mir genau zu überlegen, wie ich mit weniger Mitteln auf ein mindestens gleich gutes Ergebnis komme.

Hat sich Ihr eigener Blick auf die Kinoregie dadurch auch verändert?

Ich bin fest davon überzeugt, dass das Erlebnis der Filmwahrnehmung im Kino ein anderes ist als zuhause. Es ist physisch. Ich sehe und höre im Kinosaal anders als zuhause auf der Couch. Ich stelle mir natürlich die Frage, warum fürs Kino und nicht für den Fernseher oder den Monitor? Bei DIE MITTAGSFRAU wollten wir formal etwas sehr Spezifisches schaffen. Uns allen, besonders Kamera, Szenen-, Kostüm- und Maskenbild, war klar, dass wir eine Form finden müssen, die dieses Spezifische hat. Und ich finde, wir haben eine Entsprechung gefunden, die die radikale Perspektive erlebbar macht, das Eintauchen in die Hauptfigur erfahrbar. Es gibt einen Schauwert und Hörwert, den es so im Fernsehen beispielsweise nicht gibt. Im Kino kann ich thematisch anders arbeiten. Die Themenfrage schwingt zwar mit, sie ist aber nicht die erste Frage. Die erste Frage ist das radikale Empfinden des Films als Zuschauer:in. Die Emotionalität ist eine andere.

Wie sollte der Film aussehen? Wie schnell war Ihnen klar, welche Form, welche Ästhetik, welche Visualisierung Sie anstreben?

Das braucht Zeit. Form, Ästhetik und Visualisierung sind stark in Zusammenarbeit mit Filip Zumbrunn entstanden. Mir ist wichtig, dass ich am Anfang eines Projekts mit Lust assoziieren kann. Die Vorbereitung ist eine der wichtigsten Arbeiten für mich bei einem Kinofilm. Sie kann nicht lang genug sein. Ich bereite sehr gern sehr genau vor. Das Drauflosassoziieren mit Filip war eine lustvolle Angelegenheit. Wir überlegten genau, welche Bilder für Helene in welche Lebensphasen passen und was wir mit ihnen ausdrücken wollen. Der Film macht eine große Reise, von einer leicht assoziativen Bildsprache bis hin zu mit Steadicam gedrehten Passagen in der engen, klaustrophobischen Wohnung, in der Helene/Alice landet. Der Film ist sehr heterogen, was die Bildsprache angeht. Wir wollten uns nicht beschneiden, mussten und wollten nicht alles gleich aussehen lassen. Wir dürfen mit dieser Figur über Jahrzehnte hinweg reisen – da darf sich auch das Bild verändern. Wir gehen sogar so weit, dass wir das Bildformat wechseln, aber so, dass es nur subtil wahrgenommen wird, sich einschleicht, vom weiten Horizont geht es über in eine Beengtheit, bis gegen Schluss wieder eine Weite spürbar ist, die für Hoffnung, für das Wieder-Atmen-Können von Helene steht.

Der Film ist in seiner visuellen Gestaltung sehr eindringlich und komplex. Wie haben Sie die verschiedenen Bildformate erarbeitet. Sie mussten ja bereits beim Dreh wissen, in welchem Format die jeweilige Einstellung später zu sehen sein würde. Wie viele Freiheiten hatten Sie da noch beim Schnitt?

Filip Zumbrunn ist ein extrem konstruktiver und fantasievoller Kameramann, lässt immer Spielraum. Er hat die Bildausschnitte so gewählt, dass noch etwas Flexibilität für den Schnitt gegeben war.

Die Kindheit von Helene und Martha blitzt sogar in Super-8-Aufnahmen auf...

Wir haben zunächst sogar echte Super-8-Aufnahmen gemacht, um eine Referenz zu haben. Jetzt im Film ist ein digital hergestellter Super-8-Look zu sehen, für den wir aber das Originalkorn unserer Aufnahmen übernehmen konnten. Meine Eltern haben viel auf Super 8 gedreht. Für mich ist dieses Format eine persönliche Erinnerung an Kindheit. Um dieses Gefühl ging es mir auch bei den Szenen von Helenes Kindheit. Auch später in der Geschichte gibt es Einsprengsel im Super-8-Stil, die daran erinnern, an das Kindliche, an das Bei-sich- selbst-sein, das Sich-selber-spüren. Es geht bei Helene eben stark um die Frage: Wer bin ich? Das haben wir mit dem Super-8-Stil versucht zu verstärken.

Historische Filme sind aufwändig und oftmals teuer zu realisieren. Wie ist es Ihnen gelungen, die Zeit so einzufangen, wie Sie es sich vorgestellt haben? Und: Wie sehr haben Sie den modernen Blick des Publikums in Ihre Überlegungen miteinbezogen?

Es gibt natürlich viele Serien und Filme, die in der Ära spielen, auf Anhieb würden mir aus jüngerer Vergangenheit „Babylon Berlin“ oder „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ einfallen. Wir hatten Respekt vor der Aufgabe, wobei es nie darum ging, andere Produktionen toppen zu wollen. Bei uns zählt die subjektive Wahrnehmung der Hauptfigur. Sie geht durch diese Erzählung, die mit den 1920er Jahren beginnt, die eine Zeit der Hoffnung sind, eine Hoffnung, die dann zerstört wird. Die 1920er Jahre sind nur ein Teil unseres Films, der weiter geht in die 1930er und 1940er, ja sogar kurz auch in die 1950er Jahre. Die Zeiten haben alle ihren eigenen Look, die aber nicht von außen draufgestülpt, sondern von der Figur aus erzählt werden.

Wer sind Ihre wichtigsten Mitstreiter hinter der Kamera? Wie haben Sie die Heads of Departments ausgewählt?

Bedingt durch die europäische Kofinanzierung von DIE MITTAGSFRAU habe ich zum Großteil mit kreativen Mitstreiter:innen gearbeitet, die ich vorher nicht kannte, hatte Heads of Department aus verschiedenen Ländern. Bei Kamera und Montage waren das die Schweizer:innen Filip Zumbrunn und Sophie Blöchlinger, beim Szenenbild Josef Sanktjohanser aus Bayern. Ebenfalls aus Bayern war die Maskenbildnerin Tatjana Krauskopf, mit der ich zuvor bereits die Serie gedreht hatte. Nur beim Kostümbild stand wie bei meinen letzten drei Kinofilmen meine Schwester Veronika Albert aus Österreich an meiner Seite. DIE MITTAGSFRAU ist mein erster Kinofilm, bei dem ich nicht ganz frei war in der Teamzusammenstellung, wobei ich innerhalb der Koproduktionsländer natürlich Möglichkeiten hatte und auch entsprechend Vorgespräche führte. Die Zusammenarbeit mit jedem einzelnen für mich neuen Teammitglied war ein großer Gewinn, auch mit dem Filmmusiker Kyan Bayani und dem gesamten Sound Department aus Luxemburg. Generell sind die stärksten Verbündeten am Set immer die Schauspieler:innen und der Kameramann/die Kamerafrau. Die Zusammenarbeit mit Filip war so wichtig, weil sie ausschlaggebend dafür war, wie ich erzählen wollte. Filips Kamera ist stark subjektiv, er tanzt mit ihr, sie tanzt mit den Figuren. Für mich ist es die richtige Herangehensweise und die emotionalste. Szenen-, Kostüm- und Maskenbild waren extrem genau aufeinander abgestimmt hinsichtlich der Farb- und Formkonzepte, auch mit der Kamera. Natürlich stehen auch dabei die Figuren und ihre Innenwelten im Vordergrund. Das Makeup war eine Herausforderung, aber Tatjana Krauskopf hat es wunderbar geschafft, die verschiedenen Phasen, in denen sich Helene befindet, die Veränderungen, die sie durchmacht, zu unterstreichen. Die intensive gemeinsame Vorarbeit ist mit allen Departments toll gelaufen, es war ein harmonisches Miteinander, im besten Sinn inspirierend für den Dreh. Denn wenn alles stimmt, kannst du fliegen am Set, fühlst dich frei, kannst mit den Schauspieler:innen arbeiten, musst keine Angst haben. Es braucht Mut, einen solchen Film zu machen, auf allen Ebenen. Auch unsere Schauspieler:innen waren mutig, haben sich dem Stoff extrem hingegeben, den intimen, den emotionalen Szenen... Das ist nur möglich, wenn Vertrauen und Sicherheit da sind. Alle Departments haben für die Figuren gearbeitet.

Mala Emde ist herausragend in der Hauptrolle der Helene. Warum haben Sie sie ausgewählt? Wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden? Und wie sah Ihre gemeinsame Arbeit aus?

Mala Emdes Gesicht ist zeitlos. Ich weiß nicht, wie alt sie ist, aus welcher Zeit sie kommt. Das war mein Gefühl zu ihr, und das war die richtige Ausgangsposition für eine Figur, die über mehrere Jahrzehnte erzählt wird. Sie hat eine emotionale Ausdruckskraft, ohne dass es so wirkt, als würde sie diese herstellen müssen. Sie hat eine intellektuelle Herangehensweise, hinterfragt die Dinge immer und trotzdem steht sie nicht außerhalb von sich, sondern ist immer im Körper. Es ist Mala zu verdanken, dass man als Zuschauer:in spürt, wie klug und wissbegierig Helene ist. Helene ist nicht nur emotional (wobei sie das als Figur oft unterdrücken muss), sondern auch sehr intellektuell. Mit Mala habe ich in der Vorbereitungsphase sehr ausführlich über die Figur gesprochen. Das hat auch mir wahnsinnig viel gebracht, um sie zu begreifen. Beim Dreh ist Mala dann nicht nur im Kopf, sondern in der Situation, der Figur. Das Arbeiten mit ihr ist konzentriert und hochpräzise. Diese Präzision gefällt mir. Es ist immer spannend, wie unterschiedlich Schauspieler:innen an die Arbeit herangehen. Das Präzise entspricht mir. Wir haben auch ein gleiches Verständnis vom Frausein. Wir wollten Helene alles Mädchenhafte abmontieren, sie sollte nichts Liebliches, Betuliches an sich haben. Es gibt eine Direktheit in dieser Figur, die ich sehr mag. Auch politisch gesehen, finde ich wichtig, wie eine Frauenfigur erzählt wird. In den 1920er Jahren waren Frauen viel weiter, als oft geglaubt wird. Es war Selbstbestimmtheit, Selbstbewusstsein da, was von den später aufkeimenden reaktionären Kräften wieder erstickt wurde.

Was war Ihnen in der Darstellung von Helene noch wichtig?

Mit Oliver Schündler sprachen wir viel darüber, wie wir Helene am Anfang der Geschichte zeigen wollen. Uns war wichtig, sie nicht schüchterne Projektionsfläche, sondern aktiv sein zu lassen. Es gibt die Tendenz, dass Frauen zu passiv dargestellt werden. Unsere Helene sehen wir, wie sie ihr Leben aktiv in die Hand nimmt. Sie ist kräftig, selbstbewusst, nimmt sich, was sie will. Sie ist eine höchst resiliente Figur, die trotz ihrer Familiengeschichte nicht zusammenbricht oder Opfer ist. Sie hat als Kind schon diese Kraft in sich. Diese Kraft wird später von außen gebrochen, durch Dinge, die ihr widerfahren, durch verschiedene Schicksalsschläge, aber auch durch politische Veränderungen. Das wollten wir zeigen. Am Anfang ist die Kraft da, der Wille, das Wollen, das Selbstbewusstsein. Sie ist zu Beginn keine gebrochene Figur.

Wie sind Sie bei der Besetzung der anderen weiblichen Figuren vorgegangen?

Der Castingprozess war sehr lang. Begleitet haben mich hierbei die beiden tollen Casterinnen Karimah El-Giamal und Stephanie Maile. Bei der Besetzung wurde immer an das gesamte Ensemble gedacht. Ausgehend von Helene, besetzten wir erst die erwachsene Schwester Martha, dann Selma, die Mutter, anschließend die junge Helene und die junge Martha. Und schließlich Leontine, kontrastierend zu Martha. Die Besetzung von Mala Emde strahlte auf die Zusammenstellung des Ensembles ab.

Von besonderer Bedeutung sind die beiden männlichen Hauptfiguren, die unterschiedlicher nicht sein könnten – sowohl die Figuren als auch die Darsteller. Wie würden Sie Karl und Wilhelm beschreiben? Was hat Thomas Prenn und Max von der Groeben zu den idealen Mimen gemacht?

Karl ist die erste Liebe von Helene. Wie oft im Leben verherrlicht man die erste Liebe. Auch im Roman ist diese erste Liebe verherrlicht, weil sie viel zu früh endet. Die Liebe, die Helene nicht haben kann, ist schöner als die, die sie haben wird. Das Schwierige ist, sie nicht zu eindimensional zu zeigen. Genauso wenig eindimensional sollte die Beziehung zu dem Nationalsozialisten Wilhelm sein. Das war eine der schwierigsten Aufgaben beim Drehbuchschreiben. Meike und mir war es ein Anliegen, mehrdimensionale Männer zu zeichnen. Wilhelm hätte das volle Klischee werden können. Uns ist es gelungen, natürlich vor allem dank dem großartigen Max von der Groeben, ihn sehr komplex und sogar auch positiv darzustellen. Die Arbeit mit Max an der Figur war sehr schön, und manchmal sogar lustig. Bei der Figur des Karl war es schwieriger. Er verkörpert eine Sehnsucht. Wir haben sehr lange daran gearbeitet, ihn ambivalent, nicht nur positiv zu zeichnen. Das war natürlich alles andere als einfach. Karl musste etwas Weiches und Sensibles haben, weil er nur kurz erzählt werden kann. Ich ging auch der Frage nach: Was fasziniert unsere Hauptfigur an diesem Mann? Es ist eben nicht das machohaft Männliche, sondern die Sensibilität. Wir spielen auch mit einer androgyneren Darstellung von Karl. Es gibt eine Liebesszene zwischen Helene und Karl, wo sich für mich in einem Moment die Geschlechter fast auflösen, beziehungsweise wir zeigen, dass es eigentlich egal ist, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Es sind einfach zwei Menschen, die sich lieben. Diese Auflösung der Geschlechterstereotype finde ich spannend. Thomas Prenn verkörpert Karl als hochsensiblen Mann, der wirkliches Interesse an seiner Partnerin hat, der nicht auf sich bezogen ist, nichts Egoistisches oder Wichtigtuerisches an sich hat.

Warum passt Max von der Groeben für die Rolle des Wilhelm?

Max von der Groeben hat Wilhelm etwas so Hartes und gleichzeitig etwas Weiches gegeben. Die angesprochene Mehrdimensionalität war mir sehr wichtig. Wilhelm sollte nicht nur Nazi sein. Mir ist es zu einfach, wenn in Filmen Nazis als Monster dargestellt werden. Es sind (leider) Menschen. Ich finde wichtig, sich zu fragen, was wir in uns haben, das monströs werden kann, ab welchem Zeitpunkt ein Mensch zum Täter wird. Es hilft in meinen Augen nicht, Täter als Monster zu entmenschlichen. Deswegen war mir die mehrdimensionale Darstellung Wilhelms so wichtig. Und die gelingt Max sehr gut! Er zeigt uns dieses verzweifelt Liebenwollende, hat etwas von Oskar aus Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“, der partout nicht versteht, warum Marianne seine Liebe nicht erwidert. Dank Max und seiner Interpretation ist Wilhelm so geworden, wie ich ihn mir gewünscht habe. Wir waren beide auf einer Wellenlänge.

Was sind Ihre Erinnerungen an die Dreharbeiten? Sind Sie eine Filmemacherin, die diesen Prozess genießt – oder ist es eine andere Phase der Arbeit an einem Film, die Sie am meisten schätzen?

Früher hätte ich gesagt, dass ich nicht so gern drehe, weil ich die Vorbereitung lieber habe, in der der Film für mich schon entsteht; und weil ich die Zeit im Schneideraum sehr genieße, weil der Film dort ein weiteres Mal entsteht. Aber bei DIE MITTAGSFRAU waren die Dreharbeiten besonders intensiv. Vielleicht auch, weil wir mit allen heftigen Szenen anfangen mussten, dem Setting in Stettin, gebaut in den Bavaria Studios, dem Beengten, der Gewalt am Körper, der Schwangerschaft, dem Baby, das schreit, mit dieser Verzweiflung! Unsere ersten beiden Drehwochen waren die verzweifelten Wochen von Helene/Alice. Diese Szenen haben wir hochkonzentriert gedreht, nicht links, nicht rechts geschaut, sind streng durchgegangen. Als wir das hinter uns hatten, wurde es immer leichter. Die zweite Hälfte der Drehzeit war ein großer Spaß, wir drehten die Freude, die Helene mit Karl erlebt, die Partyszene bei Tante Fanny mit Tanz und Musik, die Kindheit der beiden Schwestern... Das Schwere lag hinter uns. Es war für mich wie ein Loslassenkönnen. Wenn die Dreharbeiten so harmonisch ablaufen, wie bei DIE MITTAGSFRAU, wenn dank guter Vorbereitung die Arbeit mit dem Ensemble und auch den kleinsten Rollen so inspirierend ist, bereitet mir auch der Dreh große Freude.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Film? Oder machen Sie sich völlig frei von solchen Überlegungen?

Ich möchte unserem Film gar keinen Stempel aufdrücken. Im besten Fall erreicht der Film ein breites Publikum und reüssiert trotzdem im Arthouse-Sektor. Die Trennung zwischen E und U ist nicht hilfreich, vor allem mit Blick auf den Kinomarkt, wie er sich heute präsentiert. Das sind Schubladen, die mich nicht interessieren. Ich erlebe meinen Film zunächst immer als Regisseurin, versuche im Lauf der Postproduktion auch die Position der Zuschauerin einzunehmen. Ich hoffe, dass das Publikum körperlich, geistig und seelisch unsere Hauptfigur auf ihrer Reise begleitet. Ich bin gespannt, wie die Menschen reagieren, die den Roman kennen. Gleichzeitig muss der Film auch ohne Kenntnis des Romans funktionieren. Ich bin 

sicher, dass Mütter den Film anders sehen werden als Nicht-Mütter. Aber als Zuschauer:in bringt man immer die eigenen Erfahrungen mit. Der Film ist für alle, er ist vielfältig, bietet für Männer etwas, für Frauen, für Menschen, die sich nicht einordnen wollen. Der Film hat auch sehr mit unserer Zeit zu tun. Auch mit Krieg und Gewalt, mit dem Verlust von Freiheit. Ich finde es dramatisch, wie wenig Demokratien es weltweit gibt, wie Demokratien immer stärker zurückgedrängt werden. Der Film zeigt uns, was Krieg und Gewalt anrichten, zeigt die Unterdrückung der Frau. DIE MITTAGSFRAU propagiert, wie wichtig es ist, sich selbst leben zu dürfen und frei sein zu dürfen. Das sind hochpolitische Themen.

Fotos:
Barbara Albert
© Austria Forum

Info;
„Die Mittagsfrau“
D 2023, 137 Minuten, Filmstart 28. 9. 2023
Regie Barbara Albert mit Mala Emde, Liliane Amuat , Max von der Groeben, Thomas Prenn u.a.

 Abdruck aus dem Presseheft