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Berlin (Weltexpresso) - DIE MITTAGSFRAU erzählt von einer Ausnahmesituation und einem singulären Schicksal, gleichzeitig stellt die Geschichte sich aber auch ganz allgemeinen Fragen überaus sensibler Natur. Oliver Schündler sagt: „Julia Francks DIE MITTAGSFRAU hat in seiner Rezeption deswegen für Furore gesorgt, weil er das vielleicht letzte Tabu thematisiert, das man über Frauen nicht erzählen sollte. Eine Frau kann alles sein – aber keine schlechte Mutter und schon gar keine, die ihr eigenes Kind aufgibt.“
Mit diesem Aspekt der Geschichte verbindet der Produzent eine sehr persönliche Erfahrung, die die Verfilmung des Romans für ihn noch
drängender werden ließ: „Ich bin selbst ein Peter, wenn man so will. Meine Mutter hat den Kontakt zu mir Mitte der Siebzigerjahre abgebrochen. Sie wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, verweigerte sich jedem Annäherungsversuch. Warum, hat sie mir nie erklärt. Sie ist 2021 verstorben.“
Das Thema der Anti-Mutter bzw. dieser radikalen Form der weiblichen Wiederselbstermächtigung stand oft im Zentrum der vielen Diskussionen im Entstehungsprozess der Adaption. „Die intensivsten Diskussionen in der Stoffentwicklung drehten sich um die Fragen: Warum gibt diese Frau ihr Kind auf? Darf sie das? Können wir das in unserem Film erklären? Soll unser Film genauso enden wie der Roman, der keine Versöhnung vorsieht, oder ist eine Wiederaufnahme der Mutter-Sohn-Beziehung möglich?“, erzählt der Produzent weiter. Sein persönlicher Zugang war immer das Wissenwollen, das Fragen, warum jemand eine solche Entscheidung gefällt hat. „Peter hat in unserer Verfilmung die Chancen, diese Fragen zu stellen. Ich hatte sie leider nie.“
Hürden werden genommen
Eine der großen dramaturgischen Baustellen war die Ausarbeitung der Rolle des Wilhelm, „den Max von der Groeben schließlich in einer grandiosen Darstellung verkörpert“, so Schündler. „Er ist der Antagonist, ein zutiefst erbärmlicher, widerlicher Mensch. Uns war es dennoch wichtig, zu verstehen, dass Wilhelm Helene abgöttisch liebt – wenn es auch auf eine pathologische Art ist“, so die Produzenten. Für Helene ist es eine Frage des Überlebens, sich auf seine Liebe einzulassen. „Sie will ihr etwas erwidern und schenkt ihm ihre Erotik und Kraft als Frau. Genau die Dinge, mit denen Wilhelm überhaupt nichts anfangen kann, die ihm Angst machen“, so die Produzenten.
Eines der Hauptthemen der Geschichte ist Identität, „auch wenn dieser Begriff in vielerlei Hinsicht heute inflationär benutzt wird“, geben die Produzenten zu bedenken. Bei Helene geht es um die Fragen, wer sie ist, und welches Leben sie führen möchte. Sie holt sich das Leben zurück, das ihr genommen wurde. In diesem Leben ist für sie ein Kind nicht vorgesehen.
Obwohl die Geschichte in der Zeit der Weltkriege spielt, ist DIE MITTAGSFRAU kein Film über die NS-Zeit. Auch in Julia Francks Vorlage steht der zeitgeschichtliche Kontext nicht im Mittelpunkt. Eine zeitlich genaue Einordnung ist dennoch stets gegeben und sehr genau recherchiert. „Im Film klingt an, wie vital jüdische Kultur in Berlin war, die Shoah zeigen wir eher als Alltagsgrauen, das die Berliner gekonnt ausblendeten. Wir wollen keine gelernten Bilder zeigen“, unterstreichen die Produzenten.
Eine vielschichtige Arbeit war es für Meike Hauck, Barbara Albert und dem sie begleitenden Produzententrio der hochkomplexen Zeitstruktur des Romans gerecht zu werden. Für den Film wurde sie mit wenigen Rückblenden in einen Zeitstrahl, eine zeitlich konsistente Form gebracht.
Dennoch waren es weniger die inhaltlichen Aspekte, die den Produzenten viel abverlangten. Die Situation für Kinofilmproduktionen hat sich in Bezug auf die Finanzierung von Projekten in den letzten Jahren stark verändert. Dementsprechend lag darin auch die größte Herausforderung für die Lucky-Bird. „Vor einigen Jahren hätte man gar nicht so schnell laufen können, so schnell wäre die Finanzierung eines Bestsellers wie DIE MITTAGSFRAU unter
Dach und Fach gewesen“, sagt Schündler. Heute ist die Situation anders. Ein Projekt dieser Größenordnung ist nur mit einem starken Senderpartner wie dem ZDF, beherzter Kulturförderung und in einem europäischen Kontext machbar. „Wir haben 17 unterschiedliche Finanzierungsquellen zusammengefügt. Es ist wirklich ein anspruchsvolles Konstrukt“, so die Produzenten. Als Münchner Produzent war für die Lucky Bird wichtig, dass der FFF Bayern als Initialförderer bereits in der Projektentwicklung von diesem Film überzeugt war.
Neben der Schweiz stieg Luxemburg über Iris Productions als Koproduzent mit ein. „Ohne diese beiden Koproduktionsländer hätte die Verfilmung nicht stattgefunden. Die Zusammenarbeit mit C-Films war kongenial. Anne Walser ist eine der renommiertesten Produzentinnen für Kinofilme in der Schweiz. Sie hat uns auch großartige Filmemacher gebracht, sei es DoP Filip Zumbrunn oder unser First AD Arnold Bucher. Nicolas Steil brachte den Luxemburger Fund (FFL) als größten Geldgeber neben dem DFFF an den Start. Es war eine echte Bereicherung“, wie die Produzenten berichten. Auch Senator Film Produktion und das Schweizer Fernsehen SRF unterstützten als Koproduzenten. Weitere wichtige Förderpartner sind Bayerischer Bankenfonds (BBF), BKM, Filmförderanstalt (FFA), Mitteldeutsche Medienförderung (MDM), Bundesamt für Kultur Schweiz (BAK), Filmstiftung Zürich, Medienboard Berlin Brandenburg (MBB), Eurimages und Mediadesk Schweiz (Media Ersatzmassnahmen). Das Projekt wurde zur Produktionsförderung in keinem eingereichten Gremium abgelehnt, was äußerst selten ist.
Oliver Schündler liebt internationale Koproduktionen, weil sie unterschiedliche Kulturen und Talente zusammenbringen. „Ich weiß aber auch um die Gefahren, wenn solche multilateralen Produktionen dann zum „Euro-Pudding“ mutieren, weil sie sich nach gesetzlich verankerten Co-Production-Treaties richten müssen. Das wäre für eine sehr deutsche Geschichte, wie sie DIE MITTAGSFRAU erzählt, das Schlimmste gewesen. Mit Barbara Albert am Steuer mussten wir uns diesbezüglich jedoch keine Sorgen machen.“
Fotos:
©Wild Bunch Germany
Info;
„Die Mittagsfrau“ D 2023, 137 Minuten, Filmstart 28. 9. 2023
Regie Barbara Albert mit Mala Emde, Liliane Amuat , Max von der Groeben, Thomas Prenn u.a.
Abdruck aus dem Presseheft