Bildschirmfoto 2023 10 19 um 01.25.36Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Oktober 2023, Teil 1 

Redaktion

München (Weltexpresso) – Was ist Ihre persönliche Verbindung zu Ingeborg Bachmann und Max Frisch?


Ingeborg Bachmann hat schon sehr früh zu meinen Lieblingsautorinnen gezählt. Ich habe als junge Frau selber Gedichte geschrieben, die ich allerdings nie jemandem gezeigt habe. Und ich habe damit auch sehr bald aufgehört. Später habe ich Ingeborg Bachmann mehrmals in Zusammenhang mit meinen Filmen zitiert, lange, bevor ich wusste, dass sie mir eines Tages auf diese Weise begegnen würde. Als Motto für meinen Film DIE BLEIERNE ZEIT habe ich ihren Satz: „Trauern, das wird, zwischen vielerlei Tun, ein einsames Geschäft“ gewählt, und in meinem Film L ́AFRICANA, den ich in Italien gedreht habe, zitiert Samy Frey aus ihrem Gedicht „Erklär mir, Liebe...“. Max Frisch im Gegensatz zu Ingeborg Bachmann war Schullektüre, das erste Stück, das ich von ihm sah, war „Biedermann und die Brandstifter“, also genau das Stück, zu dessen Premiere er Ingeborg Bachmann nach Paris einlädt.

Die Idee, einen Film über Ingeborg Bachmann zu machen, wurde Ihnen von den Produzent*innen von tellfilm und AMOUR FOU zugetragen. Ihre Entscheidung war es, den Fokus auf ihre Beziehung mit Max Frisch zu legen. Was war für Sie interessant? Was wollten Sie erzählen, worum ging es Ihnen?

Die Produzenten haben mir freie Hand gelassen, welche Zeit aus dem Leben Ingeborg Bachmanns ich wählen wollte. Ich habe mich für ihre vier Jahre mit Max Frisch entschieden, weil ich es spannend fand zu ergründen, wie zwei Schriftsteller es miteinander aushalten oder auch nicht.

Sie haben Ingeborg Bachmann einmal persönlich getroffen, in Rom im Jahr 1972. Hat diese Begegnung Einfluss auf das Porträt der Lyrikerin im Film gehabt?

Ja, ich habe sie - vielleicht ein Jahr vor ihrem Tod - zusammen mit Volker Schlöndorff im Haus von Hans Werner Henze getroffen. Sie war damals wohl schon sehr geschwächt, jedenfalls war sie sehr zurückhaltend, und die Unterhaltung fand hauptsächlich zwischen den Männern statt.

Nach Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen und Hannah Arendt stellen Sie erneut eine historische Frauenfigur in den Mittelpunkt eines Ihrer Filme, erstmals eine Künstlerin. Steht Ihnen Ingeborg Bachmann besonders nah? Haben Sie sich auch selbst in der von Ihnen geschaffenen Figur gesehen?

Ich versuche bei jeder Figur, die ich in einem Film beschreibe, eine „correspondance“, im Sinne von Baudelaire, zu finden. Im Gegensatz zu den anderen historischen Personen, war sie mir aber nicht so fremd, zu Beginn... Vom Alter her hätte sie meine ältere Schwester sein können.

Wie haben Sie die Geschichte erarbeitet? Wie sah Ihre Recherche aus? Wie wichtig war Ihnen historische Genauigkeit?

Ich glaube, es ist normal, dass man sich als Drehbuchautor zunächst so viel Lektüre und Material einverleibt, wie nur möglich. Außerdem Menschen befragt, die die jeweiligen Personen noch gekannt haben. Deswegen brauche ich immer einen langen Vorlauf, um mich der Person oder den Personen, die ich beschreiben will, anzunähern. Es bleibt ja doch immer nur eine Annäherung, ich würde nie behaupten wollen, eine Person in all ihren Verästelungen und Widersprüchen ergründen und darstellen zu können.

Der Film ist klug und sehr sensibel in Rückblenden erzählt: Ingeborg Bachmann denkt an ihre Beziehung mit Frisch zurück, während sie mit Adolf Opel unterwegs ist. Wie sind Sie auf diese Struktur gekommen?

In Rückblenden zu erzählen, gibt einem die Möglichkeit auszuwählen, im Rückblick nur die Momente zu beschreiben, die man als wesentlich und symptomatisch empfindet. Es hat mir auch die Möglichkeit eröffnet, in zwei verschiedenen Bewegungen zu erzählen: In die Wüste fährt Ingeborg Bachmann geschwächt, am Ende hat sie das Gefühl, erlöst zu sein. Die Erzählung mit Max Frisch verläuft im Gegenrhythmus. Sie beginnt euphorisch und endet traurig.

Noch während des Drehs war der Film unter dem Titel BACHMANN & FRISCH angekündigt. Warum haben Sie sich schließlich für INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE entschieden?

BACHMANN & FRISCH beschreibt zwar die vier Jahre, die die beiden zusammen gelebt haben, insofern ist er nicht falsch, aber ein wenig plakativ. Der jetzige Titel passt zum Film, so wie ich ihn realisiert habe: Im Zentrum steht Ingeborg Bachmann und ihr Kampf um Unabhängigkeit.

In der Titelrolle haben Sie Vicky Krieps besetzt, als Max Frisch erlebt man Ronald Zehrfeld. Man sieht zunächst mit einer gewissen Zurückhaltung zu, nach dem Film kann man sich niemand anders in diesen Rollen vorstellen. Was zeichnet sie aus, was machte sie zu den idealen Darstellern?

Die beiden Hauptdarsteller waren für mich von Anfang an klar. Vicky Krieps hatte ich in DER SEIDENE FADEN gesehen, Ronald Zehrfeld ist für mich, trotz seiner gewichtigen Erscheinung, einer der sensibelsten Schauspieler Deutschlands. Ich habe zwar auch, um den Schweizern Genüge zu tun, nach einem Schweizer Schauspieler gesucht, aber mich konnte niemand so sehr überzeugen wie eben Ronald. Für Ingeborg Bachmann musste es eine Schauspielerin sein, die aus dem größten Ernst heraus zu einem strahlenden, umwerfenden Lächeln fähig ist. Ich hatte das in mehreren Dokumentaraufnahmen mit Ingeborg Bachmann gesehen. Sie äußerte sich z.B. sehr negativ über Männer; der Journalist, der sie interviewt, ist offensichtlich schockiert, und dann lächelt sie ihr wunderbar strahlendes Lächeln und sagt: „Wussten Sie das nicht?“ Genau dieses überraschende und umwerfende Lächeln habe ich nur bei Vicky Krieps gesehen.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem jungen Schauspieler Tobias Resch als Adolf Opel, der bei Ihnen seine erste, große Rolle spielt?

Es war das reine Glück, diesen jungen Schauspieler gefunden zu haben. Er entspricht nicht nur dem jungen Adolf Opel, so wie er sich selbst in seinen Memoiren beschreibt, sondern bringt Ingeborg Bachmann, d.h. Vicky Krieps, durch seine Präsenz, durch sein Spiel, „zum Leuchten“.

Aufgrund der internationalen Koproduktion mussten Sie in vielen Gewerken mit neuen Gesichtern arbeiten. Wie sind Sie damit umgegangen? Wie war die Dreherfahrung mit vielen Künstlern hinter der Kamera, die Sie noch nicht kannten?

Ja, davor hatte ich besondere Angst, denn ich hatte noch mit keinem einzigen Mitarbeiter zuvor gedreht, wusste also so gar nicht, was auf mich zukam, abgesehen davon, dass ich sie mir habe aussuchen können, aber eben aus den Ländern, die mitfinanziert haben. Es ist zu meiner großen Freude und Erleichterung sehr gut gegangen, man sollte sich vielleicht sogar öfter dieser Challenge aussetzen.

Sie haben in 40 Drehtagen einen Dreh in sechs Ländern bewältigt – und das während Corona! War das nicht ungewöhnlich anstrengend?

Ja, es war anstrengend. Aber ich liebe Herausforderungen, insofern wurde ich während des Drehs immer gesünder und kräftiger.

Foto:

Margarethe von Trotta
©Manfred Breuersbrock


Info:

Besetzung & Stab

Ingeborg Bachmann.   VICKY KRIEPS 
Max Frisch.          RONALD ZEHRFELD 
Adolf Opel             TOBIAS RESCH 
Hans Werner Henze.    BASIL EIDENBENZ 
Marlene               LUNA WEDLER 
Tankred Dorst      MARC LIMPACH

Regie, Drehbuch     MARGARETHE VON TROTTA

 TECHNISCHE DATEN

Schweiz/Österreich/Deutschland/Luxemburg 2023 Laufzeit: 110 Min.