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München (Weltexpresso) – Die Frauen in den Filmen von Margarethe von Trotta sind kämpferisch, leidenschaftlich, emanzipiert, radikal, widersprüchlich und kompliziert. Immer wieder hat sich die Filmemacherin in ihren Arbeiten dabei historischen weiblichen Persönlichkeiten angenähert und versucht, ihrem Leben und ihrer Gedanken- und Erlebniswelt gerecht zu werden. Entstanden sind dabei stets bemerkenswerte, international anerkannte Arbeiten: ROSA LUXEMBURG, VISION – AUS DEM LEBEN DER HILDEGARD VON BINGEN und HANNAH ARENDT gelten längst als Klassiker.
Dass Margarethe von Trotta sich in ihrer 17. alleinigen Regiearbeit fürs Kino nunmehr mit Ingeborg Bachmann beschäftigen würde, der legendären österreichischen Lyrikerin und Schriftstellerin, die 1973 im Alter von 47 Jahren tragisch viel zu früh aus dem Leben schied, ist naheliegend, erscheint fast zwingend. Ihr berühmter Satz „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ klingt überdeutlich auch in der Filmographie von Trottas an, beschreibt förmlich ihren Ansatz als Filmemacherin.
Und doch liegen die Ursprünge von INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE nicht bei ihr, sondern bei der Produktionsfirma tellfilm, die ihren Sitz in Zürich hat. „Am Anfang stand kein Bild – kein Foto, auf dem Ingeborg Bachmann und Max Frisch zusammen abgebildet waren. Die beiden Literaten waren von 1958 bis 1962 ein Paar, lebten gemeinsam in Zürich und später in Rom. Ich war mit Max Frisch in der Schule ́aufgewachsen ́ und liebte Ingeborg Bachmanns Gedichte und ihre tiefsinnige, fragile, hinterfragende Sprache“, erinnert sich Katrin Renz, Geschäftsführerin der tellfilm. „Die beiden waren ein Paar, aber ich stellte fest, dass ich kein Foto von ihnen finden konnte. Das machte mich neugierig, und es entstand die Idee zu einem Film, der diesen Spuren nachgeht.“
Dreieck Schweiz – Österreich – Luxemburg: Die Produktion findet sich
Und so setzte sich Renz beim Festival de Cannes 2018 mit den Kolleg*innen Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu von AMOUR FOU zusammen, die ihre Firma mit Dependancen in Wien und Luxemburg betreiben. Die Filmemacher kennen sich schon lange und hatten immer schon einmal ein gemeinsames Projekt ins Auge gefasst. Schnell wurde die Kooperation besiegelt. „Es war uns sehr wichtig, dass dieser Film von einer Frau realisiert wird, und es war ein logischer Schritt, an Margarethe von Trotta zu denken. Sie schien uns die absolut ideale Wahl für diesen Stoff – wegen der Komplexität ihrer Figuren, ihrer überzeugenden Schauspielführung, ihrer Erfahrung mit historischen Stoffen und auch weil sie die Zeit, in der Ingeborg Bachmann und Max Frisch ein Paar waren, gut kannte“, erklärt Katrin Renz weiter. Bady Minck merkt an: „Ingeborg Bachmann war eine Vorreiterin, in einer Zeit, in der sich noch niemand groß den Kopf zerbrach über Emanzipation, Beziehungen, Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Und obwohl Max Frisch überhaupt kein Monster war, sondern für seine Zeit schon relativ fortschrittlich war, wenngleich auch bürgerlich mit Heiratsplänen etc., hat etwas zwischen ihm und Ingeborg Bachmann begonnen, was sie einmal unter dem Satz ‚Der Faschismus ist das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau‘ subsummierte. Weil er wollte, dass sie die zweite Geige spielt. Irgendwann musste sie sich zur Wehr setzen – was er bis zum Schluss nicht verstanden hat.“
„Für mich, der ich in Wien aufgewachsen bin, hat bei Ingeborg Bachmann gleich eine Glocke geläutet“, sagt Dumreicher-Ivanceanu. „Ich wurde in Österreich in den 1980er Jahren politisch sozialisiert, 1984 mit der Umweltbewegung, 1986 im Kampf gegen die Präsidentschaftskandidatur von Kurt Waldheim, der später trotz seiner Vergangenheit in der Wehrmacht zum Präsidenten gewählt wurde. Ich habe demonstriert, mit 15 Jahren hatte ich noch kein Wahlrecht. Ein Satz, den wir auf Plakaten vor uns hergetragen haben, stammte von Ingeborg Bachmann und lautete: ,Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar!‘ Ein Schlüsselsatz aus ihrer unglaublichen Dankesrede zum Hörspielpreis der Kriegsblinden.“
Er erklärt weiter: „Ingeborg Bachmann stand für mich immer einerseits für großartige Literatur, sowohl was ihre Lyrik als auch ihre Romane betrifft, andererseits faszinierte mich, dass sie stets jemand war, die sich komplett nicht systemkonform verhalten hat, in ihrem Leben, in ihrem Schreiben dieser widerspenstigen, subversiven Literatur, die wehtut, auch Schmerzen bereitet, die nicht nachdenklich macht, sondern direkt in die Eingeweide fährt und in der Ingeborg Bachmann ihr Innerstes nach außen gekehrt hat. Das hat mich immer fasziniert.“
AMOUR FOU, die bereits bei HANNAH ARENDT an Bord gewesen waren, stellte den Kontakt mit Margarethe von Trotta her, und so kam ein Treffen mit ihr und den drei Produzent*innen in München zustande. Bady Minck erinnert sich an das erste Telefonat mit Margarethe von Trotta - ob Bady denn wisse, dass sie Ingeborg Bachmann in Rom kennengelernt hatte: „Margarethe hat sofort Interesse gezeigt“, erzählt Katrin Renz. Die Regisseurin erbat etwas Bedenkzeit. „Sie musste erst in sich gehen, um den richtigen Zugang für die filmische Erzählung zu finden. Margarethe sagte zu, als sie nach umfangreichen Recherchen die zündende Idee für den Rahmen ihres Films hatte.“ Auf keinen Fall wollte Margarethe von Trotta die Chronologie einer vierjährigen Beziehung erzählen. Vielmehr rückte sie eine Reise Ingeborg Bachmanns nach Ägypten zwei Jahre nach der Trennung von Frisch als zweite Handlungsebene in den Mittelpunkt: eine spontane Reise mit dem jungen Schriftsteller Adolf Opel, der die Dichterin in Berlin aufgesucht und ihr eher beiläufig von seinen Reiseplänen erzählt hatte – ohne damit zu rechnen, dass sie auf seine Einladung reagieren würde. „Bady Minck hatte Adolf Opel gekannt und wusste, dass er eine besondere Beziehung zu Ingeborg Bachmann hatte. Sie hatte Margarethe Adolf Opels Buch über seine Reisen mit Ingeborg Bachmann gegeben – ein wichtiger Grundstein für die Dramaturgie des Films“, erinnert sich Katrin Renz.
Diese Struktur erlaubte es Margarethe von Trotta, in Rückblenden immer wieder zu der Beziehung Bachmann und Frisch zurückzukehren: Während diese sich immer mehr zum
Negativen für die beiden wandelt, erwacht in der zunächst niedergeschlagenen Ingeborg Bachmann auf Reisen mit dem jungen Opel neuer Lebensmut. Es wurde schnell klar, dass Adolf Opel eine Schlüsselfigur sein würde. „Adolf Opel ist die dritte Figur, der Antagonist“, erklärt Bady Minck. „Ihn habe ich persönlich gekannt, als älterer Herr, bevor er gestorben ist. Ein sehr toller, interessanter Mensch, der eigentlich homosexuell war, aber mit Ingeborg Bachmann ging er trotzdem eine Beziehung ein, weil er sich in sie verliebte. Wir haben öfter gelesen, dass Ingeborg Bachmann Schwule sehr angezogen hat. Sie hatte viele schwule Freunde. Wenn sie je geheiratet hätte, dann am liebsten einen Homosexuellen, weil da die Machtverhältnisse ganz andere gewesen wären. Ingeborg Bachmann war so was von modern! Ihrer Zeit weit voraus. Auch das war ein Ansporn, diesen Film zu machen.“
Foto:
©Verleih
Info:
Besetzung & Stab
Ingeborg Bachmann. VICKY KRIEPS
Max Frisch. RONALD ZEHRFELD
Adolf Opel TOBIAS RESCH
Hans Werner Henze. BASIL EIDENBENZ
Marlene LUNA WEDLER
Tankred Dorst MARC LIMPACH
Regie, Drehbuch MARGARETHE VON TROTTA
TECHNISCHE DATEN
Schweiz/Österreich/Deutschland/Luxemburg 2023 Laufzeit: 110 Min.