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München (Weltexpresso) – Ebenso schwärmen die Produzenten auch von Margarethe von Trotta. „Die inhaltliche Zusammenarbeit mit ihr ist einzigartig“, sagt Katrin Renz. Und Alexander Dumreicher- Ivanceanu führt aus: „Wir legten die Idee, die von uns kam, in ihre Hände. Margarethe ist ein Mensch, der sehr genau sein Ziel und seine Vision vor Augen hat. Aber zugleich ist sie sehr interessiert an einem Diskurs, an dessen Ende sie dann die Entscheidungen trifft, weil es hundertprozentig ihr Film ist.“
Bady Minck stimmt zu und erklärt: „Margarethes Arbeitsweise ist sehr kollaborativ. Als es an die Drehbuchfrage ging, sagte sie, dass sie einen Entwurf machen wolle und wir dann sagen sollen, ob der was taugt. Das sagt eine Regisseurin von ihrem Format zu uns. Wahnsinn!“
Margarethe von Trotta geht dabei nicht klassisch vor von Exposé über Treatment hin zum Drehbuch mit erster, zweiter, dritter Fassung. „Sie beginnt sofort mit dem Drehbuch und arbeitet skelettartig“, berichtet Bady Minck. „Das ist sehr interessant. Ihre erste Fassung ist ein Drehbuchskelett, das gleich zu Beginn aus ca. 70 Seiten besteht, die bereits die Dramaturgie festhalten. Die Struktur ist da, aber noch nicht die Details der Erzählung. Dann setzt sie die Organe und Muskeln ein, die aus Personen und Szenen bestehen und verbindet sie mit Sehnen- und Nervensträngen, die subkutane Beziehungen zwischen Szenen, Sequenzen und Figuren schaffen. Obwohl wir schon mit sehr vielen Drehbuchautor*innen zusammengearbeitet haben, habe ich noch nie eine Autorin erlebt, die so organisch vorgeht, als würde sie ein lebendes Wesen erschaffen. Diese Vorgangsweise ist auch sehr flexibel. Sowohl die Szenen als auch die Figuren können immer wieder verschoben werden und bleiben durch die unsichtbaren Nervenstränge verbunden. Dieser Reichtum an Verknüpfungen gibt ihren Filmen diese enorme Tiefe und lässt ihre Figuren so lebendig und komplex wie reale Personen erscheinen.“
Margarethes Arbeitsweise ging punktgenau auf. Obwohl sie noch gar nicht alle Recherchen gemacht hatte, war die Dramaturgie von Anfang an da. „Adolf Opel zum Beispiel war ein leeres Blatt“, sagt Bady Minck. „Ich machte mich auf die Suche nach dem Erben von Adolf Opel und konnte ihn tatsächlich ausfindig machen, mit ihm haben wir die Rechte von Adolf Opels Wüstenbuch geklärt. Gemeinsam haben wir den Erben auch getroffen, eine sehr interessante Begegnung. Ich machte auch die Briefe von Opel ausfindig, fand sie im Literaturarchiv der Wiener Nationalbibliothek. Für uns waren besonders die Briefe relevant, in denen es um Ingeborg Bachmann und ihre gemeinsamen Reisen ging, nach Prag, und vor allem nach Ägypten. Gemeinsam haben wir diese Briefe gelesen und viel über Adolf Opel gesprochen, damit sich Margarethe ein Bild machen konnte.“
Alexander Dumreicher-Ivanceanu wiederum erinnert sich an einen für ihn wichtigen Punkt in der Entwicklung des Projekts, als er von Trotta nach Kärnten begleitete, wo Ingeborg Bachmann aufgewachsen ist: „Wir wurden mit offenen Armen in ihrer Geburtsstadt Klagenfurt empfangen, besuchten das Robert Musil & Ingeborg Bachmann Museum, wo es schöne Texte aus ihrer Jugend und der Frühzeit gibt, besuchten ihr Grab und atmeten diese ganz spezielle, eigene Atmosphäre ein, die in Kärnten und am Wörthersee zu spüren ist.“ Die Tage in Klagenfurt auf den Spuren von Ingeborg Bachmann, um sie, ihre Kindheit, Jugend, ihre Literatur zu verstehen, empfand der Produzent als „wirklich faszinierend. Auch zu erleben, wie sich Margarethe Ingeborg Bachmann in den vielen Gesprächen, die wir führten, genähert hat, sei es im Literaturarchiv, sei es beim Treffen mit der Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap, sei es durch das Sitzen am Wörthersee, um zu verstehen, wie auch eine Landschaft auf einen Menschen wirken kann.
Aus meiner Perspektive ist dadurch ein schönes Bündnis für diesen Film entstanden. Aus AMOUR FOU-Sicht haben wir den Film sowohl in Österreich als auch in Luxemburg mit aller Kraft entwickelt. Ein Projekt, das aus dem Herz von AMOUR FOU stammt.“ Und dann immer gemeinsam mit tellfilm vorangetrieben wurde, die die Recherchen in Zürich zu Max Frisch unterstützten. Bei ihren Reisen in die Schweiz besuchten Margarethe von Trotta und Katrin Renz das Haus, in dem Ingeborg Bachmann und Max Frisch gemeinsam lebten. Sie bekamen in der Max Frisch Stiftung Zugang zu allen bereits veröffentlichten Tagebüchern und Schriften Max Frischs, trafen Zeitgenossen, tauschten sich mit dem Frisch-Biographen Jan Schütt aus und ließen die Schweiz und das protestantische, enge Zürich auf sich wirken.
Punktgenaue Auswahl: Vor und hinter der Kamera
Von ebenso entscheidender Bedeutung für das Gelingen des Films war die Besetzung der Hauptrollen. Vicky Krieps mag einem nicht sofort einfallen als Darstellerin von Ingeborg Bachmann, zu verschieden erscheinen das Aussehen und das Wesen der beiden, zumal Krieps aus Luxemburg stammt und nicht aus Österreich. „Ich hatte früher schon einmal mit Vicky über Ingeborg Bachmann gesprochen und sie vertraute mir an, dass Ingeborg Bachmann in ihrer Ambivalenz und ihrem hochkomplizierten Wesen eine Traumrolle für sie wäre“, erzählt Bady Minck, „und ich war mir sicher, dass Vicky mit ihrer hoch-intuitiven Herangehensweise es schaffen würde, sowohl die hohe Verletzlichkeit Bachmanns, als auch ihre enorme Tiefe und Stärke in einer Figur zusammenzubringen. „Tatsächlich haben wir schon früh intensiv über Vicky gesprochen, nicht zuletzt aufgrund ihrer Nähe zu AMOUR FOU“, berichtet Katrin Renz.
„Entscheidend aber war, dass sich Margarethe in Vicky verliebt und nicht wirklich andere in Betracht gezogen hat.“ Ebenso stand schnell fest, dass Max Frisch nicht von einem Schweizer gespielt werden würde, da im Casting mit Simone Bär nicht der passende Schauspieler gefunden wurde. Ronald Zehrfeld brachte all die Eigenschaften mit, die sich Margarethe von Trotta für ihre männliche Hauptfigur erwartete. „Für diesen Part bedarf es einfach einer gewissen darstellerischen Präsenz“, meint die Produzentin. „Und dann muss noch das Alter stimmen und das Können – es musste ja auch ein Darsteller sein, der nicht nur auf einer Augenhöhe mit einer Ausnahmekünstlerin wie Vicky Krieps spielen, sondern auch noch perfekt mit ihr harmonieren musste. Man muss nur einen Blick auf den fertigen Film werfen, und man weiß, dass wir mit Ronald die richtige Wahl getroffen haben.“
Als Adolf Opel wurde Tobias Resch besetzt, ein, wie Bady Minck sagt, „großartiger junger Schauspieler, eine Entdeckung aus Österreich. Wir haben lange nach einem passenden Adolf Opel gesucht, haben sogar Auslandsösterreicher zum Casting gerufen – die Rolle war schwierig zu besetzen. Opel war ja auch ein sehr kosmopolitischer Mensch, bi-sexuell, weit gereist, zugleich sehr wienerisch und jung! 28 sollte er ungefähr sein, damit man auch den Altersunterschied zwischen Bachmann und Opel merkt.“ Aus der Schweiz wurden die international bekannte Luna Wedler besetzt und der in London lebende Schauspieler Basil Eidenbenz, laut Minck „auch eine Entdeckung, da er eigentlich nur im anglophonen Raum spielt.“ Aus Luxemburg kam Marc Limpach an Bord, in der Rolle des Tankred Dorst, den er sogar persönlich gekannt hatte: Limpach führt ein Theater in Luxemburg, in das er Dorst zu Lesungen eingeladen hatte.
Das letzte entscheidende Puzzlestück: Bettina Brokemper stößt zum Team
„Wir hatten den Ehrgeiz, mit den kleinen Ländern zu beginnen - kleine Länder, wenn man die deutsche Perspektive einnimmt -, nämlich mit Österreich und der Schweiz, auch aus dem einfachen Grund, weil Bachmann aus Österreich stammt und Frisch aus der Schweiz“, sagt Bady Minck. „Dazu kam Luxemburg, wo Margarethe seit HANNAH ARENDT als quasi Ehren-Luxemburgerin angesehen wird. In allen drei Ländern wurde das Projekt in der Entwicklung unterstützt, das gab uns natürlich entsprechenden Rückenwind.“
Für die Herstellung war jedoch auch von Anfang an klar, dass Deutschland als weiterer Partner an Bord geholt werden sollte. „Ohne Deutschland ging es einfach nicht bei einem Projekt dieser Größenordnung“, erklärt Bady Minck. „Mit Margarethe als deutscher Regisseurin und Ronald Zehrfeld im Cast, zudem hat Bachmann viel in Deutschland gearbeitet. Wir möchten mit unserem Film viele deutsche Zuschauer*innen erreichen, und das Interesse von Seiten der deutschen Verleiher war riesig.“
Bettina Brokemper und ihre Heimatfilm waren die naheliegende Wahl. Sie war Produzentin von HANNAH ARENDT und hatte im Anschluss mit Margarethe von Trotta FORGET ABOUT NICK realisiert. „Es war uns auch klar, dass Margarethe bei einer derart komplexen Produktion, deren Dreh uns in sechs verschiedene Länder führen würde, eine direkte Ansprechperson brauchen würde, der sie blind vertrauen kann – zumal sie hinter der Kamera, wie bereits gesagt, mit Künstler*innen arbeitete, die sie noch nicht kannte und kein Vertrauensverhältnis hatte aufbauen können“, meint Katrin Renz. „Bei Bettina war das der Fall. Bei ihren ersten beiden gemeinsamen Filmen haben sie ein sehr inniges, zutiefst freundschaftliches Verhältnis aufgebaut – es gibt einem Sicherheit und Selbstvertrauen, wenn man weiß, dass da jemand ist, der hundertprozentig die gleiche Sprache spricht.“
Alexander Dumreicher-Ivanceanu merkt an: „Im Französischen heißt es so schön: ,Renvoyer l’ascenseur‘, den Fahrstuhl zurückschicken. Bei HANNAH ARENDT hat uns Bettina als Koproduzenten an Bord geholt. Es lag auf der Hand, wenn wir die Koproduktion von INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE um Deutschland erweitern, dass wir uns an Bettina wenden würden. So kam sie dazu. Es hat wunderbar funktioniert, weil wir uns schon kannten, es ist der dritte Film, den wir gemeinsam machen - Koproduktion Nummer vier steht bereits an, das neue Filmprojekt von Christoph Hochhäusler.“
„Ich liebe Margarethe, für sie würde ich alles machen – zumindest alles, was legal ist“, sagt Bettina Brokemper. „Diesmal war es aber ganz anders als bei HANNAH ARENDT, ein Filmprojekt, das ich über acht Jahre intensiv begleitet und vorangetrieben habe. Ich bin ja erst ein knappes Jahr vor Drehstart dazugekommen, habe die letzten beiden Drehbuchfassungen noch mitgemacht, aber im Grunde stand die Produktion bereits, der Film war besetzt, weitgehend finanziert, vieles war bereits auf den Weg gebracht. Ich habe schließlich den gesamten Dreh durchgeführt.“
„Ich fand es sofort ein spannendes Projekt“, sagt Bettina Brokemper. „Allerdings muss ich einräumen, dass ich bewanderter war mit Max Frisch als mit Ingeborg Bachmann. Frisch habe ich verschlungen als sehr junge Frau, in einem Alter, in dem man Literatur regelrecht aufsaugt und stark geprägt wird von ihr – und mit 16, 17, 18 oder 19 ging es zumindest mir so, dass mir Romane und Theaterstücke deutlich näherstanden als Lyrik. Ingeborg Bachmann habe ich deshalb erst später für mich entdeckt, konnte ihr aber nicht die Aufmerksamkeit schenken, wie das nun mal so ist, wenn man beruflich ständig eingebunden ist. Da liest man anders als in der Zeit, in der man Bücher gerade entdeckt. Ich wusste also um die Vita der beiden, um ihre Beziehung, um das Scheitern, aber so richtig erarbeitet habe ich mir Ingeborg Bachmann erst jetzt, im Zuge der Arbeiten an den Film.“
Über die Arbeit mit Margarethe von Trotta sagt die Produzentin: „Ich kann mir niemand vorstellen, mit dem das Arbeiten mehr Spaß machen würde. Sie ist klug, immer gut vorbereitet. Margarethe ist nie schlecht gelaunt, sie ist freundlich zu allen Menschen, schafft eine ganz wunderbare Arbeitsatmosphäre, in der jeder gehört und gesehen wird. Bei ihr können alle Beteiligten ihre beste Arbeit leisten, weil sie sich aufgehoben fühlen. Und sie hat als Autorin und Regisseurin die außerordentliche Qualität, die Essenz von Menschen zu treffen, mit ganz einfachen Mitteln und wenigen Strichen. Das geschieht bei ihr fast selbstverständlich, ohne Mühen und Anstrengung. Sie kann das einfach. Sie erfühlt ihre Figuren. INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE ist kein Dokumentarfilm und erhebt auch keinen Anspruch auf dokumentarische Richtigkeit. Und doch trägt der Film eine tiefe Wahrhaftigkeit in sich, er wird seinen Figuren immer gerecht.“
Die Finanzierung des 9 Millionen Euro Budgets gelang dann als 4-Länder-Coproduktion. Die allererste Zusage kam vom Österreichischen Filminstitut, gefolgt vom ORF, der über das Film/Fernsehabkommen an Bord kam, den Schweizer Förderinstitutionen Bundesamt für Kultur und Zürcher Filmstiftung, dem Filmfonds Wien und dem Schweizer Fernsehen. Die größte Summe steuerte mit 1.500.000 € der Film Fund Luxembourg bei, und auf deutscher Seite war die Filmstiftung NRW federführend in der Finanzierung. Die Schluss-Steine setzten die automatischen Fördersysteme FISA, FISS und DFFF und schließlich Eurimages – und ZDF/ARTE, die noch im Zuge der Produktion an Bord kamen. Eine wichtige Rolle spielten die Verleiher – Alamode/MFA+, Filmcoopi und Polyfilm – und der World Sales The Match Factory, die sich mit substantiellen MGs beteiligten.
Foto:
Margarethe von Trotta
©Manfred Breuersbrock
Info:
Besetzung & Stab
Ingeborg Bachmann. VICKY KRIEPS
Max Frisch. RONALD ZEHRFELD
Adolf Opel TOBIAS RESCH
Hans Werner Henze. BASIL EIDENBENZ
Marlene LUNA WEDLER
Tankred Dorst MARC LIMPACH
Regie, Drehbuch MARGARETHE VON TROTTA
TECHNISCHE DATEN
Schweiz/Österreich/Deutschland/Luxemburg 2023 Laufzeit: 110 Min.