zu zweitVERSO SUD 29 vom 24. November bis 6./30. Dezember im Kino des DFF Frankfurt, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der junge Regisseur Fulvio Risuleo war nach Frankfurt gekommen, um seinen Film aus dem Jahr 2022 vorzustellen. Er ließ die Zuschauer und Zuschauerinnen sich erst einmal ihren eigenen Eindruck machen und antwortete nach dem Film erst auf die Fragen von Franco Montini und dann des Publikums. Und da war ein großer Fragebedarf, denn es handelt sich um einen ausgesprochen interessanten Film.

Ob dieser Film ein Krimi noir sei, ein Psychodrama, ein Roadmovie durch die Nacht, einfach eine dunkle Geschichte oder Machtmißbrauch durch einen Polizisten zeige, das sei unklar, war dann die erste Frage nach dem Film, die dem Regisseur ausnehmend gefiel, fühlt er sich doch gerade in dieser Uneindeutigkeit wohl. Ja, noir auf jeden Fall.

nottDer Film ist ungewöhnlich, weil er lange und eigentlich bis zum Schluß gar nicht aufdeckt, was das Handeln seines Protagonisten, des namenlosen Polizisten (Edoardo Pesce) in Roms Außenbezirken bestimmt. Doch der Film beginnt mit dem 17jährigen übergewichtigen Tarek (Yothin Clavenzani) , der so ein typischer, eigentlich harmloser und lieber Jugendlicher ist, der einen Ägypter als Vater und eine Indonesierin als Mutter hat, der er ähnelt. Er wird sich gleich mit Freunden treffen und wird von diesen telefonisch gebeten, einen kleinen Umweg zu machen und ihnen von den Zwischenhändlern im Park Gras mitzubringen. Er selbst nimmt so ein Zeug nicht. Auch nicht Alkohol.

notteIhn hat besagter Polizist in Zivil in seinem Auto beobachtet, spricht ihn an, zwingt ihn, in seinen Wagen zu steigen und fährt mit ihm angeblich auf die Wache, aber doch ziellos durch die Stadt - eine ganze Nacht hindurch, in der sich das Verhalten des Polizisten von derb, gemein und gewalttätig zu freundlich zugewandt, edel, hilfreich und gut wandelt und wieder zurück.In dieser Nacht passieren unglaubliche Dinge, mal agiert der Polizist als solcher, will Leute festnehmen und auf’s Revier bringen, mal wird er selbst von der Polizeistreife angehalten, weil er gar keinen Dienst hat, sich aber als Ordnungshüter aufspielt, was er durch eine dramatische Flucht mit dem Auto immer schlimmer macht. Aber er schafft es, hängt die Kollegen ab und fährt weiter. Längst hat auch Tarek in dem Polizisten einen armen Verzweifelten erkannt und aus seiner Furcht, was diese mit ihm vorhat – denn er will seinen Eltern keine Schande machen – ist Mitgefühl mit diesem eigenartigen und verzweifelten nochmalaPolizisten geworden.

Das ist psychologisch interessant, weil Teile des Stockholm-Syndroms eine Rolle spielen, aber auch das echte menschliche Mitgefühl des Jungen, als er entdeckt, wie einsam sein ‚Gefängniswärter‘ ist, der ihn erst im Auto einsperrt und ihm dann die Freiheit schenkt, ja ihn geradezu aus dem Auto treibt. Doch nicht mit Tarek! Denn der steigt zwar aus, versteckt sich jedoch in der nächsten Straße und folgt seinerseits dem Polizisten, der sein Auto verläßt, durch die Straßen streicht und sich dann an das Ufer eines Flusses begibt. In der Schlußeinstellung sieht man die Kleider des Polizisten ordentlich zusammengelegt mit seinen Sachen am Ufer liegen. Ordnung im Chaos.

regisseurIm anschließenden Gespräch, das wieder charmant und zügig von Marina Grones hin und her, ins Deutsche und Italienische gebracht wurde, ging es lange um den potentiellen Hintergrund dieses Polizisten. Ist er psychisch krank, eine bipolare Persönlichkeit, ist er durch familiäre Schwierigkeiten in diese Verfassung geraten oder sind umgekehrt diese durch seine Persönlichkeitsstörung eingetreten? Man weiß es nicht. Was man aber weiß, ist, wie in dem braven Jungen, der nichts falsch machen will, der Angst hat, um seine Freilassung bittet und bettelt, der seinen Eltern keine Schande machen will und verstört das Verhalten des Polizisten beobachtet, nach und nach eine Verantwortung für diesen Verstörten mit dem wirren Tun fühlt und ihm helfen will.

Die beiden Schauspieler harmonieren in ihren jeweiligen Rollen, da ist nichts Aufgesetztes, alles entwickelt sich übersichtlich und schlüssig, das Drehbuch, das ebenfalls Risuleo verantwortet, ist die Grundlage für das nicht nachlassende Interesse des Zuschauers an der Filmhandlung, die nie langweilt, obwohl es ja 83 Minuten immer um die Zwei geht. Wie gesagt: ein interessanter Film und eine anregende Diskussion unter lebhafter Beteiligung des Publikums.


Fotos:
Redaktion
Verleih

Info:
Regie und Drehbuch Fulvio Risuleo
Besetzung:
Edoardo Pesce, Yothin Clavenzani