Bildschirmfoto 2023 11 29 um 20.28.28Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. November 2023, Teil 1

Redaktion

Paris (Weltexpresso) – 
Die verborgenen Wege zu nehmen, nach Lichtungen zu suchen hinter Brombeergestrüpp, war die einzige Möglichkeit, der Maschinerie der Stadt und der Gefangenschaft toter Bildschirme zu entkommen.“

 

 
Wie ist dieser Film entstanden?

Zwischen zwei Filmen hat man immer eine Übergangsphase, die unangenehm ist. Man fühlt sich verloren, ist voller Zweifel, denkt zu viel nach. In so einer Phase entdeckte ich „Auf versunkenen Wegen“ von Sylvain Tesson. Ich habe alle seine Bücher gelesen und als ich von seinem schrecklichen Unfall in Chamonix erfuhr, hat mich das sehr berührt. Als ich dann sein Buch „Auf versunkenen Wegen“ las, hatte ich den Eindruck, dass Sylvain bei sich angekommen war. Am Ende des Lockdowns entstand dann dieses Projekt, aus dem Gefühl heraus, dass ich genug hatte vom Stadtleben und mich wieder mehr mit der Natur verbinden wollte. Und mit dieser Wanderung, bei der Sylvain Tesson die Diagonale du Vide in Frankreich durchquert und den ländlichen Raum umarmt, gab es ein Thema für einen Film.

 

Was schätzen Sie am Schriftsteller Sylvain Tesson?

Für mich ist er der Reiseschriftsteller schlechthin. Allerdings wird er nur selten persönlich und so muss man als Leser wie ein Archäologe vorgehen. In jedem seiner Bücher ist man bei ihm, hat das Gefühl, ihn auf seiner Reise zu begleiten. Aber man erfährt nur wenig darüber, was er wirklich empfindet. Bei Sylvain muss man den Presslufthammer ansetzen, um den Schiefer oder den Kalkstein zu zertrümmern. Dadurch wurde mir klar, wie intim und persönlich dieses Buch wirklich ist. Es ist eine Art Auto-Fiktion.


Was war der entscheidende Grund diesen Film zu machen?

Es gibt einen Satz in „Auf versunkenen Wegen“, in dem Tesson schreibt, dass der einzige Grund, warum er Frankreich zu Fuß durchqueren wollte, auf einem zerknitterten Stück Papier zu lesen war, das er tief unten in seinem Rucksack aufbewahrte. Dieser Satz am Anfang des Buches ließ mich nicht mehr los und ich fragte mich, was dahinterstecken könnte. Ich sagte mir, dass es zwingend eine Frau sein muss. Und die Tatsache, dass es in der Erzählung diesen Kern von Intimität und Vertrautheit gibt – und damit die Chance, sich dem Innersten der Figur zu nähern – war, machte das Ganze für mich zu einem Filmstoff.

 

Wie sind Sie bei der Adaption vorgegangen?

Ich teilte mir die Arbeit mit Diastème (der Künstlername des in Frankreich bekannten Schriftstellers und Drehbuchautors Patrick Asté). Er kümmerte sich um das Literarische, also das Skelett, das ich mit Fleisch füllen musste. So brachte ich die Rückblenden und alle Szenen mit ein, die etwas über die Psyche der Hauptfigur aussagen. Beim Schreiben des Drehbuchs ließ ich mich von einer Grundidee leiten: Es geht in der Geschichte ja nicht um Leistungsfähigkeit, sondern um einen Mann, der die Zeit anhält und dabei das Land durchquert. Es ist ein Film und damit ein Buch über Wiedergutmachung. Ich liebe die Natur, aber wollte auf keinen Fall einen Film drehen, der eine Postkartenidylle bedient und der wie ein Werbefilm für das Fremdenverkehrsamt von Larzac wirkt. Die Natur ist die Grundlage, in die die Figur eintaucht. Für Sylvain ist sein Buch wie das Gespräch zwischen der Landschaft und sich selbst. Sobald wir gehen, wenn wir allein sind, befinden wir uns in einer Selbstreflexion. Es ist eine Reise in das eigene Innere. Sylvain Tesson spricht von „l’énergie vagabonde“. 

 

Was war Ihnen bei der Umsetzung wichtig?

Mir war klar, dass ich den Film nur mit einem kleinen Team von etwa zehn Personen drehen möchte. Während des ersten Lockdowns machte ich mich auf die Suche nach den Drehorten. Auf keinen Fall wollte ich einen Film drehen, ohne selbst diese Wanderwege gegangen zu sein. Mit Arnaud Humann, Sylvains Reiseführer, begab ich mich auf die Reise. Wir fuhren die Strecke hauptsächlich im Auto ab, an einigen Tagen sind wir aber tatsächlich gewandert. Mir war es wichtig, mich in die Fußstapfen Sylvains zu begeben, die Schwierigkeiten beim Wandern, aber auch die Annehmlichkeiten eines Biwaks, selbst zu spüren. Dabei trafen wir auf sehr unterschiedliche Menschen, auf Jäger und Bauern. Das floss dann mit ins Drehbuch ein. Für die Szene mit dem Bauern zum Beispiel habe ich die Dialoge nach meinem Treffen mit ihm komplett neu geschrieben. Und am Ende habe ich ihn engagiert, um seine eigene Rolle zu spielen.

  

Wie wichtig waren für Sie die Rückblenden, die Zufallsbekanntschaften, Freunde und Familienmitglieder von Pierre?

Als Sylvain uns bei den Dreharbeiten besuchte, beobachtete ich, wie er mit den Bauern umging, sich mit ihnen unterhielt. Er agiert dabei sehr natürlich, solche Begegnungen sind ihm vertraut. Man erfährt viel über ihn durch die Menschen, denen er begegnet. Das mitzuerleben war hochinteressant. In der Szene mit der jungen Frau, der er ein Stück Käse abkauft, spürt man, dass es auch um Verführung geht. Aber man merkt, wie sehr sich Pierre im Griff hat, wie defensiv er agiert. Er geht seinen Weg, lässt sich nicht ablenken. Später erfahren wir, dass Pierre durchaus ein Lebemann sein kann, wenn er sich in Gesellschaft befindet. Dann ist er für weibliche Reize durchaus empfänglich. Ich wollte solche subtilen Dinge herausfiltern, sie aber nicht überbetonen.

 

Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie Regie führen?

Für mich ist es notwendig, selbst hinter der Kamera zu stehen, zu schwenken und den Bildausschnitt auszuwählen. Wenn man bei einem Film wie AUF DEM WEG nicht sehr nah an den Schauspielern ist, kann man ihnen bestimmte Dinge nicht sagen oder mitgeben. Die Kamera dreht sich ständig um 360 Grad, wir filmen die Hauptfigur entlang eines Tals, bis sie von dort aus dem Bild verschwindet. Man muss darauf achten, dass im Schnitt keine Probleme entstehen. Daher musste ich hinter der Kamera stehen und teilte mir die Arbeit mit meiner Kamerafrau Magali Silvestre de Sacy. Wir beschlossen auch, nur mit einer einzigen Kamera zu drehen. Das zwingt einen dazu, wenig aufzulösen, die Einstellungen so lange wie möglich stehen zu lassen und immer in Bewegung zu bleiben. Wir filmen einen Protagonisten, der durch ein Tal geht, nicht umgekehrt. Und diese Arbeitsweise macht den Film aus: Zunächst findet man die optimale Kameraposition, bleibt dann bei der Figur, die am Feuer sitzt, ein Buch herausnimmt, liest, es wieder hinlegt, eine Zigarre raucht, Holz nachlegt ... Und es war wirklich diese Länge, die ich suchte. So umgeht man Schauspielerreflexe und setzt verstärkt auf das Unterbewusstsein.

 

Wie waren die Drehbedingungen?

Wir konnten den Film in der gleichen Zeitspanne drehen wie bei Sylvains Reise: zwischen Anfang September und Ende November. Pierre ist kein Wanderer. Er ist zu Fuß unterwegs, schaut auf seine Karte und legt jeden Tag eine bestimmte Strecke zurück. Er weiß, dass er nicht mehr im Freien schlafen kann, wenn der Winter kommt, also muss er diesen Rhythmus beibehalten. Ich wollte eigentlich in der Hitze des Spätsommers anfangen zu drehen, so dass Pierre nach und nach von Wind und Frost eingeholt wird. Aber genau dann kam ein sehr milder Herbst mit Temperaturen um die 12 Grad. Glücklicherweise gab es auch Regen und Kälte. Die Herausforderung bestand ursprünglich darin, dass die Hauptfigur am Anfang des Films von der Hitze überwältigt wird. Pierre sollte schwitzen. Stattdessen bekamen wir Regen. Wir konnten bei den Dreharbeiten nicht an vorherige Drehorte zurückkehren. Für einen Regisseur ist das eine Katastrophe (lacht). Wahrscheinlich haben wir nur ein- oder zweimal am selben Ort geschlafen. 

Wir mussten uns als Drehteam, wie die Hauptfigur, immer vorwärtsbewegen. Aber Sylvain Tesson sagt immer, um frei zu bleiben, sollte man nie mehr als zweimal am selben Ort schlafen.

 

Welcher Schauspielertyp ist Jean Dujardin?

Jean ist ein Schauspieler, der hart und viel arbeitet. Man muss bei ihm ebenso schnell sein wie er, sich Fragen stellen, bevor er sie stellt und Antworten parat haben. Er ist jemand, der sehr verfügbar ist. Für ihn zählt nur der Film. Ich wollte bei Jean erreichen, dass er sich fallen lässt, ihn auf seinen Kern reduzieren, dass bei ihm alles aus seinem Inneren kommt. Er ist ein Schauspieler, der es konkret und realistisch mag. Er muss die Dinge spüren. Mir war es wichtig, dass die Schauspieler, die mit Jean zusammenspielten, immer am Abend vorher anreisten und dann mit ihm gemeinsam zum Abendessen gingen. Sie trafen auf einen Mann voller Empathie. Jean schafft sofort eine Verbindung zu den Menschen. Er ist ein sehr kameradschaftlicher Schauspieler, er reicht seinen Partnern die Hand und sorgt dafür, dass man sie gut wahrnimmt.

Fotos:
©Verleih

Info:
AUF DEM WEG
(OT: SUR LES CHEMINS NOIRS)
Drehbuch DIASTÈME, DENIS IMBERT
Nach der Erzählung „Auf versunkenen wegen“ von SYLVAIN TESSON

Regie.   DENIS IMBERT
Darsteller     Pierre Jean Dujardin

AUF DEM WEG ist eine Produktion von Radar Films, La Production Dujardin, TF1 Studio, Apollo Films, Echo Studio, France 3 Cinema, Auvergne-Rhône-Alpes Cinéma, unter Beteiligung von France Télévisions la région Auvergne-Rhône-Alpes und dem CNC OCS, mit der Unterstützung vom Institut national de l’information géographique et forestière und der Unterstützung des Département des Alpes de Haute-Provence und Alpes-Maritimes.

Abdruck aus dem Presseheft