VERSO SUD 29 vom 24. November bis 6./30. Dezember im Kino des DFF Frankfurt, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schon ein interessanter Typ dieser Caravaggio, der als Michelangelo Merisi am 29. September 1571 in Mailand geboren wurde, dessen Eltern aus Caravaggio kamen. Dieser Film stellt ihm bei aller ausufernder barocken Lebensentfaltung, also Wein, Weib und Gesang und dazu einen Mord, dennoch ein Ehrenzeugnis aus, stellt Regisseur Michele Placido den Künstler doch als Anhänger der pauperistischen Lehren heraus und beweist dies mit seinen großen Altarbildern, die im Film eine Hauptrolle spielen.
Pauperismus nennt man die mittelalterliche Kirchenbewegung, die an die Armut Jesu Christi anknüpft und in der persönlichen Lebensführung ein Armenideal anstrebt, konträr also zu späteren Prachtentfaltung der römischen Kirche in Renaissance und Barock, die zwiespältig auf die Armutsbewegung reagierte: mit Franz von Assisi ließ sie einen Heiligen zu, die Waldenser dagegen verfolgte sie.
Diese Lesart des Künstlers ist deshalb interessant, weil hierzulande auch durch die großen Ausstellungen in Berlin vorrangig seine erotischen, auch homoerotischen Gemälde mit den gewaltigen Blumen- und Fruchtmassen bekannt sind, die man heute durchaus pädophil nennen kann und die die Lust und die Fülle feiern. Also mit Pauperismus nichts zu tun haben. Aber viel mit dem Geschmack der Zeit, deren reiche Schicht solche Bilder in Auftrag gab und ein Künstler dieser Zeit malt, was er gut verkaufen kann.
Interessant auch, welche Künstlerdarstellung der Regisseur wählt: „Der Film stellt sich Caravaggio als Pop-Art-Künstler vor, der ein turbulentes Leben führt, wie man es heute wahrscheinlich in New York oder London führen würde. Im 17. Jahrhundert ist Rom die richtige Stadt für einen solchen Lifestyle: Sie ist der Mittelpunkt der damaligen Welt, ein Universum von Einwander:innen, Prostituierten, Priestern, Pilger:innen, Kardinälen, Fürst:innen und Verbrecher:innen; eine Welt von großem Reichtum und großer Armut, von Macht und Sklaverei, des fließenden Geldes in den Palästen und des hungernden Volkes auf den Gassen. Hier verlangt die Kirche der Gegenreformation nach Statuen, Gemälden, Kuppeln und Kolonnaden, um ihren Reichtum in einer gigantischen Werkstatt der Wunder zu feiern.“
Und dieses pralle Leben bleibt den Film über Hintergrund, wenn es erstmal darum geht, daß der wegen Mord an seinem Freund und Konkurrenten Ranuccio (Brenno Placido) gesuchte Caravaggio (Riccardo Scarmarcio) bei der Familie Colonna Unterschlupf findet. Ein Inquisitor ist auf ihn angesetzt, der „Schatten“ genannt wird (Louis Garrel:), für die Kirche die Wahrheit klären soll, vor allem nämlich, ob es stimmt, daß Caravaggio für die Heiligen auf seinen Altargemälden Prostituierte, Bettler, Verbrecher als Modelle nutzt. Der namenlose Schatte kreuzt zuerst bei Costanza Sforza Colonna (Isabelle Huppert) auf, die nur das Beste über den ihr seit der Kindheit bekannten Künstler erzählen kann, was die Huppert in bekannter Nonchalance brillant hinbekommt. Und so werden hintereinander die Geliebte und Prostituierte Micaela Ramazzotti (Lena Antonietti), sein Modell als Heilige Maria, Anna Bianchini, eine berühmt-berüchtigte Kurtisane (Lolita Chammah) und viele Weggefährten befragt. Es wird auch erwähnt, was für den Tourismus Maltas eine wichtige Sache ist: Caravaggio kam auf der Flucht vor dem Vatikan nach Malta, wo noch heute seine Enthauptung des Heiligen Johannes des Täufers als Touristenattraktion in der Johannes-Kathedrale hängt.
In den 120 Minuten ist echt was los und die differenzierende Darstellung des leidenschaftlichen Künstlers gelungen.
Foto:
©Verleih
Info:
Vorstellung am 30.11.
Wiederholung am 5. 12.