Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Dezember 2023, Teil 3
Tobi Baumann
Berlin (Weltexpresso) - GAGS, TIEFE UND WAHRHAFTIGKEIT - Ich kann nicht aus meiner Haut. Ich bin ein Kind der Unterhaltung, der Comedy sogar. Wenn ich eine Situation sehe, die Humorpotenzial hat, dann kann ich das nicht liegen lassen. Bei einem Film wie 791 km habe ich aber ganz bewusst versucht, nicht immer meinen inneren Impulsen nachzugeben, einen Gag auch mal liegenzu- lassen zugunsten der Emotion und der Tiefe der Figur. Ein Gag ist ein schneller Lacher, eine niedrig hängende Frucht. Aber wenn man die Emotion und Tiefe der Figur bedient, dann bleibt das länger haften. Wir haben uns viel Mühe gegeben, die richtige Mischung zu finden. 791 km soll lustig sein, man soll lachen können. Aber eben nicht nur. Für das Drehbuch sind wir viele Runden gegangen.
Gernot und ich sind beide große Dialog-Junkies, die die Dialoge noch mal und noch mal und noch mal umgedreht und nach den Proben ein weiteres Mal angefasst und an die Figuren angepasst haben. Für uns haben wir eine gute Mischung gefunden. Es gibt die Gags. Dann gibt es aber eben auch Raum, die Figuren atmen und echt sein zu lassen. Wenn Susi sagt: „Ich mag Kühe“ und Joseph antwortet: „Ich auch – in Scheiben, medium“, dann nimmt man den Gag mit. Er passt einfach zu gut, beschreibt aber auch die beiden Figuren. Oder Susi sagt: „Marianne, hast du einen Tampon für mich“ und sie antwortet „Seit 2005 nicht mehr“, dann ist das lustig, erzählt aber auch ganz Wesentliches. Es ging mir um echte Figuren – und nicht um Gags, die auf einem Tablett serviert werden, auf dem „Achtung, Comedy!“ steht. Es geht um genaue Beobachtung des Menschlichen. Wenn es stimmig ist, darf man auch schmunzeln oder sogar schallend lachen. Aber ebenso gibt es Momente, die einem zu Herzen gehen, vielleicht auch weinen lassen. Das freut mich, weil es ein Schritt in Richtung eines Humors ist, der mir sehr gefällt. Von dem ich glaube, dass er uns auch guttut. Das hat nichts damit zu tun, klug rüberkommen zu wollen. Es geht nicht um intelligenten oder nicht intelligenten Humor. Es geht um Wahrhaftigkeit. Um Liebe zu den Figuren, Liebe zur genauen Beobachtung dieser Figuren, um die gute Beobachtung der kleinen Dinge. Dann funktioniert beides viel besser, die lustigen Momente und die ernsten. Ich will die Figuren ernst nehmen und nicht verraten für einen Lacher. Ich will ihnen auf Augenhöhe begegnen, immer im Hinterkopf behalten, dass sie interessant und spannend bleiben. Und doch will ich die Freiheit haben, dann auch albern zu sein, wie etwa eine Figur eine Schwangerschaft vortäuschen zu lassen. Aber zu diesem Zeitpunkt habe ich ihr schon eine Stunde zu- gesehen und Anteil an ihrem Schicksal genommen. Mir war es wichtig, den Menschen in meinem Film nahe zu kommen und dann bei ihnen zu bleiben. Ich will nicht unterwegs aussteigen, sondern weiter mit ihnen fahren und wissen, wohin es für sie geht.
UMSETZUNG
Ich habe von Anfang an gesagt: Für mich entscheidet sich, ob der Film funktioniert, wenn wir im Auto sitzen. Für die Herangehensweise war dabei ganz klar, dass wir das technisch herstellen müssen, wenn wir mit fünf Leuten mit einem Auto unterwegs sind. Man kann nicht einfach von München nach Hamburg fahren und das mit der Kamera begleiten. Also haben wir das vor allem in einem Studio mit viel LED-Technik gemacht. Das hat uns vor viele neue Herausforderungen gestellt. Einerseits ist das natürlich ganz toll, weil es wunderbare neue Möglichkeiten gibt, um das nötige visuelle Umfeld zu schaffen. Aber man muss auch Fragen beantworten, mit denen man noch nie konfrontiert war. Ein bisschen Erfahrung hatten wir schon. Aber da bei uns der Film damit steht und fällt, dass man diese Fahrt über die nächtliche Autobahn glaubt, die in der Realität eigentlich stock- dunkel ist, mussten wir uns schon ordentlich strecken. Wir mussten neue Wege finden, was dazu führte, dass wir so genannte Backplates herstellen ließen mit neun Kameras, die genau so getaktet waren, dass sie immer in der Stunde vor oder nach dem Sonnenuntergang fuhren. Und wir suchten gewisse visuelle landmarks, die der Fahrt eine Geografie und einen Rhythmus geben. Wenn wir München verlassen, fahren wir an der Allianz- Arena vorbei, später an einem Chemiepark, durch Tunnels, über Brücken, passieren viele Baustellen und die obligatorischen leuchtenden Gewerbegebiete am Autobahnrand bis hin zur Elbphilharmonie.
FREIHEIT
Dann steht man im Studio, wo man sich innerhalb dieser zwölf mal fünf Meter großen LED-Wände bewegt, die man nicht sehen darf. Bei der vielen Zeit, die wir dort verbrachten, war es mir wichtig, dass es nicht zum reinen technischen Vorgang wird. Mir war klar, dass der Wagen eigentlich eine Eingrenzung war. In dieser sollten sich die Schauspieler aber frei bewegen können. Wir haben viel geprobt. Vor dem Dreh. Und während des Drehs, jeden Tag, vor der ersten Klappe, zogen wir uns in unseren längst legendären TextProbenRaum zurück und spielten alles minuziös durch. Am Ende funktioniert das deshalb, weil da fünf Leute drinsitzen, die von Anfang an wussten, dass sie in jeder Szene – auch wenn sie nur am Anfang einen Satz haben und dann nach fünf Minuten am Ende der Szene noch einmal einen Einwurf geben, der wichtig ist – immer ON sein mussten, die ganze Zeit dabei sein mussten. Zu sehen, dass das funktionierte, wie sich das gesamte Ensemble darauf ein- ließ, war eine einzige Freude. Da kann man nicht tricksen. Sonst geht das irgendwie immer. Bei uns nicht. Man kann die Ensembleleistung gar nicht genug hervorheben.
AUGENHÖHE
Bei 791 km geht es um die fünf Menschen im Auto. Punkt. Es geht für mich darum, schnell das Gefühl zu haben: Ich sitze mittendrin. Ich höre dem zu, dann höre ich dem anderen zu. Manchmal schaue ich mir einfach nur an, was die Figuren machen. Das war am wichtigsten. Das musste funktionieren. Wir konnten weitestgehend chronologisch drehen. Das war auch sinnvoll. Einzelne Szenen, die etwas intensiverer Vorbereitung bedurften, wie das gemeinsame Singen oder das Schleudern auf der Autobahn, mussten gesondert umgesetzt werden.
SONG
„Lean On Me“ ist ein großes Geschenk für 791 km. Weil der Song nicht nur ein Klassiker ist, auf den sich alle unterschiedlichen Generationen einigen können und der die nötige Stimmung erzeugt, sondern weil sein Inhalt sich förmlich deckt mit der Aussage des Films. Ich hatte immer im Hinterkopf, dass die Leute das Kino verlassen mit einem Lied auf den Lippen, einem Lächeln im Gesicht und einem Taschentuch in der Hand, weil die Augen noch feucht sind. „Lean On Me“ garantiert zumindest schon einmal das Erste. Und er war der genau richtige Song für unsere fünf Figuren im Auto. Fünf Menschen, die eine Verbindung zueinander aufgebaut haben, die wissen, dass sie sich aneinander anlehnen können. „Lean On Me“ eben.
ZUNEIGUNG
Ich bin sehr stolz darauf, diese Gruppe von Schauspielern zusammengebracht zu haben. Sie sind es, die diesen Film tragen, der jederzeit eine positiv zugewandte Gemeinschaftsarbeit war. Bei allem Stress, den ein solcher Dreh mit sich bringt, gab es immer eine Vereinbarung: das Gefühl zu haben, etwas zu machen, das nicht nur Spaß bringt, sondern auch einen Wert hat, erzählt zu werden. Es mag pathetisch klingen, aber alle Beteiligte vor und hinter der Kamera waren mit viel Liebe zur Sache miteinander verbunden. Wir hatten ein Gefühl des Miteinanders. Das bleibt immer noch hängen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich eine solche Stimmung auf den Film überträgt. Einen solchen Film kann man nicht machen, wenn sich die Leute hinter den Kulissen auf die Nerven gehen und sich nichts zu sagen haben. Eine gewisse Zuneigung aller zu der Sache und zuein- ander muss da sein, um ein solches Gefühl auf die Leinwand transportieren zu können. Und das war da. Ge- rade in der heutigen Zeit kann man stolz darauf sein, dass wir das geschafft haben. Einen echten Empathiefilm.
Foto:
©Verleih
Info:
BESETZUNG
Marianne. Iris Berben
Joseph Joachim Król
Tiana. Nilam Farooq
Philipp. Ben Münchow
Susi. Lena Urzendowsky
Polizist Kevin. Langston Uibel
Polizistin Birgit. Barbara Philipp
STAB
Regie, Idee
Tobi Baumann
Drehbuch Gernot Gricksch
Abdruck aus dem Presseheft