TV-Tipp im Rahmen vom Kinofestival im Ersten in der Nacht auf Sonntag, 17. Dezember 2023 im Ersten
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Constance Piponnier (Noémie Schmidt) ist eine nicht sehr erfolgreiche Studentin aus Orléans. Jetzt zieht sie gegen den Willen ihres Vaters, der einen Gemüsestand in Orleans betreibt, nach Paris, um dort ihr Glück zu finden. Sie findet eine bezahlbare Wohnung bei Henri Voizot (Claude Brasseur).
Monsieur Henri ist alles andere als ein umgänglicher Zeitgenosse. Denn eigentlich will der alte Griesgram gar keinen Mitbewohner für seine viel zu große Pariser Altbauwohnung. Die Anzeige stammt von seinem etwa 40jährigen Sohn Paul (Guillaume de Tonquédec), der meint sein Vater bräuchte jemand, der darauf aufpasst, dass Henri auch regelmäßig seien Medikamente einnimmt. Deshalb hat sich der gesundheitlich angeschlagene alte Mann auch nur widerwillig auf die Idee seines Sohnes eingelassen, ein Zimmer zur Untermiete auszuschreiben.
So findet Monsieur Henri in Constance eine Mitbewohnerin, die verzweifelt genug ist, sich seiner miesen Laune auszusetzen. Denn obwohl Henri Constance die Wohnung so madig wie möglich macht, will die junge Frau bei ihm einziehen, da die bisherigen Alternativen alle noch furchtbarer waren.
Constance und Henri richten sich in der Wohnung ein, auch wenn es für den alten Herrn schwer zu ertragen ist, dass die junge Frau sich über seinen umfangreichen Regelkatalog lustig macht, ihre Kleider und Fernsehmahlzeiten überall herumliegen lässt und sogar die Frechheit besitzt, in seine Pantoffeln zu schlüpfen oder auf dem ihm heiligen Klavier zu spielen und dann auch noch die Lieblingsstücke seiner vor 30 Jahren verstorbenen Frau – all das verbessert nicht gerade die Lage.
Als Constance aber die Miete und die Kaution nicht rechtzeitig zahlen kann, hält nur eine ungewöhnliche Idee Monsieur Henri davon ab, seine WG-Genossin wieder vor die Tür zu setzen. Er macht ihr den Vorschlag, dass sie sechs Monate mietfrei bei ihm wohnen kann, wenn sie dafür seinen Sohn Paul verführt. Denn noch viel weniger als Unruhe und Veränderungen liebt er seine Schwiegertochter Valerie (Frédérque Bel), die er für bigott und unterbelichtet hält. Constance soll ihm helfen, endlich Valérie loszuwerden. Constance lässt sich mit einigen Gewissensbissen auf das merkwürdige Geschäft ein. Sehr zur Freude seines alten Herren, zeigen ihre Avancen schon bald Wirkung bei Paul.
Während Constance Paul langsam aus der Bahn wirft, merkt Henri, dass die junge Frau mit ihrem Studium nicht glücklich ist und außerdem große Prüfungsangst hat. So ist sie zum Beispiel schon fünf Mal durch die Führerscheinprüfung gefallen und sie versagt auch ansonsten bei jeder anstehenden Prüfung. Sie würde viel lieber Klavier spielen und eigene Stücke komponieren, auch wenn sie auf den Rat ihres Vaters hin, schon vor vielen Jahren das Klavierspielen aufgegeben hat.
Henri mag zwar ein muffeliger alter Mann sein, aber er ist auch bereit über seinen Schatten zu springen und will seiner jungen Mitbewohnerin helfen, den Weg einzuschlagen, mit dem sie glücklich werden kann…
Regisseur Ivan Calbérac hat "Frühstück bei Monsieur Henri" zuerst als Theaterstück geschrieben. Das Stück unter dem Titel L’Étudiante et Monsieur Henri (2012) war schon ein außerordentlicher Erfolg auf den französischen Bühnen, bevor er selbst das Drehbuch zu seinem Film verfasst hat. Dabei blieben vom Theaterstück bewusst die wenigen Handlungsorte und die kammerspielartige Inszenierung übrig.
Calbérac konnte mit dem wunderbaren 2020 verstorbenen Claude Brasseur einen der besten älteren französischen Film- und Theaterschauspieler gewinnen, der den altersstarrsinnigen Monsieur Henri hervorragend herüberbringt.
Der Film lebt natürlich von dem Ekelpaket Henri Voizot, aber der Film steht und fällt auch mit seinem Gegenpart Constance. Wäre die junge Studentin nicht ähnlich starrköpfig und schlagfertig wie der alte Mann, dann würde kein Funke überspringen und der Humor würde verpuffen. Sie ist hinreißend, wenn sie Henris Bosheiten an ihrer jugendlichen Unbekümmertheit abprallen lässt. Gleichzeitig bewahrt sie aber ihre Sensibilität, besonders, wenn sie versucht Paul zu verführen und dabei Gewissensbisse hat.
Die Schweizerin Noémie Schmidt ist als Constance hier in ihrem ersten Spielfilm zu sehen. Sie hat an der Musikhochschule in Sion Musik studiert und war schon als Sängerin am Brüsseler Opernhaus La Monnaie engagiert.
Auch die Nebenrollen überzeugen. Guillaume De Tonquedecs Paul erlebt seinen zweiten Frühling, Frédérque Bels Valerie ist wirklich etwas bieder und nervig. Thomas Solivéres spielt Mathieu, einen jungen Mann, den Constance über ihren Nebenjob als Kellnerin kennenlernt und der sich am Ende seinen Herzenswunsch erfüllt und sie damit auch inspiriert.
Insgesamt zeigt "Frühstück bei Monsieur Henri" hervorragende französische Komödienkunst. Dabei behandelt der Film Familienkonflikte ohne ins Dramatische abzugleiten. Denn die Story entwickelt sich zu einer tiefsinnigen Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft, die beide Protagonisten verändert. Besonders Claude Brasseur und Noémie Schmidt zeigen eine Spielfreude, die den Film auch heute noch und zu etwas später Stunde unbedingt sehenswert macht.
Foto 1: Monsieur Henri (Claude Brasseur) kann mit seiner Mitbewohnerin Constance (Noémie Schmidt) wenig anfangen © ARD Degeto / Neue Visionen Filmverleih
Foto 2: Constance (Noémie Schmidt) macht Paul (Guillaume de Tonquédec) schöne Augen © ARD Degeto / Neue Visionen Filmverleih
Foto 3: Durch Constance (Noémie Schmidt, li.) gerät das Familiengefüge von Henri (Claude Brasseur) aus dem Ruder: Sohn Paul (Guillaume de Tonquédec, re.) erhebt die Stimme, seine Frau Valérie (Frédérique Bel) staunt © ARD Degeto / Neue Visionen Filmverleih
Info:
Frühstück bei Monsieur Henri (Frankreich 2015)
Originaltitel: L’Étudiante et Monsieur Henri
Genre: Tragikomödie
Filmlänge: ca. 96 Minuten
Regie: Ivan Calbérac
Drehbuch: Ivan Calbérac nach seinem eigenen Theaterstück
Darsteller: Claude Brasseur, Noémie Schmidt, Guillaume de Tonquédec, Frédérque Bel, Thomas Solivéres u.a.
FSK: ab 0 Jahren
″Frühstück bei Monsieur Henri″ wird im Rahmen vom Kinofestival im Ersten am So. 17.12.2023 um 00:10 Uhr gezeigt. Wiederholungen gibt es am Sa. 23.12.2023 um 18:40 Uhr, am So. 24.12.2023 um 13:55 Uhr und am Fr. 05.01.2024 um 06.40 Uhr jeweils bei ONE sowie am 2. Weihnachtsfeiertag, Di. 26.12.2023 um 08:30 Uhr beim WDR.