51jh9r4QftL. SX300 SY300 QL70 ML2 Ein Kinder- und Jugendfilm, der aber auch ein unterhaltsamer Familienfilm ist – seit heute auf DVD

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Richtig, ein Weihnachtsgeschenk in letzter Minute, das sich die Familie – und auch jeder Alleinstehende von 6 bis 106 Jahren - dann an den vielen diesjährigen Feiertagen anschauen kann. Es lohnt. Echt. Und wenn man den Film kurz beschreiben sollte: dann wäre es eine Melange zwischen einer jugendlichen Reise ins Ungewisse wie TSCHICK! und einer von der Provinz in die Hauptstadt Berlin wie EMIL UND DIE DETEKTIVE – und wie diese beiden Filme Bücher verfilmen, ist auch hier die literarische Vorlage der Roman von Martin Muser Grundlage.

Berlin spielt eine große Rolle, obwohl der Film immer nur die Reise nach Berlin zum Thema hat und auch danach die Ostsee eine Familienzusammenführung so innig wie aufregend macht. Es geht also um einen Jungen, Finn (Miran Selcuk), 10 Jahre alt, und eines der typischen Scheidungskinder, wo die Eltern wenigstens noch miteinander reden, aber ihre Absprachen nicht einhalten. Welch hartarbeitender Erwachsene würde nicht mitleiden, wenn der Vater (Ekrem Bora) seinem Sohn, der sich auf die gemeinsamen Ferien und die Paddeltour freut, mitteilen muß: geht nicht, überraschend kam ein Großauftrag für seinen Catering-Service, den er erst noch aufbauen muß.


Also muß die Mutter ran, die am Telefon nicht erbaut ist. Macht nix, der Sohn wird in den Zug nach Berlin gesetzt. Und schon, wenn man diesen vergammelten Typen mit verschlagenem Grinsen im Abteil sieht, wie er den Jungen betrachtet, weiß man, wie es weitergeht. Und das ist gut so, denn im Film will man zwar auch immer Neues sehen, aber ist auch sehr zufrieden, wenn sich die durch Eric Kästner genährten Erwartungen erfüllen. Mit Zaubertricks lenkt der fiese Typ ((Joachim Foerster) ) Finn ab und entschwindet mit dessen Rucksack bei der nächsten Haltestelle. Finn merkt das Fehlen seines Rucksacks, in dem alles, aber auch alles drinnensteckt, erst, als der Zug schon weiterfährt. Und als die Schaffnerin (Mirja Boes) kommt und die Fahrkarte sehen will, glaubt sie ihm kein Wort, sondern ruft die Polizei an die nächste Station. Und da auch sein Handy geklaut wurde, kann er seine Mutter nicht erreichen, weil er sich auf die Berliner Nummer seine Mutter nicht so recht besinnen kann, was ihn zusätzlich verdächtigt macht, weshalb er ins Polizeiauto gesteckt wird.

Ein bißchen dick aufgetragen die beiden Polizisten Hase (Gisa Flake) und Fuchs (Heiko Pinkowski): so dumm und so dick sind nicht alle, aber ein paar Lachnummern auf Kosten der Erwachsenen braucht man einfach – wobei noch genug Lachen kommt. Aber auch Weinen und Angst. Denn nur, weil die beiden Idioten, die Rede ist von den Polizisten, einen Superunfall bauen, taucht aus dem anderen Wagen die nur um ein Jahr ältere, aber um Lichtjahre clevere – so ist das mit den Mädchen und den Jungs! In diesem Alter erst recht – Jola (Lotte Engels) auf, ein blondes sanft aussehendes Mädchen, das es auch aus Enttäuschung über die Erwachsenen faustdick hinter den Ohren hat und dem überraschten Finn vorschlägt, gemeinsam stiften zu gehen und ans Meer zu fahren, ihr Sehnsuchtsort. Beide rennen los und sind erst schneller als die Polizisten und dann perfekt in einem Abfallwagen versteckt.

Jetzt beginnt der Hauptteil des Films, ein echter Roadmovie, ja Abenteuerfilm, weshalb man schon dieser weiten Landschaft wegen immer wieder an Tschick denken muß. Hinreißend die Szenen mit dem Traktor, den sie auf einem Bauernhof zweckentfremden und zur Weiterreise nutzen, was nicht lange gut geht. Sie treffen auf einige skurrile Exemplare der Gattung Mensch, die wichtigsten werden jedoch eine Rockerbande, wo immer der Name Hackmack fällt.

Und da kann man eine Menge lernen über die Moral dieser Rocker. Denn, weil Jola einfach fit ist, finden beide den Treffpunkt der Rockerbande – und sehen den Dieb! Der hat eine dicke Tasche dabei, sicher ist der Rucksack da drinnen! Chefin (Mirja Boes) der Rockerbande ist die so attraktive wie durchsetzungsfähige Hackmack (Leslie Malton), die erst zu den Kindern hält, dann aber dem fiesen Dieb glaubt. Aufgeben gilt nicht. Und mit wirklich artistischen Einlagen finden Jola und Finn den Rucksack, nehmen ihn an sich, was aber auffällt. Doch die Verfolgung unterbricht Jola mit einem superintelligenten Trick: Sie wirft eines der Motorräder um, das laut einen Diebstahl anzeigt und als Kettenreaktion das nächste Rad umwirft, was erneut den Lärm auslöst und so weiter! Jeder Rocker will sein Gefährt sichern.

Aber es hilft den beiden nicht. Sie sitzen in der Falle, lösen aber durch spitzfindiges Verhandeln ihr Problem: Finn darf seinen Rucksack behalten und der lügnerische Dieb wird aus der Rockerband ausgeschlossen, denn Typen, die Kinder beklauen, mit denen wollen Rocker nichts zu tun haben.

Jetzt muß der Film nur noch die Kurve kratzen, wie man das glückliche Ende für Finn mit dem glücklichen Ende für Jola zusammenbindet. Gute Idee, daß am Ostseestrand sich alle zusammenfinden. Daß beide Eltern von Finn glücklich sind, ihn wieder zu haben, hatten wir erwartet, aber daß auch die leicht schrägen Eltern von Jola, die von ihnen eine Standpauke erwartete, vor Glück, sie wiederzuhaben, Jola in die Arme schließen und küssen, erstaunt uns genauso wie Jola, mit deren glückseligem Gesicht der Film endet.

Beide Kinder spielen ihre Rollen perfekt. Der brave, leicht ängstliche Finn ist durch die bestandenen Abenteuer selbständiger und mutiger geworden, Jola ist die treibende Kraft, aber sie lernt, daß Erwachsene nicht immer enttäuschend sein müssen, daß man zudem nicht mit dem Kopf durch die Wand brettern muß, sondern durch Eingehen auf die Wünsche und Argumente anderer erfolgreicher ist.

Also noch einmal: ein unterhaltsamer und kluger Film von Regisseur Stefan Westerwelle für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, am besten zusammen schauen und sich dann den nächsten Familienasusflug überlegen.

Foto:
Umschlagabbildungen

Info:
BRD, 2023
FSK ab 6 freigegeben
Erscheinungstermin: 22.12.2023
Serie: Literaturverfilmungen
Genre: Komödie, Abenteuer, Kinder, Literatur
Spieldauer: 91 Min.
Regie: Stefan Westerwelle
Darsteller: Miran Selcuk, Lotte Engels, Eko Fresh, Gisa Flake, Heiko Pinkowski, Joachim Foerster, Mirja Boes, Leslie Malton, Florian von Manteuffel, Tim Gailus, Tristan Göbel, Felix von Manteuffel
Autor: Martin Muser
Sprache: Deutsch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Verleih: Weltkino