Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Januar 2024, Teil 6
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Fußballnationalmannschaft von Amerikanisch-Samoa hat 2001 bei der Qualifikation für die WM 2002 in Korea und Japan eine furchtbare 31:0-Niederlage gegen Australien einstecken müssen. Torhüter war Nicky Salapu (Uli Latukefu). Jetzt gilt sie nicht nur als eine der schlechtesten Fußballmannschaften der Welt, sondern sie steht auch in der Rangliste des Fußball Weltverbandes auch Platz 204 und damit an der letzten Stelle. Eigentlich sind die Bewohner von Amerikanisch-Samoa relativ relaxt, haben aber meist auch mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen. Außerdem sind sie sehr religiös, so dass zu gewissen Zeiten die Arbeit oder auch das Training wegen eines Gebetes ruht.
Doch die Niederlage hat an dem Selbstbewusstsein der Inselbewohner gekratzt. Auch 10 Jahre später hatte das Nationalteam immer noch keinen Sieg eingefahren und noch nicht einmal ein einziges Tor geschossen. Doch die Mannschaft wollte wieder an der Qualifikation für die nächste Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien teilnehmen.
Der Verbandsvorsitzende Tavita (Oscar Kightley) schlägt deshalb vor, dass neben dem einheimischen Nationaltrainer Ace (David Fane) noch ein ausländischer Trainer geholt werden sollte. Der Fußballverband heuert daraufhin den renommierten, aber in den USA gerade als Coach geschassten niederländisch-amerikanischen Fußballtrainer Thomas Rongen (Michael Fassbender) an. Der soll in den nächsten vier Wochen die Mannschaft auf Vordermann bringen, bevor sie zum ersten Qualifikationsspiel nach Tonga (Platz 202 der Weltrangliste) fliegen.
Rongen, der als jähzornig und sehr ambitioniert gilt, nimmt den Job nur sehr widerwillig an. Tavita macht ihm klar, dass seine Aufgabe ist, dass die Nationalmannschaft endlich ihr erstes Tor in einem Länderspiel schießen muss. Rongen eckt bei den tiefenentspannten Inselbewohnern mit seinem eisernen Training ziemlich schnell an. Vor allem mit der Pünktlichkeit nehmen es die Spieler nicht allzu genau. Deshalb macht das Team in der Folge auch nur wenig Fortschritte.
Doch langsam beginnt Rongen, sich auf die Eigenheiten der Insulaner einzulassen. Dabei hilft ihm vor allem Jaiyah (Kaimana), die nebenbei in der lokalen Bar als Kellnerin arbeitet. Jaiyah Saelua ist eine Faʻafafine, eine Person biologisch männlichen Geschlechts, die in der Kultur Polynesiens, vor allem in Samoa, sozial als Frau erzogen wurde und als solche betrachtet wird. Sie ist gleichzeitig die beste (Abwehr-)Spielerin der Männermannschaft. Dadurch entwickelt Rongen nicht nur ein Verständnis für die Eigenheiten der Insulaner, sondern die Spieler machen auch endlich Fortschritte.
Als dann am 22. November 2011 das Spiel gegen Tonga ansteht, müssen nicht nur die Spieler um ihren Mannschaftskapitän Jaiyah Saelua und Torhüter Nicky Salapu zeigen, was sie gelernt haben, sondern auch Thomas Rongen muss sich endlich seinen eigenen Problemen stellen…
Amerikanisch-Samoa erstreckt sich auf einige Vulkaninseln und zwei kleine Atolle in Polynesien. Es ist das größte US-Territorium südlich des Äquators. Trotzdem sind die etwa 50 000 Einwohner keine Staatsbürger der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern nur sogenannte US-National mit unbegrenzter Einreise- und Aufenthaltsberechtigung in den USA.
Regisseur von ″Next Goal Wins″ ist der neuseeländische Oscar-Gewinner Taika Waititi, der auch zusammen mit Iain Morris das Drehbuch verfasst hat, das wiederum auf der Dokumentation ″Next Goal Wins – Das Spiel ihres Lebens″ (2014) der Regisseure Mike Brett und Steve Jamison beruht. Waititi hat im Film selbst eine kleine Rolle als American Samoan Priest, mit der er den Film einleitet und auch beschließt.
Taika Waititi behält die Grundzüge der Dokumentation bei, erweitert sie um nette Nebenschauplätze und konzentriert sich dann auf die Geschichte eines abgehalfterten Trainers und seines Transgender-Starspielers. Dadurch hat er eine geistreiche Handlung geschaffen, wie die Bindungen, die durch die Zugehörigkeit zu einem Team entstehen oder wie Menschen bei der Überwindung von Trauer und Widrigkeiten helfen können.
Der Film wurde bereits 2019 gedreht – kurz nachdem Taika Waititi seinen Oscar-prämierten Film ″Jojo Rabbit″ (2019) fertig gestellt hatte und bevor er mit ″Thor: Love and Thunder″ (2022) einen weiteren Marvel-Film nach ″Thor: Ragnarok″ (2017) gedreht hatte. Doch dann gab es Verzögerungen sowohl durch Corona als auch durch die Missbrauchsvorwürfe gegen Armie Hammer, der in dem Film eine kleine Rolle als FIFA-Beauftragter Alex Magnussen hatte. Er wurde in Reshots durch Will Arnett ersetzt, dabei wurde dessen Rolle auch noch etwas erweitert.
Die Hauptrolle des niederländisch-amerikanischen Trainers Thomas Rongen wird vom deutsch-irischen Superstar Michael Fassbender gespielt. Fassbender ist – auch erblondet - eine perfekte Besetzung, denn er ist dafür bekannt, ernsthafte Charaktere mit tiefen psychologischen Fehlern hervorragend zu spielen. Sein Rongen ist gerade ganz unten, denn der amerikanische Soccer-Verband hat seine ständigen Gewaltausbrüche (und seine Erfolglosigkeit) satt und ihn deshalb entlassen. Seine Ex-Frau Gail (Elizabeth Moss) ist inzwischen mit Alex Magnussen, dem Chef der American Soccer Federation, zusammen. Ihm bleibt also eigentlich keine andere Wahl, als um die Welt zu einer verschlafenen Insel ohne Fußballgeschichte zu fliegen und zu versuchen, etwas Disziplin und Fußballgeist in die desolate Mannschaft zu bringen. Doch kurz darauf bereut er seine Entscheidung, da er auf Spieler trifft, die seine Überzeugung, dass Fußball wichtiger ist als Leben und Tod, nicht teilen. Doch es dauert etwas, bis er erkennt, dass nicht nur alle Spieler, sondern auch alle Offiziellen mehrere Jobs haben, darunter als Kameramann beim örtlichen Fernsehsender, als Barbesitzer, Kellner oder Taxifahrer.
Waititi zeigt auch, dass das Ungewöhnlichste dieser amerikanisch-samoanischen Fußballmannschaft nicht ihre tragische Unfähigkeit ist, ein Tor zu erzielen, sondern dass der beste Spieler und die Integrationsfigur ein Spieler ist, der sich gerade einer Hormontherapie unterzieht. Der Charakter basiert auf Jaiyah Saelua. Saelua war die erste offen nicht-binäre und transsexuelle Frau, die an einem Qualifikationsspiel zur FIFA-Weltmeisterschaft für Männer teilnahm. Sie ist – wie der Film während des Abspanns auch zeigt – inzwischen zu einer globalen Gleichstellungsbotschafterin der Organisation geworden. Die Rolle wird in ihrem Schauspieldebüt von der nicht-binären samoanische Schauspielerin Kaimana hervorragend als eine freundliche, weichherzige Seele dargestellt, die allerdings eine dämonischen Ader hat, wenn man ihren wunden Punkt berührt.
Auch wenn in einer kurzen emotionalen Sequenz Jaiyahs Probleme mit der Hormontherapie zum Vorschein kommen, wird das Geschlecht der Spielerin größtenteils heruntergespielt, da nur der westliche Außenseiter ihren Auftritt im Team seltsam findet. Sobald Rongen seine Vorurteile überwunden hat, wird Jaiyah einfach ein Mitglied des Teams behandelt. Dadurch vermeidet der Film bewusst eine Diskussion über den heftig diskutierten Status von Transgender-Sportlern im Sport.
Während der Dokumentarfilm die Story mit großer Sorgfalt und Aufrichtigkeit erzählt, legt Taika Waititi als Regisseur großen Wert darauf, die Geschichte in eine umfassende, unbeschwerte Komödie zu verwandeln und dabei doch die gesellschaftliche Relevanz zu bewahren und die Unfähigkeit der Spieler nicht zu verurteilen oder der Lächerlichkeit preis zu geben.
Insgesamt ist ″Next Goal Wins″ eine charmante Komödie über liebenswerte Underdogs, die versuchen, über sich hinauszuwachsen. Dabei stört es überhaupt nicht, dass der Sportfilm eigentlich keine Ecken und Kanten hat. Regisseur und Drehbuchautor Taika Waititi beweist auch in dieser Komödie wieder, dass er durch ein wunderbar leichtes Skript seinem Publikum ungefilterten Eskapismus liefern kann. Es ist ein Film, der lustige Witze mit zeit-geistigen Gesellschaftskommentaren erfolgreich mischt. Damit ist ″Next Goal Wins″ der perfekte Film für alle, die ein bisschen gute Laune brauchen, einfach mal wieder herzhaft lachen möchten und den Kinosaal mit einem Lächeln auf dem Gesicht verlassen wollen.
Foto 1: Die Fußballspieler zusammen mit Thomas Rongen (Michael Fassbender) © 20th Century Studios
Foto 2: Oscar Kightley als Tavita und Michael Fassbender als Thomas Rongen © 20th Century Studios
Foto 3: Michael Fassbender als Thomas Rongen und Kaimana als Jaiyah Saelua © 20th Century Studios
Foto 4: David Fane als Trainer Ace, Michael Fassbender als Thomas Rongen und Armani Makaiwa als Armani © 20th Century Studios
Info:
Next Goal Wins (USA, Großbritannien 2023)
Originaltitel: Next Goal Wins
Genre: Komödie, Sportfilm, Fußball
Filmlänge: ca. 104 Min.
Regie: Taika Waititi
Drehbuch: Taika Waititi, Iain Morris
Darsteller: Michael Fassbender, Elisabeth Moss, Will Arnett, Oscar Kightley, David Fane, Beulah Koale, Lehi Falepapalangi, Semu Filipo, Uli Latukefu, Rachel House, Kaimana u.a.
Verleih: Walt Disney Motion Pictures Germany
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 04.01.2024