Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Januar 2024, Teil 2
Redaktion
Hollywood (Weltexpresso) – 1957, im ersten Jahr von Elvis’ Ruhm, als sich Horden von Fans vor seinem Haus in Memphis versammelten, kaufte Presley sein Traumhaus: die Graceland Farms, ein 1939 errichtetes Anwesen samt Villa im Kolonialstil und acht Schlafzimmern. Elvis konnte nicht ahnen, dass das für 100.000 Dollar erworbene Anwesen später zu einem Wahrzeichen der USA werden würde, zu
einem Americana-Mekka, das jährlich von einer halben Million Menschen besucht werden würde.
Für Elvis war es schlicht ein Zufluchtsort. In seinem Bemühen um Privatsphäre ließ er das 1.600 m² große Haus mit einer rosafarbenen Feldsteinmauer umgeben, um sich ein Refugium außerhalb der Reichweite neugieriger Paparazzi zu schaffen. Coppola wollte das Publikum in ein Graceland entführen, das Außenstehende nicht zu sehen bekommen, in die zarte Seifenblasenwelt, die Priscilla 1963 mit großen Augen und großer Angst betrat, und nicht in einen Kitschpalast oder eine Touristenattraktion. Ein Graceland voller zuckersüßer Farben, flauschiger Texturen und bedeutungsschwangerem Kindheitsschmuck. Ein Graceland, das sowohl aus der Fantasie als auch aus der Sehnsucht nach einem Zuhause entstanden ist. Ein Graceland, das zugleich verführerisch und einsam ist.
Für die visuelle Umsetzung stellte sie ein Team aus bewährten und neuen kreativen Mitarbeitern zusammen. Obwohl Coppola für all ihre Filme exquisite erlesene Designs entwickelt, fühlte sie die kreativen Elemente diesmal anders zusammenfließen. „In gewisser Weise fühlte sich dieser Film an, als kämen alle meine bisherigen Erfahrungen zusammen“, sagt sie. Der Oscar®-nominierte Kameramann Philippe Le Sourd, mit dem Coppola bereits an The Beguiled und On the Rocks gearbeitet hatte, brachte seine Sensibilität und sein gutes Auge für Lichtspiele in die Dreharbeiten ein, die hauptsächlich in Innenräumen stattfanden. „Philippe ist ein so guter Zuhörer“, sagt Coppola. „Er verstand genau, was ich mit dem Film erreichen wollte, und half mir nicht nur, die Epoche einzufangen, sondern vor allem, komplexe und innere Gefühle visuell zu vermitteln. Wir haben lange darüber gesprochen, wie wir es schaffen können, dass man in jeder Einstellung das Gefühl hat, die Welt durch Priscillas Augen zu sehen.“
Die Produktionsdesignerin Tamara Deverell, die kürzlich für ihre Arbeit an Guillermo Del Toros Noir-Film Nightmare Alley für einen Oscar® nominiert wurde, fand in Coppola eine begeisterte Mitarbeiterin. So begaben sich die beiden auf eine fantasievolle kuratorische Reise und errichteten auf den Tonbühnen in Toronto ihr eigenes Mini-Graceland. Die Werke des in Memphis geborenen Fotografen William Eggleston aus den 60er Jahren – mit seinen sinnlichen Farben und seiner Betonung der sonderbaren Schönheit von Alltagsgegenständen – waren dabei ein wichtiger Einfluss. „Eggleston war die allererste Referenz, die Sofia mir gab, und wir haben uns diese Art von Komposition und Farbqualität wirklich zu eigen gemacht“, sagt Deverell. Coppola ließ Deverell von Anfang an wissen, dass sie eher einen impressionistischen als einen hyperpräzisen Ansatz im Sinn hat. Dieser Idee folgend, entwarf Deverell Graceland so, wie es aussah, als Priscilla dort lebte. Davon ausgehend machte sie alles noch haptischer und verführerischer, als ob es tiefen, melancholischen Erinnerungen entsprungen wäre. Coppola gab Deverell schon früh die Richtung vor: Wenn Priscilla zum ersten Mal aus ihrem behüteten Leben in Deutschland nach Graceland kommt, sollte es sich anfühlen, als würde sie „eine Hochzeitstorte betreten“.
Das Ergebnis ist eine fast essbare, köstliche Palette aus weichen, kandierten Farben. „Priscillas Graceland ist eine Welt aus Pastellrosa, Babyblau, sattem Gold und Cremetönen“, sagt Deverell. „Es ist unsere eigene Vorstellung von ihrer Welt, die in ihren Konturen aber immer noch dem echten Graceland ähnelt. So entsteht die Idee, dass Priscilla aus der dunklen, trostlosen Palette ihres Lebens in Deutschland in eine Welt voller Wärme und Farbe, voller Blumen, Swimmingpools und Sonnenlicht gelangt. Wir haben wirklich hart gearbeitet, um die Farbpalette des Films richtig zu treffen.“ Nach dem Auszug von Priscilla ließ Elvis Graceland Mitte der 70er Jahre komplett renovieren. Was Touristen heute sehen, ist die renovierte Villa, in der er bis zu seinem plötzlichen Tod 1977 lebte. Das gab Deverell noch mehr Spielraum. „Ich würde das, was wir gemacht haben, mit dem Schreiben einer poetischen Ode an Graceland vergleichen“, sagt sie. „Es ging mehr darum, mit den Ideen dieser beiden Figuren zu spielen und wie sie die Dinge sehen. Sofia und ich wollten wirklich den Teil des Gehirns ansprechen, der einem das Gefühl gibt, in eine Erinnerung einzutauchen. Wir haben jeden Stoff, jede Komposition, jeden Raum durch die Brille von Priscillas Erinnerungen betrachtet.
Deverell fährt fort: „Wir haben einige Gegenstände verwendet, von denen wir wussten, dass Elvis sie im Haus hatte, wie die kleinen Keramiktiere, die er mochte, und den Jesus in ihrem Schlafzimmer. Wir haben auch eine Reproduktion seines berühmten weißen Klaviers angefertigt, weil es mit all den goldenen Elementen versehen werden musste – ein einzigartiges Klavier, das man so nicht findet.“ Während das Erdgeschoss von Graceland ein luftiger, sonnendurchfluteter Showpalast der Jahrhundertmitte ist, wirkt das Schlafzimmer im Obergeschoss, in dem sich viele Schlüsselszenen abspielen, eher düster und bedrückend. „Es gibt so gut wie keine Bilder vom Obergeschoß von Graceland in den 60er Jahren“, sagt Deverell. „Auch hier sind wir unserer eigenen Vision gefolgt und haben viele Schwarz- und Goldtöne verwendet, die Elvis’ persönlichen Stil in dieser Zeit widerspiegeln, und diese dunklen, schweren Vorhänge, die die Welt abschirmen.“ „Es ist eine Art dunkle Männerhöhle, in der sie sich beim Reden verlieren“, kommentiert Coppola. „Priscilla beschreibt in ihrem Buch sehr eindrucksvoll, wie es war, Elvis’ Schlafzimmer zum ersten Mal zu sehen, und ich wollte dieses Gefühl unbedingt einfangen.“
Coppola rechnet es Deverell hoch an, die Mischung des Films aus Akribie, Nostalgie und Emotion zum Leben erweckt zu haben. „Tamara war unglaublich. Ohne sie und ihr Team hätten wir das nie geschafft. Sie haben alles rekonstruiert, von Zeitungsausschnitten bis zu alten Flugtickets, und all diese historischen Details, die sie eingearbeitet haben. Das war ein wichtiger Teil der Geschichte,
und Tamara war dabei stets innovativ und hat Friseursalons in Krankenhauszimmer verwandelt. Sie hat eine komplette Welt kreiert, die es in dieser Form nirgendwo sonst gibt.“ Auch die Kostüme, die Frisuren und das Make-up im Film tragen dazu bei, dass das Publikum in Priscillas Leben eintauchen kann. „Elvis und Priscilla waren sehr mode- und stilbewusst“, so Coppola. „Der Glamour ihrer Welt war von Anfang an verlockend. Aber es ist auch ein wichtiger Teil ihrer Geschichte, dass sich ihr Stil in den 70er Jahren, als Priscilla erwachsen wurde, zu etwas Neuem entwickelte. In gewisser Weise streift sie alles ab und wird sie selbst. Sie wird unabhängiger und trägt, was sie will. Elvis mochte es nicht, wenn sie gemusterte Kleidung trug, also trug sie bedruckte Kleidung, um sich dagegen zu wehren. Das ist ein weiterer Teil ihrer emotionalen Entwicklung.“
Stacey Battat, die seit Somewhere (2010) mit Coppola zusammenarbeitet, entwarf Kostüme, die von schlichten Petticoat-Kleidern der 50er Jahre bis zu groovigen Miniröcken der 70er Jahre reichen und auch einige der ikonischen Bühnenoutfits von Elvis umfassen. Battat hatte die aufregende Aufgabe, stilvolle Figuren im vielleicht extremsten Jahrzehnt der Modegeschichte zu kostümieren. Über Battats Arbeit sagt Coppola: „Ich habe es einfach geliebt, Stacey und ihrem Team dabei zuzusehen, wie sie die vielen modischen Entwicklungen dieser Zeit mit der Entwicklung der Figuren kombiniert haben.
Priscillas Kleidung erlebt ihre eigene Revolution, als sie die Schuluniform hinter sich lässt und sich der Haute Couture zuwendet. „In den 50er Jahren, als Amerikanerin in Deutschland, war ihre Kleidung prüde und anständig. Alle Mädchen trugen Strümpfe und sogar Handschuhe. Aber in den 70er Jahren änderten sich die Regeln, die Formen wurden freier, und da Priscilla Zugang zu den feinsten Kleidern hatte, fing sie an, sich mit ihrer Mode auszudrücken“, sagt Battat.
In den umfangreichen Archiven der New York Public Library und des Metropolitan Museum recherchierte Battat eifrig nach Stoffen, Texturen, Farbtönen und Medienberichten aus der Zeit. Wie bei Coppola üblich, tauschten die beiden schon lange vor Produktionsbeginn Fotos und Farbmuster aus. „Ich liebe es, mit Sofia zu arbeiten, weil sie immer eine entspannte, aber sehr konzentrierte Atmosphäre schafft“, so Battat. „Wir sind immer mit viel Spaß, Kreativität und Fantasie am Werk. Sie will wirklich, dass sich alle einbringen. Sogar als es um so etwas wie den Elvis-Jumpsuit ging und wir über den echten Anzug sprachen, zeigte ich ihr ein paar Optionen und sie sagte: ‘Mach das, was dir am besten gefällt’. Es ist wirklich eine Freude, mit jemandem wie ihr zu arbeiten.“
Der Anzug, den Elordi im Film trägt, wurde schließlich von B&K Enterprises angefertigt, einem Kostümverleih, der die Originaldesigns von Elvis verwendet. „Jedes Mal, wenn Jacob den anzog, wurde der Elvis in ihm erweckt. Auch seinen Lederanzug für das Fernsehspecial von 1968 haben sie gemacht. Sie leisten wirklich unglaubliche Arbeit“, sagt Battat. Um Priscillas legendäres Hochzeitskleid neu zu interpretieren, nutzte Coppola ihre Kontakte zu Chanel. Obwohl Priscilla ihr langärmeliges, perlenbesetztes Spitzenkleid von der Stange im Kaufhaus gekauft hatte, „ist unser Hochzeitskleid im Film eine Neuinterpretation dessen, was Priscilla trug“, erklärt Battat. „Es hat die gleiche Form wie ihr echtes Kleid. Aber es hat auch Einflüsse der zeitgenössischen Spitzenarbeit von Virginie Viard [seit 2019 Kreativdirektorin von Chanel].“
Coppola erinnert sich: „Es war ein unglaublich aufregender Tag, als das Kleid ankam. Es war so schön mit all der handgemachten Spitze. Cailee darin zu sehen, war unglaublich.“ Auch das italienische Modehaus Valentino arbeitete an Elvis’ Kleidung mit. Elvis war bekannt dafür, sich nie unpassend zu kleiden und trug selbst dann komplett aufeinander abgestimmte Outfits, wenn er sich zu Hause in Graceland entspannte. „Valentino hat für Jacob diese wunderschönen Strickpullover und seinen Hochzeits-Smoking angefertigt. Sie haben spektakuläre Arbeit geleistet. Es ist eine unglaubliche Ehre, mit diesen beiden berühmten Modehäusern zusammenzuarbeiten“, sagt Battat. Haare und Make-up spielen als erzählerische Mittel eine wichtige Rolle im Film, beginnend mit dem Moment, als die jugendliche Priscilla zum ersten Mal ihren charakteristischen geflügelten Wing-Eyeliner aufträgt. „Es war einfach eine ganz andere Zeit, aber mir gefällt Priscillas Hingabe zum Glamour“, sagt Coppola. „Ich habe viel darüber nachgedacht, dass sie, als sie in den Wehen lag, falsche Wimpern aufsetzte, wie sie in ihrem Buch schreibt. Sie hatte immer das Gefühl, beobachtet zu werden.“
Der Film ist die erste Zusammenarbeit zwischen Coppola und der Haar- und Make-up-Designerin Cliona Furey, die für The Secret Life of Marilyn Monroe für einen Emmy nominiert wurde. „Ich wähle meine Filme nach den Regisseuren aus, und mit Sofia wollte ich schon immer arbeiten“, sagt Furey. „Ich finde ihren Stil so intim.“ Es war eine spannende Herausforderung, zumal die einzige Konstante bei Haaren und Make-up in dem Jahrzehnt, in dem der Film spielt, der ständige Wandel war. „Die Farben, die die Frauen trugen, änderten sich sehr schnell, und die Haare wurden mal glatt, mal extrem bauschig und
dann wieder flach getragen“, bemerkt Furey. „Und bei Priscilla ging es uns darum, die Entwicklung ihrer Persönlichkeit darzustellen. Wenn sie jünger ist, sieht sie fast wie eine Puppe aus, und wenn sie älter wird, legt sie diese Künstlichkeit ab und wird mehr sie selbst.“
Gemeinsam mit Battat und Furey hatte Coppola auch viel Spaß daran, Dutzende von alten Magazincovern mit Elvis und Elvis-bezogenen Klatschgeschichten nachzustellen. „Wir haben jedes einzelne Foto selbst gemacht“, sagt Furey, „das bedeutete auch, dass wir den Look für Ikonen wie Ann-Margaret und Nancy Sinatra kreieren durften.“ „Die Magazine haben so viel Spaß gemacht“, sagt Coppola. „Ich hatte auch das Gefühl, dass sie eine ständige Erinnerung daran waren, wie wichtig Elvis für die Kultur war. Priscilla konnte nicht anders, als ihn teilweise durch die Medien zu sehen.“ Für die Filmmusik arbeitete Coppola erneut mit der Poprockband Phoenix ihres Mannes Thomas Mars zusammen. Die üppigen elektronischen Klänge der Band schienen nicht unbedingt zu einer Geschichte zu passen, die in den späten 50er Jahren spielt, der Geburtsstunde der Gitarrenbands, aber Phoenix integrierte Einflüsse aus den 50er, 60er und 70er Jahren in ihren eigenen Sound, um etwas Frisches zu erschaffen.
Das erste, worüber wir sprachen, war der Frankie-Avalon-Song ‘Venus’, der gespielt wurde, als Priscilla zum ersten Mal Elvis traf, und der zu Priscillas Leitmotiv im Film wurde. Also machten Phoenix eine Menge verschiedener Variationen von ‘Venus’, die wirklich großartig waren“, erklärt Coppola. „Wir sprachen auch darüber, die Essenz des großartigen Phil-Spector-Sounds einzubringen, was zu einem weiteren musikalischen Leitfaden wurde. Phil Spector hat den Ramones-Song produziert, mit dem der Film beginnt, ‘Baby I Love You’, der so klingt, als stamme er aus dieser Zeit, obwohl er viel später aufgenommen wurde. Es gibt sowohl Musik aus dieser Zeit als auch neuere Musik im Film, aber die Songs sind alle miteinander verbunden und geben dem Film eine Energie, die mich an eine Mädchenjugend erinnert.“ In den letzten Momenten des Films erklingt Dolly Partons legendärer Herzschmerz-Hit ‘I Will Always Love You’, der 1973 aufgenommen wurde. Der Song prägte Priscilla und Elvis ganz persönlich, aber für Coppola spiegelt der Liedtext auch das wider, was sie heraufbeschwören wollte: die Mischung aus Trauer und Aufbruchstimmung, die Priscillas Entscheidung, Graceland zu verlassen und neu anzufangen, mit sich brachte.
„Einer der Gründe, warum ich mich für dieses Lied entschied, war, dass ich am Ende des Films unbedingt eine Frauenstimme haben wollte“, sagt Coppola. „Aber auch die Stimmung von Dollys Song fängt so perfekt ein, wo Priscilla jetzt stand: Sie war entschlossen, Elvis zu verlassen, obwohl sie immer noch Liebe für ihn empfand. Es war Zeit für sie, den Traum von Graceland loszulassen und ihr eigenes Leben zu leben.
Foto:
©Verleih
Info:
Priscilla (USA, Italien 2023)
Genre: Drama, Biopic
Filmlänge: ca. 110 Min.
Regie: Sofia Coppola
Drehbuch: Sofia Coppola
basierend auf Priscilla Beaulieu Presleys Memoiren Elvis and Me: The True Story of the Love Between Priscilla Presley and the King of Rock N' Roll (1986) zusammen mit Sandra Harmon
Darsteller: Cailee Spaeny, Jacob Elordi, Jorja Cadence, Tim Post, Ari Cohen, Dagmara Dominczyk, Lynne Griffin u.a.
Verleih: MUBI
Abdruck aus dem Presseheft