Vor der Berlinale 2024 (2)
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) – Montagmittag. Eine Woche lang bin ich jetzt in Berlin. Heute sind der Potsdamer Platz mit dem Filmhaus und die Straßen drumherum mit riesigen Treckern zugestellt. Das Arsenal-Kino im Keller, in dem ab heute die Vorab-Filme des Forums der kommenden Berlinale laufen, ist filmreif völlig abgeriegelt. Zum Glück fährt die U-Bahn mich hin…
Als erstes Werk in der Forum-Sektion läuft der chinesische Film „Republic“ – und die Kuratorin vergleicht die Situation des Filmortes in Peking mit dem Potsdamer Platz. Auch hier tobt draußen die Realität und wir sitzen unten in der Blase des Filmhauses.
Mitten in der chinesischen Hauptstadt hat ein Straßenmusiker auf gefühlten zwölf Quadratmeter Wohnfläche die „Republic“ gegründet. Sein Auditorium ist vollgestopft mit E-Gitarren, Computern, Verstärkern. Dazwischen ein Kochherd, Kissen, Bücherberge, Matratzen, Klamotten. Darüber ein schmales, wackeliges Hochbett. In diesem freundlichen Chaos empfängt Li Eryang Freunde und Freundinnen, andere Musiker oder neugierige Gäste. Vor der wackeligen Handkamera wird gekocht, über Kommunismus und Trump oder Natur und Kunst philosophiert, westliche Rock-Musik improvisiert und viel gekifft. Im „paradise of freedom“ hängen manchmal bis zu 15 Leute herum und singen auch mal John Lennons „I was dreaming of the past“.
Ein spannender Spot auf den chinesischen Underground, aber das Gerede ist leider schwer zu verstehen. Nicht weil Mandarin gesprochen wird, sondern weil die englischen Untertitel viel zu schnell wieder verschwinden. Sämtliche Filme im Forum werden grundsätzlich in der Originalsprache präsentiert und sind (nur) englisch untertitelt. Weil mein Englisch nicht so berauschend ist, suche ich mir Filme aus, in denen (hoffentlich) nicht so viel geredet wird oder die (vermutlich) sehr bildhaft sind.
Im Forum laufen Filme über verfolgte Minderheiten, alternative Lebensmodelle, schräge Kunstschaffende, vergessene native Menschen oder grenzüberschreitende, verrückte, schwer zu verstehende cineastische Experimente: Anderes Kino eben. Das Forum ist seit 1971 zwar die Alternative zur Berlinale, aber eben auch eine in das Festival integrierte Sektion. Hier liefen zuerst asiatische, afrikanische und südamerikanische Filme.
Deshalb war es wohl eine reine Machtdemonstration des neuen - und bald wieder gehenden - Berlinale-Leiters Carlo Chatrian, die Wettbewerbssektion Encounter einzuführen, in der Filme laufen und ausgezeichnet werden, die eigentlich ins Forum gehören.
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© Hanswerner Kruse