Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Januar 2024, Teil 3
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Weihnachten 1970 muss im Elite-Internat Barton Academy im Nord-Osten der USA der unbeliebte Griechisch-Lehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) die Schüler betreuen, die nicht zu ihren Eltern nach Hause fahren können.
Hunham ist weder beim Schulleiter Dr. Woodrup (Andrew Garman), den anderen Lehrern und schon gar nicht bei den Schülern beliebt. Er ist arrogant und starr und nicht bereit, mit den Noten den Schülern entgegen zu kommen. So hatte beim letzten Test nur ein Schüler eine gute Note.
Da er keine Familie hat, in der Schule wohnt und ihm keine Ausreden eingefallen sind, wird er verpflichtet, die fünf Schüler zu betreuen, die aus unterschiedlichen Gründen über Weihnachten in der Schule bleiben müssen.
Diese Schüler sind die beiden 15-Jährigen Jason Smith (Michael Provost), eine Sportskanone aus reichem Hause, der sich mit seinem Stiefvater über die Länge seiner Haare streitet und der Raufbold und miserable Schüler Teddy Kountze (Brady Hefner), sowie die beiden etwa 12-Jährigen Ye-Joon Park (Jim Kaplan), der Heimweh hat und dessen Familie sich gerade in Korea aufhält, und der fröhliche Alex Ollerman (Ian Dolley), dessen Eltern auf einer religiösen Mission sind.
Im letzten Moment kommt noch der 15-jährige Angus Tully (Dominic Sessa) dazu, der ein guter Schüler ist, der aber wegen seines schlechten Benehmens schon von mehreren Schulen geflogen ist. Barton ist seine letzte Chance bevor sein Stiefvater ihn auf eine Militär-Akademie schicken will.
Seine Mutter (Gillian Vigman) teilt ihm kurz vor dem Aufbruch telefonisch mit, dass er nicht mit ihr auf St. Barts Strandurlaub machen kann, da sie die Reise allein mit ihrem neuen Ehemann Stanley Clotfelter (Tate Donovan) unternehmen will.
Außerdem bleibt noch die Köchin Mary Lamb (Da’Vine Joy Randolph) in der Schule zurück. Für sind es die ersten Weihnachtstage allein, denn ihr Sohn (der auch Schüler in Barton war), den sie allein aufgezogen hat, ist erst vor kurzem im Vietnam-Krieg gefallen.
Die Schüler und der Lehrer müssen auf Feldbetten in eine Ecke der Schule ziehen, da der größte Teil nicht beheizt wird, auch das Essen ist deutlich schlechter als normalerweise. Doch nach wenigen Tagen lässt der Vater von Jason Smith einen Hubschrauber einfliegen, um seinen Sohn und alle anderen Schüler mit auf den Skiurlaub zu nehmen. Dummerweise ist Angus Mutter nicht zu erreichen, um ihre Zustimmung zu geben, so dass er allein mit dem Lehrer und der Köchin im Internat bleiben muss.
Die drei Zurückgebliebenen beginnen, es sich in der Schule gemütlich zu machen. Sie werden nur vom Hausmeister Danny (Naheem Garcia) besucht, der ein Interesse an Mary zu haben scheint. Außerdem erhalten sie eine Einladung der Schulsekretärin Miss Lydia Crane (Carrie Preston) zu einer Weihnachtsfeier. Während ihrer Zeit in der Schule erleben sie allerlei kuriose Missgeschicke (so kugelt sich Angus die Schulter in der Turmhalle aus, die eigentlich nicht betreten werden darf) und bewegende Momente (wenn das ungleiche Trio in ein Restaurant Essen geht und auf Miss Crane trifft, die dort nebenbei als Kellnerin arbeitet). Alle diese Erlebnisse schweißen sie zu einer Ersatzfamilie wider Willen zusammen.
Als dann Angus den Wunsch äußert, doch einmal ein paar Tage ins nicht zu ferne Boston zu fahren, stimmt Hunham dem zu, denn so eine Exkursion kann man nach der Schulordnung sehr wohl als schulische Aktivität betrachten. Mary Lamb nutzt die Gelegenheit, um ihre schwangere jüngere Schwester zu besuchen.
Doch in Boston erfahren sowohl Paul Hunham ein Geheimnis von Angus als auch Angus Tully eines von seinem Lehrer. Wie wird sich das gemeinsame Abenteuer letztendlich auf das zukünftige Leben von Lehrer, Köchin und Schüler auswirken?
″The Holdovers″ beginnt mit dem zerkratzten Filmlogo von Universal, auch die Bilder wirken zu Beginn verwaschen, als wären sie wirklich aus den Siebzigern. Regisseur Alexander Payne sorgt durch diesen Trick dafür, dass man sich als Zuschauer direkt in die 1970er Jahre zurückversetzt fühlt. Das Originaldrehbuch stammt von David Hemingson, der bisher vor allem fürs Fernsehen gearbeitet hat.
Doch Alexander Payne sorgt auch dafür, dass nicht nur die Story vor 50 Jahren spielt, sondern auch die Ausstattung mitsamt Kostümen, Frisuren, Kulissen sowie Requisiten und auch die Musik haben einen wunderbaren Retrolook.
Nicht nur der Look des Films ist erstklassig, auch die Geschichte fesselt ganz sicher die Zuschauer. Denn der Regisseur erzählt seine berührende, clever aufgebaute und in den Dialogen wie Situationen oft sehr humorvolle Coming-of-Age-Story mit viel Feingefühl und Herzenswärme. Er zeigt, dass man zusammen nicht nur weniger allein ist, sondern auch von Menschen am meisten lernen kann, von denen man meint, dass man mit ihnen am wenigsten gemeinsam hat.
Der Film hat dabei ebenso einfach wie klug gezeichneten Figuren, die lernen müssen, über ihre Probleme hinauszuwachsen. Denn alle drei Hauptcharaktere fühlen sich allein und haben tiefe innere Narben.
Angus leidet am Verlust seines Vaters, dass seine Mutter sich nur wenig um ihn kümmert und viel lieber mit ihrem reichen neuen Ehemann allein in den Urlaub fährt. Erst langsam erkennt man, wieso Angus so schwierig ist und auch dass weder seine Mutter noch sein neuer Vater nur die geringste Empathie für die Probleme des Jungen haben.
Die Köchin Mary Lamb hat kürzlich ihren einzigen Sohn im Vietnam-Krieg verloren, denn sie hatte kein Geld, um den Jungen auf ein College zu schicken. Um nicht Weihnachten allein feiern zu müssen, hat sie sich freiwillig gemeldet, die ″Holdovers″ zu bekochen.
Paul Hunham legt allen gegenüber eine Griesgrämigkeit an den Tag und zeigt besonders den Schülern gegenüber eine Intoleranz, da er meint, dass jeder, der im Griechischen schlechte Noten bekommt, dumm und faul ist. Doch eigentlich will er sich vor allem selbst bestrafen, denn er ist mit seiner persönlichen Situation unzufrieden.
Alle drei Hauptdarsteller spielen ihre Rollen hervorragend. Dies gilt natürlich vor allen Dingen für Paul Giamatti, der bereits im Alexander Payne Film ″Sideways″ (2004) die Hauptrolle gespielt hat und dafür auch eine Golden-Globe Nominierung erhalten hat. Giamatti kann wunderbar darstellen, dass Paul Hunham nicht der unsympathische und selbstherrliche Mensch ist, als der er zuerst rüberkommt, sondern dass er jemand ist, der einen – wenn auch gut versteckten - menschlichen Kern besitzt, der allerdings auch ein von Verletzungen geprägtes Leben hinter sich hat.
Aber auch der hier erstmals vor einer professionellen Kamera stehende Domnic Sessa begeistert als Angus. Dabei ist das Zusammenspiel mit Paul Giamatti einfach fantastisch. Auch Da’Vine Joy Randolph kann als Mary Lamb deren Trauer zeigen. Sie ist aber am Ende die Einzige des Trios, die nicht aus ihrer Situation ausbrechen kann, allerdings hat auch sie eine Zukunft. Denn am Ende erkennen Paul, Angus und Mary, dass sie nicht an ihre Vergangenheit gebunden sind, sondern dass sie aus ihrer Trauer, ihrem Groll und ihrer Selbstverachtung hinauszuwachsen können.
″The Holdovers″ wurde mit vielen Nominierungen und Preisen bei renommierten Festivals und Awards bedacht.
So erhielt der Film z.B. bei den Golden Globe Awards 2024 drei Nominierungen und zwar als bester Film – Komödie/Musical, Paul Giamatti als bester Hauptdarsteller – Komödie/Musical sowie Da’Vine Joy Randolph als beste Nebendarstellerin. Gewonnen haben Paul Giamatti und Da’Vine Joy Randolph.
Bei den Critics’ Choice Movie Awards 2024 erhielt das Drama acht Nominierungen und zwar als bester Film, als beste Komödie, Alexander Payne für die beste Regie, David Hemingson für das beste Originaldrehbuch, Paul Giamatti als bester Hauptdarsteller, Da’Vine Joy Randolph als beste Nebendarstellerin, Dominic Sessa als bester Nachwuchsdarsteller sowie als bestes Schauspielensemble. Es gewannen Paul Giamatti, Da’Vine Joy Randolph und Dominic Sessa.
Bei den British Academy Film Awards (BAFTA) erhielt ″Holdovers″ 7 Nominierungen, u.a. als bester Film, Paul Giamatti als bester Hauptdarsteller, Da’Vine Joy Randolph als beste Nebendarstellerin, Dominic Sessa als bester Nebendarsteller, Alexander Payne als bester Regisseur und David Hemingson für das beste Originaldrehbuch. Die Gewinner werden am 18. Februar 2024 bekannt gegeben.
Bei den Independent Spirit Awards 2024 gab es vier Nominierungen und zwar für David Hemingson für das beste Drehbuch, Da’Vine Joy Randolph als beste Nebendarstellerin, Dominic Sessa für die beste Nachwuchsleistung und Eigil Bryld für die beste Kamera. Die Verleihung ist erst am 24. Februar 2024.
Bei den Screen Actors Guild Awards 2024 erhielten Paul Giamatti als bester Hauptdarsteller und Da’Vine Joy Randolph als beste Nebendarstellerin Nominierungen. Die Verleihung ist ebenfalls am 24. Februar 2024.
Gerade erhielt ″Holdovers″ auch noch 5 Nominierungen bei den Academy Awards und zwar als bester Film, Paul Giamatti als bester Hauptdarsteller, Da’Vine Joy Randolph als beste Nebendarstellerin, David Hemingson für das beste Originaldrehbuch und Kevin Trent für den besten Schnitt. Die 96. Oscarverleihung findet dann am 10. März 2024 in Los Angeles statt.
Insgesamt begeistert der Film mit seiner wunderbaren melancholischen Stimmung, mit jeder Menge humorvoller Momente, mit tollen Hauptdarstellern und liebevollem Retrolook und Retro-Musik. Am Ende des Films haben sowohl Paul Hunham als auch Angus Tully und Mary Lamb ein paar Lektionen für ihr zukünftiges Leben gelernt. Deshalb ist das Ende des Films nicht nur ein melancholischer Abschied, sondern auch ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. ″The Holdovers″ ist ein charmantes und lustiges aber auch nachdenkliches Drama, das man sich unbedingt im Kino ansehen sollte.
Foto 1: v.l.n.r.: Dominic Sessa als Angus Tully, Da’Vine Joy Randolph als Mary Lamb und Paul Giamatti als Paul Hunham © 2023 FOCUS FEATURES LLC.
Foto 2: Paul Giamatti als Paul Hunham © 2023 FOCUS FEATURES LLC.
Foto 3: Dominic Sessa als Angus Tully © 2023 FOCUS FEATURES LLC.
Foto 4: Da’Vine Joy Randolph als Mary Lamb © 2023 FOCUS FEATURES LLC.
Info:
The Holdovers (USA 2023)
Originaltitel: The Holdovers
Genre: Drama
Filmlänge: ca. 141 Min.
Regie: Alexander Payne
Drehbuch: David Hemingson
Darsteller: Paul Giamatti, Da’Vine Joy Randolph, Dominic Sessa, Carrie Preston, Tate Donovan, Gillian Vigman, Naheem Garcia, Andrew Garman, Michael Provost, Brady Hefner, Jim Kaplan, Ian Dolley u.a.
Verleih: Universal Pictures International Germany
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 25.01.2024