holdverSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Januar 2024, Teil 2

Redaktion 

London (Weltexpresso) - Vom ersten Bild an wird das Publikum in THE HOLDOVERS in die Zeit um 1970 zurückversetzt. Von den Knack- und Pfeiftönen auf der Tonspur bis hin zu den ausgeblichenen Farben und den Studio-Logo-Grafiken werden diese Elemente jedem vertraut sein, der vor dem digitalen Zeitalter ins Kino gegangen ist. Aber vor allem hat Payne bewusst ein Stück Kino geschaffen, das nicht nur im Jahr 1970 spielt, sondern auch so gemacht ist, als ob es 1970 gedreht worden wäre: „Ich habe, so gut es geht, versucht, mir selbst vorzumachen, dass ich ein Regisseur zur damaligen Zeit bin. Trotz der ganzen Maschinerie hinter mir, mit der wir heute Filme machen.“


Das Produktionsdesign und ein Gespür für Zeit und Ort

Das Szenenbild-Konzept des Films unter der Leitung von Produktionsdesigner Ryan Warren Smith trug wesentlich dazu bei, dass die Welt von damals nun authentisch wirkt. Smith hatte erst kürzlich die dritte Staffel von True Detective gestaltet, die in einem ähnlichen Zeitraum spielt, und war daher bestens gerüstet, diese Ära zum Leben zu erwecken.

Auf Smith wurde Payne zunächst durch einen Film namens Lean on Pete aufmerksam, den er 2017 beim Telluride Film Festival gesehen hatte. Bei einem Treffen via FaceTime entstand sofort eine Verbindung zwischen Smith und Payne. „Wir hatten vor vier Jahren schon einmal einen gemeinsamen Film vorbereitet, aber der fiel letztlich ins Wasser. Ich konnte es kaum erwarten, wieder mit Ryan zusammenzuarbeiten“, erinnert sich Payne. „Ich möchte immer, dass das Produktionsdesign so echt aussieht, als ob es gar keinen Produktionsdesigner gegeben hätte. Manchmal sieht man bei Filmen, die in der Vergangenheit spielen, viele schlechte Beispiele, bei denen sie einem einfach unter die Nase reiben, wie historisch sie sind. Da wir nicht versuchen, die 1970er-Jahre nachzustellen, sondern tatsächlich so tun, als würden wir einen Film im Jahr 1970 drehen, musste das Set so lebendig und authentisch aussehen, wie es damals gewesen sein könnte.“

„Ich war besonders aufgeregt, mit Alexander zu arbeiten, weil ich mit seinen Filmen aufgewachsen bin“, sagt Smith. „Die Art und Weise, wie er und ich an die Dinge herangehen, ist eigentlich die gleiche. Wir wollen an anderen Orten sein und das Projekt wie einen Dokumentarfilm behandeln. Wir wollen die Welt, in der wir drehen, in uns aufnehmen und sie dann in die Szenen und die Kulissen einfließen lassen. Ich habe versagt, wenn die Zuschauer*innen durch das Design oder die Kulissen aus der Geschichte herausgerissen werden. Das ist immer meine größte Angst.“

Payne ist bekannt dafür, dass er reale Drehorte bevorzugt, und er wurde sogar von der Gewerkschaft der Location-Manager dafür ausgezeichnet, dass die Orte, an denen seine Filme spielen, stets eine Hauptrolle spielen. Genau deswegen wurde bei THE HOLDOVERS der komplette Film in Massachusetts gedreht, ohne dass auch nur eine einzige Einstellung im Studio entstand.

„Eines der Dinge, die ich an Alexanders Filmen liebe, ist das Gefühl für den Ort in jedem einzelnen von ihnen“, sagt Giamatti. „Es ist immer ein dezidiert amerikanischer Ort, aber dann wird es noch spezifischer, bis hin zu einzelnen Räumen. Es ist wirklich verrückt, wie sehr er ein Auge für Locations hat und bis ins Detail die Welt seiner Filme seziert. Das ist wirklich cool.“

Payne und Smith verbrachten mehrere Monate damit, mögliche Drehorte auszukundschaften und vorzubereiten, und suchten dabei nach Locations, die wie in der Zeit stehengeblieben wirkten und sich mit wenigen Tricks in das Jahr 1970 zurückversetzen ließen. „Es stellte sich heraus, dass der Wandel in vielen Teilen Neuenglands wirklich nur langsam vorangekommen war“, lacht der Regisseur. „Es gab viele Schauplätze, an denen wir relativ wenig verändern mussten.“

Aber Payne ist auch offen für glückliche Zufälle, wenn sie sich bieten. „Wenn ich meine Drehbücher schreibe, lege ich schon ziemlich genau fest, wie am Ende alles aussehen soll. Aber es gibt durchaus einen gewissen Spielraum für Diskussionen zwischen dem, was ich in der Realität an Drehorten vorfinde, und der Art und Weise, wie ich es in das Drehbuch einbaue“, erklärt er. Ein Beispiel dafür ist eine Bowlingbahn, die ihnen ein Location-Scout bei einer frühen Location-Tour zeigte. Smith berichtet: „Im Drehbuch kam eigentlich keine Bowlingbahn vor, aber wir sahen diesen Ort und wussten, dass wir ihn einbauen mussten, weil er so schön war. Also änderten wir eine ganze Szene um diesen Ort herum. Alexander lässt immer zu, dass unerwartete Entdeckungen und das reale Leben am Ende seinen Film noch besser machen.“

Bei der Auswahl der idealen Drehorte war es Payne laut Smith ebenso wichtig, Zeit mit deren Eigentümern und den derzeitigen Bewohnern zu verbringen. „Es ist ihm wirklich wichtig, wer an diesen Orten lebt und wem sie gehören“, sagt der Produktionsdesigner. „Er lernt alle kennen und freundet sich mit ihnen an. Ihm geht es um die kleinsten Details, also auch um die Menschen, die dort wohnen, wo wir drehen, selbst wenn wir sie natürlich nie auf der Leinwand sehen werden.“

In einigen Fällen allerdings fanden einige dieser Personen doch ihren Weg in den Film. „Die beiden Männer, die in der Bowling-Szene an der Rezeption der Bowlingbahn arbeiten, sind tatsächlich deren echte Besitzer“, verrät Payne. „Wir haben ihnen einfach Hemden und Krawatten angezogen, und sie haben ihr normales Ding gemacht. Sie wussten, wie sie sich zu verhalten hatten. Auch der einzige Mitarbeiter eines Schnapsladens, in dem wir gedreht haben, wollte unbedingt im Film mitspielen!“

Für die Barton Academy, also die Schule, an der sich die Geschichte hauptsächlich abspielt, war den beiden klar, dass die Location die Atmosphäre einer alten Schule haben musste. Nötig war also ein Ort, an dem über die Jahre nicht viel modernisiert worden war, und wo das Entfernen der modernen Vorhänge und Möbel reichen würde, den wunderschönen alten Kern des Gebäudes zum Vorschein zu bringen. Schließlich entschieden sie sich für mehrere Orte in Neuengland, um die Schulszenen zu drehen, darunter die Deerfield Academy in Groton, St. Marks in Southborough und die Fairhaven High School.

„Ich habe eine Menge über solche Schulen recherchiert, mir alte Fotos angesehen und ein Lookbook erstellt, um eine visuelle Referenz zu haben, wie die Dinge damals aussahen“, sagt Smith. Da Payne nicht wollte, dass der Film wie ein Historienfilm aussieht, sondern eher wie ein Film, der in den Siebzigerjahren gedreht wurde, kamen viele helle Blautöne, Gelbtöne und Pastellfarben zur Verwendung. „Alexander hat mich wirklich dazu gedrängt, viel mehr Farben zu verwenden, als ich es normalerweise tun würde. Wichtig war nur, dass sie ein wenig verblasst wirkten, damit sie sich wie in den Siebzigerjahren anfühlen“, fährt er fort. „Uns wurde einfach klar, dass wir etwas mehr Farbe brauchten, um einen Ausgleich zu schaffen, da all diese alten Schulen sehr braun sind und aus viel Holz bestehen. Mit Tapeten, Autos und anderen Elementen erzeugten wir dazu einen Kontrast.“

Eng mit Smith zusammengearbeitet haben der Ausstatter Markus Wittmann, mit dem Smith bereits bei True Detective kollaboriert hatte, der Art Director Jeremy Woolsey, der für die Requisiten und Autos zuständige Pete Dancy sowie ein ausschließlich weibliches Team von Malerinnen.

 

„Markus ist meine Geheimwaffe“, sagt Smith über seinen Ausstatter. „Er macht an den Wochenenden Road-Trips und reist in die drei umliegenden Bundesstaaten, um nach all diesen kleinen Elementen zu suchen, die unsere Kulissen am Ende perfekt machten. Er ist ein echtes Ausnahmetalent.“

Hunhams Wohnung ist ein gutes Beispiel dafür, welche zentrale Rolle in diesem Film die einzelnen Sets spielen. Man sieht sie nur einmal, wenn er an seinem Schreibtisch Aufsätze korrigiert. Die Wohnung ist voll mit all seinen Sachen: Stapel um Stapel, Schicht um Schicht zeugen sie um ihn herum von all den Dingen, die ihn über die Jahre interessiert haben, bevor er sich anderen widmete, denn er ist niemand, der auch mal Sachen wegschmeißt.

Das Ziel war es, Giamatti alle Freiheiten für spontane kreative Entscheidungen zu geben, sodass jede einzelne Schublade seines Schreibtisches mit Papieren, Stiften, Briefmarken, kaputten Pfeifen und Ähnlichem gefüllt war. Man sieht Anflüge von Vernachlässigung in dieser Wohnung: Geschirr, das nicht weggeräumt wurde, oder nasse Socken auf der Heizung. Hunham ist in seinem Leben festgefahren, und Smith bemühte sich, genau das um den Schauspieler herum sichtbar zu machen.

„Markus und ich legten großen Wert darauf, dass wir für unsere Hauptfiguren wirklich jedes Set bis ins kleinste Detail ausstatten, weil man ja nie genau wissen konnte, was in einer Szene wirklich passieren würde“, erklärt Smith. „Wir wollen nicht, dass ein Schauspieler irgendwo eine Tür öffnet und unvermittelt daran erinnert wird, dass das Ganze nicht echt ist. Wir wollten, dass wirklich alles so echt wie möglich erschien.“

Für besonders aufmerksame Zuschauer*innen lässt sich in der Wohnung des Professors sogar ein lustiges Easter Egg aus Sideways entdecken. „Auf seinem Schreibtisch befindet sich eine Requisite, die auch in der Wohnung seiner Figur in Sideways zu sehen war“, verrät er. „Es ist eine kleine Skulptur, die Alexander unbedingt in den Film einbauen wollte.“

Angesichts der Jahreszeit, in der die Geschichte spielt, war es immer wichtig, Schnee zu zeigen. „Wir wollten sowohl die Schönheit Neuenglands im Winter zeigen als auch, wie bedrückend es sich anfühlen kann, wenn es draußen kalt und stürmisch ist und man in diesen Gebäuden eingesperrt ist“, sagt Produzent Mark Johnson. Payne fügt hinzu: „Es sollte auf jeden Fall ein verschneiter Film sein. Wir hatten eine exzellente Abteilung für Spezialeffekte, die uns mit Kunstschnee versorgte, wenn wir nicht genug echten Schnee hatten. Aber manchmal erhörten die Götter unsere Gebete so sehr, dass wir zu viel Schnee hatten und sogar ein paar Drehtage verloren.“

Wenn der Regisseur über den endgültigen Look des Films nachdenkt, sagt er: „Ich hoffe, wir konnten überzeugend ein Gefühl für die Zeit vermitteln. Mein Ziel war wirklich, dass die Zuschauer*innen Zeit und Ort als vollkommen glaubwürdig, wahrhaftig und selbstverständlich wahrnehmen.“

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
 
Regie: ALEXANDER PAYNE
Drehbuch: DAVID HEMINGSON

Besetzung 
Rolle                                Schauspieler

Professor Paul Hunham  PAUL GIAMATTI
Mary Lamb DA’VINE       JOY RANDOPLH
Angus Tully                      DOMINIC SESSA
Miss Lydia Crane            CARRIE PRESTON
Dr. Woodrup                    ANDREW GARMAN
Stanley Clotfelter            TATE DONOVAN
Judy Clotfelter                GILLIAN VIGMAN
Teddy Kountze               BRADY HEPNER
Danny                             NAHEEM GARCIA
Ye-Joon Park                  JIM KAPLAN
Priest                              ALEXANDER COOK
Jason Smith                   MICHAEL PROVOST
Hooker                           MELISSA McMEEKIN
Alex Ollerman                 IAN DOLLEY

Abdruck aus dem Presseheft