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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Januar 2024, Teil 1

Redaktion 

London (Weltexpresso) - Mehr als zehn Jahre ist es her, dass Alexander Payne den eher unbekannten französischen Film Merlusse (1935) des gefeierten Regisseurs Marcel Pagnol sah. „Ich habe den Film nur einmal gesehen, aber er hat mich nicht mehr losgelassen“, erinnert sich Payne. Und er war sich sicher, dass diese Geschichte über eine Gruppe von Internatsschülern, die während der Ferien mit einem verhassten Lehrer in der Schule zurückbleiben, eine großartige Grundlage für eine neue Geschichte bieten würde.


Wie es der Zufall wollte, landete bald ein Drehbuch auf Paynes Schreibtisch, durch das sich die Idee des Regisseurs noch verfestigte. „David Hemingson hatte ein wunderbares Drehbuch für eine Serien-Pilotfolge geschrieben, die in einer Privatschule für Jungs spielte“, erzählt Payne. „Ich rief ihn an, auch wenn ich kein Interesse hatte, diesen Serienpiloten zu drehen. Aber ich fragte ihn, ob er sich vorstellen könnte, das Drehbuch für einen Spielfilm zu schreiben, das auf einer ähnlichen Idee basiert.“

Normalerweise schreibt Payne seine eigenen Drehbücher, man denke nur an Filme wie Sideways und The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten, für die er jeweils den Oscar® für das Beste adaptierte Drehbuch gewann. Auch bei THE HOLDOVERS war er natürlich stark in die Konzeption und gemeinsame Entwicklung involviert. Doch vor allem beeindruckte ihn Hemingsons unverkennbares Talent und seine persönliche Verbindung zu dem Stoff. „David hat fantastische Arbeit geleistet“, fährt er fort. „Er hat ein großartiges Gespür für Struktur und Dialoge.“

Hemingson erinnert sich, dass Paynes Drehbuch-Anfrage aus heiterem Himmel kam: „Ich fühlte mich unglaublich geschmeichelt, denn er ist mit seiner Arbeit ein persönlicher Held von mir.“

Die ursprünglich von Hemingson geschriebene Serien-Pilotfolge handelte von einer Privatschule im Jahr 1980, aber Payne erzählte ihm bald von der zehn Jahre früher angesiedelten Geschichte, die er im Sinn hatte. „Alexander formulierte es so: Es ist die Geschichte von einsamen Menschen an Weihnachten, wie sich ihre Beziehung zueinander entwickelt und welche Abenteuer sie gemeinsam erleben“, fasst Hemingson zusammen. „Es gibt einen Grund, warum Alexander ein so großartiger Autor ist: Weil er ein Humanist ist. Es geht ihm immer um Geschichten der Menschlichkeit, und genau dazu hat er auch mich ermutigt. Ich bin ihm für immer dankbar, dass er mich in diese Richtung getrieben hat, weil er auf der Leinwand keine perfekten Menschen, sondern solche mit Fehlern sehen will.“

Produzent Mark Johnson gibt zu Protokoll, dass er sich im Laufe seiner Karriere immer schon zu Geschichten hingezogen gefühlt hat, die von Familien handeln. Dass dieser Film diesbezüglich etwas Besonderes ist, wusste er sofort: „In THE HOLDOVERS geht es letztlich um drei Figuren auf der Suche nach einer Familie. Eine Figur, die auf tragische Weise ihre Familie verloren hat, eine andere, die von ihrer Familie kalt abgewiesen wurde, und eine weitere, die nie in der Lage war, eine Familie zu gründen. Der Film erzählt die Geschichte der bunt zusammengewürfelten Ersatzfamilie, die sie während der Feiertage gründen, also in einer Zeit, in der wir ohnehin dazu neigen, uns als Teil von etwas Größerem zu verstehen.“

THE HOLDOVERS ist Paynes erster nicht in der Gegenwart angesiedelter Film, auch wenn er selbst zugibt, dass sich in gewisser Weise alle seine Arbeiten bislang wie historische Stoffe angefühlt haben. „Letztlich habe ich meine gesamte Karriere über eigentlich Siebzigerjahre- Filme gedreht“, führt der Regisseur aus. „In meinen Geschichten konzentriere ich mich immer auf die Figuren und ihre Menschlichkeit, nicht auf erzählerische Kunstgriffe, Konventionen oder Spielereien. Ich mag es, einen Protagonisten und eine Geschichte zu haben, die sehr viel mehr mit dem wirklichen Leben zu tun haben als mit dem Leben im Film. Abgesehen davon habe ich früher am College Geschichte studiert und lese auch heute immer noch gerne Sachbücher zu historischen Themen. Inzwischen habe ich verstanden, dass das Drehen eines Films, der in der Vergangenheit spielt, näher an eine Zeitreise herankommt als irgendetwas sonst – und das war eine wunderbare Erfahrung.“

Hemingson gibt mit THE HOLDOVERS sein Kinodebüt, nachdem er in seiner Karriere bislang vor allem Fernsehserien geschrieben hat, darunter die auf den Memoiren von Anthony Bourdain basierende Serie Kitchen Confidential, für die er für den Emmy nominiert wurde. Nach dem ersten Gespräch mit Payne war Hemingson drei Jahre lang damit beschäftigt, die neue, von den Figuren geprägte Geschichte auszuarbeiten und ihre Welt zum Leben zu erwecken, wobei er auf viele eigene Erfahrungen zurückgriff. „Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich fünf Jahre alt war, und ich habe meinen Vater nicht oft gesehen“, erzählt er. „Wir hatten nicht viel Geld und ich war nicht besonders gut an der öffentlichen Schule. Aber mein Vater unterrichtete an der Watkins School, einer außergewöhnlichen Privatschule in Hartford, und meine Mutter fand, dass ich dort hingehen solle. Auch um die Chance zu haben, meinen Vater ein bisschen kennenzulernen. Also besuchte ich sechs Jahre lang diese Schule, und viele der Personen, die nun im Film vorkommen, sind angelehnt an Leute, die ich damals dort kannte. Das war eine vollkommen andere Welt für mich, sehr exklusiv und mit jeder Menge Geld und Privilegien, aber auch viel Schmerz. Denn die Adoleszenz ist immer eine schwierige Zeit.“

Auch die enge Beziehung zu seinem Onkel Earl inspirierte den Drehbuchautor. „Er war ein bemerkenswerter Mann, der letztlich die Grundlage für die Figur von Paul bildete“, erklärt Hemingson. „Obwohl mein Onkel nie das College abgeschlossen hat, weil er in der Armee war, arbeitete er für die Vereinten Nationen und sprach acht Sprachen. Einige der Sätze im Film stammen direkt von ihm. In jungen Jahren schon gab er mir seine abgebrühte, mühsam errungene Weisheit mit auf den Weg, die mich als Mensch auf die bestmögliche Art und Weise geprägt hat. Für mich ist das Kernthema des Films, wie stilles, alltägliches Heldentum Leben verändern kann.“

Zu seinem kreativen Prozess, so Hemingson, gehörte es auch zu lernen, wann er besser mal nichts zu Papier bringt, damit sich Gespräche und Gedanken von selbst aus den Figuren und der Geschichte heraus entwickeln konnten: „Alexander weiß, wie man in einem Film auch mal still sein kann, was ich wirklich schön finde. Er ist ein Poet des Schweigens.“

„Als Fan von Alexander Payne würde ich behaupten, dass dies wohl sein emotionalster Film ist“, meint Produzent Johnson. „Er ist einfach großartig im Umgang mit einzigartigen Charakteren, die nicht wirklich klarkommen mit den Umständen, in denen sie sich befinden. Und dabei schafft er es immer, dass sich die Geschichte universell anfühlt. Bei Alexander gibt es nie einen schiefen Ton. Überhaupt ist das Drehbuch ausgesprochen witzig – und verdammt clever. Es geh am Ende um viel mehr, als man auf den ersten Blick denken würde.“

Um sicherzustellen, dass die gesamte Produktion in Bezug auf den authentischen Look, den Tonfall und das Timing, die Payne einzufangen hoffte, am gleichen Strang zog, zeigte er seinem Team in der Vorbereitung eine ganze Reihe von Filmen. „Vor allem sahen wir uns etliche Filme an, die in Boston spielen“, erinnert sich der Regisseur. „Hal Ashbys Filme Das letzte Kommando, Der Hausbesitzer und Harold und Maude oder auch Paper Moon von Peter Bogdanovich. Einfach um ein Gefühl für den Rhythmus dieser Filme zu bekommen, für ihre Liebe zum Detail, aber auf technischer Ebene auch für die Beschaffenheit der Bilder und des Produktionsdesigns.“


Foto:
©Verleih

Info:
Stab
 
Regie: ALEXANDER PAYNE
Drehbuch: DAVID HEMINGSON

Besetzung 
Rolle                                Schauspieler

Professor Paul Hunham  PAUL GIAMATTI
Mary Lamb DA’VINE       JOY RANDOPLH
Angus Tully                      DOMINIC SESSA
Miss Lydia Crane            CARRIE PRESTON
Dr. Woodrup                    ANDREW GARMAN
Stanley Clotfelter            TATE DONOVAN
Judy Clotfelter                GILLIAN VIGMAN
Teddy Kountze               BRADY HEPNER
Danny                             NAHEEM GARCIA
Ye-Joon Park                  JIM KAPLAN
Priest                              ALEXANDER COOK
Jason Smith                   MICHAEL PROVOST
Hooker                           MELISSA McMEEKIN
Alex Ollerman                 IAN DOLLEY

Abdruck aus dem Presseheft