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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Februar 2024, Teil 11

Karin Schiefer

Wien (Weltexpresso) - Sie erzählen ein sehr spezielles Wien, das aus der Zeit gefallen ist. In welche Quellen, in welche Viertel sind Sie getaucht, um das Ambiente ihrer Geschichte zu spüren. Kann man es noch in der Realität finden oder muss man es in Filmen suchen?



Adrian Goiginger: Wie immer habe ich versucht, möglichst breit alle verfügbaren Quellen anzuzapfen. Ich denke, ich habe mir alle Folgen von Alltagsgeschichten angeschaut, die das Milieu so exakt auf
den Punkt bringen, dass ich manchmal sogar Dialogfetzen übernommen habe. »Ein echter Wiener geht nicht unter« hat diese Welt gut reflektiert und dann kam noch der Input von Voodoo dazu. Wir haben z.B. seinen Vater getroffen und sind auch in diese Tschocherl gegangen, die es in Wien schon noch gibt, man muss nur wissen wo. Sie sind aber definitiv am Verschwinden. Und ich fand ein tolles Buch mit dem Titel »Golden DaysBefore They End«, das ist ein Fotoband mit so richtig argen Beisln. Das war nicht nur für mich eine tolle visuelle Inspiration, es war auch für Monika Buttinger fürs
Kostüm und Enid Löser fürs Szenenbild eine wertvolle Referenz.


Ein omnipräsentes Symbol für die andere Zeit ist die Zigarette, die in RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY nicht einmal vorm Kinosaal Halt macht. Warum ist Ihrer Meinung nach die Zigarette so stark zum Symbol für eine bestimmte Zeit geworden?

Adrian Goiginger: Die Symbolik der Zigarette hat sich gewandelt. Eingeführt wurde sie mit dem Tonfilm, damit die Schauspieler:innen, die nun reden mussten, etwas mit ihren Händen zu tun hatten. Durch Humphrey Bogart ist es zu einem Symbol des Helden geworden, ein Bild, das sich vollkommen gewandelt hat. Inzwischen rauchen nur noch die Bösewichte oder die Obdachlosen. In RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY war die Zigarette ein starkes Mittel, um unser Milieu abzubilden. Es ist ein Bild, das sehr gut in die Vergangenheit passt und es hat einen spannenden visuellen Touch. Es hat uns ermöglicht, die Räume einzunebeln. Die echte Zigarette allein hätte nicht gereicht, wir haben sehr viel auch mit der Nebelmaschine gearbeitet und konnten das Verschwommene, leicht Träumerische erzeugen. Das fanden der Kameramann Paul Sprinz und auch ich visuell sehr ansprechend.


Das Bild hat eine nostalgische Körnigkeit. Paul Sprinz hat wie in allen Ihren bisherigen Filmen die Bildgestaltung übernommen. Wo haben Sie in der Kameraarbeit Akzente in einem Film gesetzt, in dem es sehr wenige Szenen ohne Dialog gibt?

Adrian Goiginger:
Wir haben digital gedreht, uns aber bemüht, eine gewisse körnige Optik des Bildes zu erzeugen. Es stimmt, außer einer montierten Sequenz in der Mitte des Films, wo Rickerl durch das nächtliche Wien spaziert, gibt es im Film keine Szene, in der nicht geredet wird. Dass der Film sehr dialoglastig ist, ist auch dem Milieu geschuldet. Es wird einfach sehr viel und gern geredet, viel Blödsinn, aber auch sehr kluge Dinge. Wir haben jeden Dialog parallel mit zwei Kameras gefilmt, mit meiner Inszenierungsmethode geht das nicht anders, weil ich gerade bei Sequenzen, wo ganze Gruppen im Bild sind, versuche, mit einem Kamerasetting alle Schauspieler:innen gleichzeitig zu filmen.

Es hat ein Drehbuch mit ausgeschriebenen Dialogen gegeben, die alle genau gelernt haben. Bei den Stammtischrunden habe ich dann beim Dreh bewusst die Texte weggenommen und den Figuren nur Anhaltspunkte gegeben, was sie in der Szene erreichen wollten. Wir haben vor dem Dreh sehr viel geprobt, damit jeder ein gutes Gefühl für seine Figur bekam, wusste, woher er kam und welche Verbindungen zu den anderen Figuren bestehen. Mein Ziel dabei ist, dass ich nichts mehr erklären muss, sondern dass alle die Situation spüren und sich auf den Moment konzentrieren können. Das hat allen sehr viel Spaß gemacht. Am Set haben wir auch wild herumprobiert. Das Erstaunliche war, dass, obwohl ich keine Dialoge vorgegeben hatte und sechs Leute Teil der Runde waren, nach dem vierten Take sich automatisch wieder eine Dramaturgie herausgebildet hatte und jeder Take ziemlich ähnlich verlief. Das ist ein spannender Prozess, auf den ich mich deshalb einlasse, weil ich glaube, dass wir so eine größere Authentizität erzeugen und ein viel freieres Spiel möglich ist.


Damit das funktioniert, brauchen Sie auch die richtigen Leute. Die Darsteller:innen in RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY mussten gewiss sprachlich ein authentisches Wiener Idiom
einbringen. Man entdeckt aber auch Gesichter, die man nicht so oft in österreichischen Kinofilmen sieht. 

Adrian Goiginger:
Genau das war mein Wunsch an die Casterin Angelika Kopej. Ich wollte Schauspieler:innen haben, die man weniger kennt, es sei denn, sie spielten sich selbst wie Voodoo Jürgens und der Nino aus Wien. Nicole Beutler, die man gut aus „Vorstadtweiber“ kennt, hat eine Perücke getragen. Ich wollte ‚frische‘ Gesichter, eventuell auch den Effekt erzeugen, dass sich das Publikum die Frage stellt, ob es sich tatsächlich um Schauspieler handelt. Fast alle Erwachsenen sind Profis. Ich brauchte Leute, die des Wienerischen mächtig waren und in die Konstellation mit Voodoo gut hineinpassten. Es war gewiss eines meiner lustigsten Castings. Wir haben im Café Weidinger so richtige Stammtischrunden eingerichtet. Im Zuge von drei, vier Casting-Runden hat sich dieser Kern herauskristallisiert. Es ist mir sehr wichtig, über mehrere Runden zu casten, weil ich mir wirklich sicher sein möchte und die Schauspieler:innen müssen auch mit meiner Arbeitsweise gut umgehen können.

Ben Winkler, unseren Darsteller für die Rolle des sechsjährigen Sohnes, haben wir in Niederösterreich gefunden. Die Dialektfrage war in Wien besonders schwierig. In der Stadt Wien stirbt der Dialekt bei den Kindern wirklich aus. Daher sind wir nach Niederösterreich ausgewichen, wo die Sprachfärbung recht ähnlich ist. Bei den Kindern war die erste Casting-Aufgabe, einen Austropop-Song 15/20 Sekunden lang im Dialekt zu singen. Die meisten haben Ambros oder Danzer gesungen. Ben, der beim Casting gerade sechs war, ist gekommen und hat einen Rapid-Fangesang dargeboten. Damit haben wir ihn aber schon ins Herz geschlossen. Er war talentiert, auch beim Improvisieren und er konnte gut die Wärme und Nähe zu Voodoo rüberbringen. Und was wirklich toll war – er hatte noch nie eine Gitarre in der Hand gehabt und hat in vier Monaten für den Film zu singen und mit der Gitarre dazu zu spielen gelernt. Am Ende des Films singt er ein Lied, das er selber geschrieben hat und in dem er auch seine Eindrücke während des Drehs verarbeitet.


Der Untertitel MUSIK IST HÖCHSTENS A HOBBY – ein Songzitat – erzählt von der mangelnden Ermutigung, vor allem vom fehlenden Glauben ans eigene Talent. Kennen Sie diesen schwierigen Schritt, es zu wagen, aus der eigenen Erfahrung? War diese Schwelle, die man im künstlerischen Schaffen überwinden muss, etwas, das Sie thematisieren wollten?

Adrian Goiginger:
Das ‚Sich-Trauen‘ ist mir eher leicht gefallen, ich muss aber auch sagen, dass ich oft gescheitert bin. Ich habe sehr früh mit dem Filmemachen begonnen, viele Projekte wurden nicht realisiert, ich habe auch schlechte Filme gedreht, meine Kurzfilme an der Filmakademie Baden-Württemberg haben nicht so wirklich funktioniert. Ich kenne das Scheitern und auch das Zweifeln sehr gut. Ich hatte auch das Glück, vergleichsweise jung einen ersten erfolgreichen Film zu machen, bei der Filmfigur Rickerl dauert es deutlich länger und auch bei Voodoo Jürgens hat es mit dem Karrierestart länger gedauert. Ich glaube 30 ist ein Turning Point. Wenn man schon länger künstlerisch tätig ist und mit 30 noch nicht da ist, wo die Altersgenossen sind, dann stellt man das eigene Tun in Frage. Über diesen Punkt ist Rickerl weit hinaus und es wird für ihn immer schwieriger, selber dran zu glauben.

Der große Unterschied zwischen der Filmfigur und mir besteht darin, dass Rickerl auch noch einen Vater hat, der sagt »Lass es doch bleiben, es bringt nichts.« Das ist problematisch, denn man strebt
immer auch nach der Bestätigung durch die Eltern und wenn dann von deren Seite eigentlich Gegenwind kommt, ist das echt schwierig zu überwinden. Ich denke, jede:r Künstler:in kann mit dem Thema Angst vor dem Scheitern und Zweifel an sich selbst etwas anfangen. Das Absurde ist – das war auch bei Voodoo Jürgens so – , dass man am ehesten Erfolg hat, wenn man sich selbst ganz treu bleibt. Das musste ich selbst auch erst entdecken. Der Weg zu „Die beste aller Welten“ hat über viele Umwege geführt, ich hatte auch erst spät den Mut, meine eigene Geschichte zu erzählen und nicht etwas, was ich mir von Tarantino abgeschaut hatte.


Das zweite zentrale Thema ist die VaterSohn-Beziehung: Die Absenz der Vaterfigur, das Bemühen und Scheitern ein guter Vater zu sein und auch das Weitergeben des Scheiterns im Leben von einer Generation in die nächste.

Adrian Goiginger: Ich habe schon bei „Der Fuchs“ versucht zu erkunden, wie eine Art Depression, eine Traurigkeit oder auch Schicksalsschläge weitervererbt werden können. In „Der Fuchs“ geht es um die Zwischenkriegszeit, den Zweiten Weltkrieg und die Frage, wann hört es mit dem Schweigen auf. Wann können die Eltern wieder darüber reden und sagen: »Ich mag dich. Du bist super.« Das konnten die Generationen unserer Großeltern und davor nicht. Bei Rickerl kommt die Frage dazu, wie geht man damit um, wenn der Vater alkohol- und spielsüchtig ist. Es geht nicht nur um körperliche, sondern auch sehr viel um psychische Gewalt. Wo ist der Punkt erreicht, wo ich sagen kann, meine Kindheit war nicht gut, aber die meiner Kinder wird besser. Diesen Sprung zu schaffen, ist nicht einfach. Ich tu mich da leicht, weil ich eine tolle Mutter gehabt habe, was es mir leicht macht, zu meinen Kindern liebevoll zu sein. Meine Filmfigur Rickerl hatte das nicht gehabt, sich davon zu lösen und ein besseres Vorbild zu sein, ist schwierig. Das braucht viel Kraft und Selbstdisziplin und das ist es, was Rickerl lernen muss. Er glaubt lange, dass er nur mit seiner Musik Erfolg haben müsste und dann würde alles gut werden, bis ihm bewusst wird, was er eigentlich lernen muss, nämlich Verantwortung für seinen Sohn zu übernehmen und ein zuverlässiger Vater zu sein.


Eine weitere Figur, die versucht sich aus einem ungesunden Mechanismus zu befreien ist Viki, die Mutter des gemeinsamen Sohnes mit Rickerl. Welche Gedanken stehen hinter dieser
Figur, die es schafft, nicht ins alte Beziehungsmuster zurückzukehren?

Adrian Goiginger:
Viki ist eine zentrale Figur in RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY. Sie ist eine wesentliche Verbindung zum ‚alten‘ Leben. Durch das gemeinsame Kind sind die beiden aneinander gebunden. Irgendwie sehnt sie sich nach diesem alten Leben, wo sie viel ausgingen und nur den Augenblick genossen haben, aber sie hat irgendwann für ihren Sohn entschieden, dass es so nicht weitergehen konnte und dass sie seriöser werden musste. Sie ist eine Zerrissene. Agnes Hausmann bringt das auf wunderbare Weise zum Ausdruck. Rickerl hat sich seine Vergangenheit so zurechtgerückt, wie er’s gerne hätte und die Trennung von Viki in keiner Weise aufgearbeitet. Ihr neuer Mann Kurti repräsentiert die neue Welt und sie muss einen Mittelweg finden, was alles andere als einfach für sie ist.

Foto:
©Verleih

Info:

BESETZUNG

Erich "Rickerl" Bohacek     Voodoo Jürgens
Dominik                Ben Winkler
Viki                       Agnes Hausmann
Kurti                     Claudius von Stolzmann
Rickerls Vater       Rudi Larsen
Frau König           Nicole Beutler
als er selbst.        Der Nino aus Wien

STAB
Regie, Drehbuch        Adrian Goiginger
Kamera                       Paul Sprinz

Abdruck aus dem Presseheft

Interview: Karin Schiefer im September 2023
www.austrianfilms.com