Hanswerner Kruse
(Weltexpresso) - So, das vierwöchige Vorabgucken der Filme ist vorbei. 32 längere Filme und 18 Kurzfilme aus verschiedenen Sektionen habe ich gesehen: Forum, Panorama, Generation… Darunter großartige Werke, über die ich hier bereits jeweils kurz berichtet hatte, einige Streifen hätten es auch verdient, im Wettbewerb zu laufen. Wie immer kommen die Randgebiete der Berlinale in der überregionalen Presse viel zu kurz, obwohl es manche bis zur Hollywood-Nominierung schaffen, wie derzeit das „Lehrerzimmer“ aus dem letztjährigen Panorama.
Einige freie Tage lang habe ich das Schieben von Einkaufswagen oder Wegbringen von Flaschen wieder gelernt - und dann den Berlinale-Badge (Ausweis / Erkennungsmarke zur Zugangskontrolle) abgeholt. Nun beginnen die - wie viele denken - „echten Festspiele“ mit den 20 Filmen im Wettbewerb. Die werde ich alle sehen und hier kurzbesprechen, weltexpresso.de wird sie ausführlich rezensieren. Bereits Mittwochabend konnten wir Presseleute bereits den Eröffnungsfilm erleben.
Armut. Hart arbeitende Menschen. Tristesse und Angst im Schatten des Klosters. „Small Things Like These“ ist ein düsterer Film, in dem ein Kohlenhändler es geschafft hat, aus dem Elend seiner Kindheit herauszukommen. Doch er leidet an der Armut, den Erniedrigungen, seinen eigenen Erinnerungen - und will es letztlich nicht mehr mitansehen, wie schwangere, alleinstehende Mädchen in der Nonnenhölle gequält werden. Das alles spielt im Irland der 1985er-Jahre und man weiß nicht, wird der Kritiker jetzt ausgestoßen und fertiggemacht. Oder beginnt jetzt endlich der Kampf gegen den Missbrauch in den Magdalenen-Heimen? Doch erst 1993 kamen die grausamen und wörtlich: mörderischen Taten der Gottesbräute ans Licht (siehe Magdalenen-Heime)
Das ist natürlich wieder ein Film, der bei Kollegen und Kolleginnen Empörung oder Verbesserungsvorschläge provozierte. Aber im Mittelpunkt stehen nicht die unmenschlichen und verlogenen Taten der Ordensfrauen, sondern das Ringen des Kohlenhändlers, gezeigt vom genialen Cillian Murphy („Oppenheimer“), „der mit den Augen spielt“, wie die Berliner Zeitung schrieb.
Es ist ein der Berlinale adäquates Werk, das Kinokunst und gesellschaftliches Engagement verknüpft. Denn die Festspiele sind seit ihrem Beginn 1951ein politisches Festival, das die Freiheit der Kunst demonstriert: Als „Schaufenster der freien Welt“ umgeben von der roten, pseudosozialistischen Ostzone.
Nichtsdestoweniger weigerte sich die Große Wettbewerbs-Jury bei ihrer Presse- und Vorstellungskonferenz am Eröffnungstag, nach einigem hin und her, die vielen dusseligen Publikumsfragen nach AfD, Ukraine, Israel und anderen sogenannten politischen Themen zu beantworten. „Ich bin wegen der Filme hier“, meinte der schließlich sichtlich genervter Christian Petzold, der im letzten Jahr den Großen Preis der Jury für seinen Wettbewerbsbeitrag „Roter Himmel“ gewann. Über die möglichen Kriterien der Jury erfuhr man leider fast nichts.
Am letzten Wochenende haben im Museum „Hamburger Bahnhof“ palästina-freundliche Irre, die einhundertstündige Performance der kubanische Künstlerin Tania Bruguera gestört. Die Dauerlesung des Textes „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ von Hannah Arendt musste abgebrochen werden.
Hoffen wir,
dass der 74. Berlinale dieser autoritäre, aggressive und antisemitische Wahnsinn erspart bleiben wird!
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Mittendrin © Hanswerner Kruse