Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - "La Cocina“, die Küche im Restaurant „Grill“ am Times Square, ist am Ende des Films ein Schlachtfeld.
Der mexikanische Koch Pedro ist wieder einmal ausgerastet, doch diesmal hat er die Küche und die Gasträume vollständig ruiniert. „Du hast meine Welt zum Stillstand gebracht“, brüllt ihn sein Boss mehrfach fassungslos an, „Was gibt dir das Recht dazu?“
„Ich gebe euch Arbeit. Ich gebe euch zu essen. Was wollte Ihr denn noch?“ schreit er in die Runde der vierzig Köche, Serviererinnen, Spüler und sonstigen Helfer, die ihn finster anstarren. Das bleibt zwar offen, wird von ihnen nicht ausgesprochen. Aber die illegalen, leicht dunkelhäutigen Menschen aus Südamerika und die wenigen weißen Helferinnen wollen einfach nur Respekt! Auch untereinander. Diese Forderung zieht sich durch den Streifen..
Die Geschichte, die uns dieser Film erzählt, ist recht einfach. Die Mexikanerin Estela kommt am Times Square an, kaum Englisch sprechend sucht sie das „Grill“. Aufgrund einer Verwechslung bekommt sie dort ihren Küchenjob, und weil sie behauptet Pedro zu kennen, sogar noch als Hilfsköchin.
Pedro, der mal wieder zu spät zur Arbeit kommt, kann sich an die kleine Estela aus seinem mexikanischen Heimatdorf nicht erinnern und lässt sich nur knurrig von ihr helfen. Mehr erfährt man von dem Mädchen nicht, außer dass sie als jüngste und neuste Küchenkraft von allen geschurigelt wird. „La Cocina“ ist eigentlich Pedros Geschichte, der sich nicht beherrschen und anpassen kann, immer wieder ausflippt und mit der zarten, weißen Julia aus dem Service ein Verhältnis hat. Sie ist schwanger von ihm, will das Kind nicht – oder ist hin- und hergerissen, was sie tun soll.
Die Handlung spielt an einem Tag, meist in der Küche oder in den Pausen im Hinterhof zwischen dem Müll. Hier fragt Pedro auch in die Runde, wovon die anderen träumen. Er selbst verweigert als Letzter die Antwort und stürzt davon, weil Julia nicht gekommen ist. Stattdessen ist sie in die Klinik gefahren und lässt die Abtreibung vornehmen. Pedros Traum ist zu Ende, er hat intensiv an die Verwirklichung seine Fantasien geglaubt: Eine dünne weiße Gringa zu heiraten, mit ihr ein Kind zu bekommen und dann gemeinsam weit weg zu gehen.
Häufig gibt es lange, komische Phasen von obszönen Redereien und lasziven Gesten auf Spanisch, über die sich die wenigen weißen Amerikaner aufregen. In der Rahmenhandlung geht es um verschwundene 800 Dollar, fast alle machen - heimlich - Pedro oder Julia dafür verantwortlich, denn sie wissen, die beiden brauchten Geld für die Abtreibung.
Doch viel wichtiger als diese Handlung ist die Erzählweise des Films, die ihn überhaupt erst zum Kunstwerk macht. Es wird einem erst zum Ende des Films bewusst, dass die ganze Handlung dicht gedrängt an einem Tag stattfindet. Fast durchgehend ist er im trüben Schwarz-weiß gedreht, mit oft schrägen Kameraperspektiven oder ungewöhnlichen Ausschnitten. Manchmal überlappen sich die Bilder oder verschwimmen ineinander, wie in den alten Dogma-Streifen. Das Leinwandformat mit 5 x 4 macht die große Küche visuell sehr eng, nahe Porträtaufnahmen oder von zwei sich Streitenden knallen bedeutsam in diese Enge hinein.
Dieser sehenswerte, häufig sogar humorvolle Film, ist nicht larmoyant oder anklagend, sondern zieht uns einfach in eine andere Welt hinein. Mit seinen cineastischen Mitteln schafft Regisseur Alonso Ruizpalacios den eigenen Mikrokosmos der ausgebeuteten Migranten oder Beleidigten im „Grill“. Von ihrem Leben jenseits der Küche – ihren Familien, ihrer Heimat, ihren Wünschen erfahren wir nichts. Aber wir verstehen, dass diese unaufhörlich, fast ständig hektisch arbeitende Menschen Respekt wollen.
Foto
Julia & Pedro © Juan Pablo Ramírez / Filmadora
Info:
„La Cucina“ Mexiko / USA 2024, Weltpremiere, 139 Minuten. Regie Alonso Ruizpalacios mit
- Raúl Briones (Carmona (Pedro)
- Rooney Mara. (Julia)
- Anna Diaz (Estela)
- Motell Foster (Nonz)
- Oded Fehr (Rashid)
- Laura Gómez (Laura)
- James Waterson (Mark)
- Lee Sellars. (Chef)
- Eduardo Olmos. (Luis)