black teasInternationale Filmfestspiele Berlin vom 15. bis 25. Februar 2024, Wettbewerb Teil 17

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Nach all den dramatischen Filmen, wo es um ideologische, religiöse und Menschheitsdramen geht, fällt einem dieser afrikanisch-chinesischer Film, wo ein Menschen-, ein einziges Frauenschicksal verhandelt wird, als zärtlicher liebevoller Film auf, der gleichwohl im Nachhinein weite Perspektiven aufweist.

Wir Europäer sind gewohnt, daß wir in China, in Afrika, im weiteren Asien unterwegs sind, dort Liebespartner gewinnen, gemeinsam Kinder zeugen, die die Völker miteinander verbinden. Allerdings haben wir dabei immer unsere europäische Perspektive. Deshalb ist es überraschend, was die dreißigjährige Aya tut. Sie lebt auf den Kapverdischen Inseln und soll heiraten. Will sie auch? Das fragen wir uns gleich, wenn der Anfang des Films ihre Hochzeit zeigt. Die vorgesehene Hochzeit. Der Mann schaut ziemlich stur und unterhält sich lieber mit seinem hinter ihm sitzenden Freund. Aya fummelt dauernd an sich herum, an ihrem Hochzeitsschleier. Ohne ihn sieht sie besser, aber sie wird, ohne daß sie das jetzt schon weiß, intuitiv etwas Ungewöhnliches tun. Bei der Frage, ob sie den Mann an ihrer Seite, der gerade JA gesagt hatte, Männer werden traditionell zuerst gefragt!, ehelichen wolle, sagt sie NEIN. Aber zuvor hat sie ihm gerade liebevoll mitgeteilt, er wolle doch eigentlich ein anderes Leben und das solle er auch führen und sie gibt ihm die Freiheit dazu, in dem sie Nein sagt.

Daß sie anschließend ihre Community verlassen muß, war ihr klar. Denn so ein unweibliches Verhalten geht schon gar nicht. Sich einem Mann zu verweigern, nachdem dieser alles für die Hochzeit geplant und ausgegeben hatte. Dieser Gesichtsverlust. Da muß die Frau ziehen, denkt sich Aya – und geht nach China, wo eine afrikanische Gemeinde lebt. Das ist sowieso selten und im Kino ganz selten, daß eine Afrikanerin nicht nach dem Westen, nach Europa oder Amerika geht, sondern gen Osten. Und erst recht ist für uns ungewöhnlich, dort die Familien vorzufinden, auf die Aya stößt. Die afrikanische Diaspora und die einheimischen Chinesen haben zu Familienbünden geführt und Immer wieder sehen wir Kinder von Afrikanern und Chinesen.

Nach dem dramatischen Auftakt lernen wir jetzt eine leise verletzliche Seite von Aya kennen, die nämlich in einem Teeladen die Teezeremonie erlernt und so gelehrig ist, daß sie den Verkauf fördern kann. Das freut den Besitzer, Cai, ein 45-jähriger Chinesen, der sich erst über die gelehrige Schülerin freut und dann an der attraktiven Aya erfreut.

Doch das ist alles nicht so einfach. Denn auch Cai hat schon ein volles Leben hinter sich. Wir sehen ihn mit einem Geschenk in der Hand über unwegsame Wege schreiten und ausgleiten und zerzaust kommt er an. Das junge chinesische Mädchen, das ihm im roten Kleid um den Hals fällt, ist seine Tochter, die er wohl selten sieht.

Aber zu Hause hat er noch einen Sohn. Dessen Mutter, seine Frau lebt wohl getrennt von ihm, denn als sie überraschend mit ihren Eltern auftaucht, fällt ihm ein, daß er den Termin vergessen hatte, was schließen läßt, daß sie nicht zusammenwohnen. Die Situation ist deshalb verwirrend, weil Cai doch Aya nach Hause zu sich eingeladen hatte; er hat sich verliebt und sie auch, was aber in den Anfängen steckt und ganz leise und dezent daherkommt. Da ist es schon ungewöhnlich, daß er sie, als die Familie seiner Frau antanzt, bittet, sich in sein Schlafzimmer zurückzuziehen.

Regisseur Abderrahmane Sissako, einer der wenigen bekannten afrikanischen Regisseure, arbeitet im Film mit vielen kleinen Verweisen, Hinweisen, die der Zuschauer zur Kenntnis nehmen und sich einen Reim darauf machen kann. Denn als die Familie – die Eltern und seine Schwiegereltern sowie der Sohn - am Tisch das mitgebrachte Essen verzehren, entpuppt sich der Schwiegervater als AfD-Sympathisant, was natürlich nicht stimmt, aber er ist gegenüber den hiesigen Afrikanern rassistisch eingestellt, hält diese für minderwertig, wofür sich seine Tochter Ying (Wu Ke-Xi) und auch Cai schämen, woraufhin aber vor allem der Enkel dem Großvater deutliche Worte sagt, sprich dem Opa die Meinung geigt. Das alles hört Aya im Schlafzimmer mit.

Gleichzeitig, so sind sie die aufmerksamen Frauen, hat Ying auf der Kommode eine bunte Frauenjacke entdeckt. Sie kennt sie und in einer kurzen Rückblende sehen wir, wie Ying Kleid und Jacke an Aya absteckt, sie hat beides geschneidert, und in der Rückblende ist auch die Zärtlichkeit zwischen beiden Frauen zu sehen. Der Film deutet hier nur an, wie überhaupt bei einigenFilmen im Wettbewerb immer wieder leise gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen angedeutet werden, ohne daraus Brimborium zu machen.

Ob es Traumsentenzen sind, als die beiden in roten Kleidern aufeinandertreffen, oder reales Geschehen ist nicht wichtig. Die Frauen sind keine Konkurrentinnen, das ist sicher. Und es sieht auch so aus, als ob sich Cai und Aya ernsthaft aufeinander einlassen. Das wird die Zukunft zeigen. Die Gegenwart auf jeden Fall bewältigen sie.

Bleibt die rätselhafte Schlußszene. Da wiederholt sich die Hochzeitszeremonie vom Beginn und die Frage an den zukünftigen Ehemann, der JA sagt und die Frage an die Braut Aya, die ---gar nichts sagt, denn der Film ist zu Ende. Hätte sie aufgrund ihres weiteren Lebens danach eine andere Entscheidung gewählt, hätte sie JA gesagt, hätte sie erneut NEIN gesagt, das alles bleibt offen. Sie ist auf jeden Fall eine andere geworden und es spricht nichts dafür, daß sie zurückgeht.

Daß Drehbuch und Film das auch gar nicht im Detail klären wollen, betont der Regisseur ausdrücklich. In sein Konzept gehört, daß die Menschen frei in ihren Entscheidungen sind, er hat hier Aya eine Möglichkeit angeboten, keinen Zwang für dieses oder jenes Leben. Das ist ihre Entscheidung, ihre Freiheit. Denn Frauen sind, egal, wo auf der Welt genauso frei wie Männer in ihren Entscheidungen. Man muß diese nur wahrnehmen, sich trauen.

Ein versöhnlicher, ungewöhnlicher Film.


Foto:
©Berlinale


Info:
von Abderrahmane Sissako Frankreich / Mauretanien / Luxemburg / Taiwan / Côte d'Ivoire 2024Mandarin, Französisch, Englisch, Portugiesisch, Untertitel: Englisch, Deutsch

Stab
Regie. Abderrahmane Sissako
Buch. Kessen Fatoumata Tall, Abderrahmane Sissako

Besetzung
Nina Mélo (Aya)
Chang Han (Cai)
Wu Ke-Xi (Ying)
Michael Chang (Li-Ben)