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Internationale Filmfestspiele Berlin vom 15. bis 25. Februar 2024, Wettbewerb Teil 27

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Preisverleihung bei der 74. Berlinale. Gereckte Fäuste. Jubel und Beifall. Nur wenige Pfiffe, wenn von einigen Filmschaffenden – vor der eigentlichen Gold- und Silberbärenverteilung im Wettbewerb - Solidarität mit Palästina gefordert wurde. Es war auch nicht immer ganz klar, ob der Ruf zur Feuerpause oder die Palästinenser beklatscht wurden.


Dennoch war es unglaublich, dass sich, vor der großen Preisverleihung, kein Offizieller auf die Bühne traute und klare Worte zum Überfall der Hamas auf Israel und zur Befreiung der Geiseln fand. Jedoch gab es am Samstagabend keinen Eklat, diese wenigen Episoden vor der Verleihung der Hauptpreise, wurden erst im Nachhinein kritisiert und skandalisiert, sie dominierten auch nicht die Gala. Die Berlinale selbst brauchte bis Montag, um sich deutlich zu positionieren und zu distanzieren…

Palästinafreundlichen Tumult gab es zu Beginn des Abends bei der Ehrung von Filmen, die mehr oder weniger explizit die israelische Politik kritisierten. Im Film „No Other Land“, in der Sektion Panorama, wurde dokumentiert, wie israelisches Militär im Westjordanland Palästinenser aus ihren Häusern vertreibt, während in der Nachbarschaft radikale Siedler illegal ihre Reihenhäuser bauen. Ein israelischer Journalist hilft seinem palästinensischen Kollegen bei dieser Dokumentation, die immerhin über Jahre hinweg gemacht werden durfte. Die beiden Journalisten wurden bei ihrer Arbeit nicht verprügelt, verhaftet, verschleppt... 

Die israelischen Aktionen im Palästinensergebiet waren ein Skandal, aber sie sind der rechtsradikalen Regierung unter Benjamin Netanjahu zuzuschreiben. Nicht den Israelis! Der Film kommt erstaunlicherweise nicht als israelbezogener Antisemitismus rüber, zwingt aber seine Betrachter zum Nachdenken - und zur Distanzierung von der Siedlungspolitik. Auf der Bühne hörte sich das dann jedoch ganz anders an: Israel wurde von den beiden Filmemachern angegriffen und Solidarität mit dem palästinensischen Volk gefordert. Der Film erhielt den offiziellen Berlinale Dokumentarfilmpreis und den Publikumspreis in der Sektion Panorama.

Meron Mendel, jüdischer Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und Emigrant aus Israel, war ein überzeugter Aktivist zur Aussöhnung von Palästinensern und Israelis. Gerne ging er zum Militär, erlebte jedoch im Westjordanland die Aggressivität der Siedler und Soldaten, die meist Siedlerkinder waren. In seinem neuen Buch „Über Israel reden“ schreibt er darüber: „Als wir nach Hebron zurückkehrten, wurde mir zudem vor Augen geführt, dass dort eigentlich die palästinensischen Zivilisten militärischen Schutz benötigten – und zwar vor der Gewalt jüdischer Siedler. Doch wir Soldaten hatten hauptsächlich die Aufgabe, die Siedler gegen palästinensische Angriffe zu verteidigen.“ Der in Israel aufgewachsene Mendel verließ seine Heimat vor 15 Jahren (!), weil er keine Hoffnung mehr hatte, dass sich die radikalen rechten und religiösen Kräfte aufhalten lassen.

Von den Machern des französischen Films „Direct Action“, ein dreieinhalb-stündiges Werk in der Sektion Encounter, war nichts anderes zu erwarten, als dass sie den „palästinensischen Widerstand“ auf der Bühne feiern. Dazu hatten sie auch noch zwei Aktivisten mitgebracht. Denn die postkoloniale, linksradikale Position der Aktivisten ist per se antisemitisch, weil Israel aus der Sicht des globalen Südens als verabscheuungswürdige Kolonialmacht diffamiert wird. 

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Berlinale Dokumentarfilmpreis 2024: "No Other Land" Regisseure Yuval Abraham und Basel Adra © Richard Hübner / Berlinale 2024