Hanswerner Kruse
Auschwitz (Weltexpresso) - Der Spielfilm „The Zone of Interest“ beschreibt einen Lebensabschnitt des Lagerkommandanten Rudolf Höß. Mit seiner Frau und den fünf Kindern wohnt er im Schatten des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Der englische Titel ist die Übersetzung der euphemistischen nazi-deutschen Umschreibung „Interessengebiet“ für das Gebiet um das KZ.
Lange ist die Leinwand grau, dann taucht der Titel auf: „The Zone of Interest“. Langsam wird er ausgeblendet, dennoch bleibt die Leinwand weiterhin (gefühlt) endlos lange grau. Dazu beunruhigende Neue Musik. Dieser Einstieg verunsichert: Trauen uns die Filmemacher ihre schrecklichen Bilder nicht zu? Wollen sie uns auf unsere Fantasien zurückwerfen? Immerhin wissen wir, es geht um die Gräuel im Todeslager.
Irgendwann dann der Schnitt und lange farbige Kinobilder: Leute picknicken im Wald. Männer baden im Fluss. Frauen suchen mit Kindern nach Beeren. Später die Heimfahrt, Ankunft zu Hause. Morgens gehen die Kinder zur Schule, der Mann zur Arbeit. Es sind banale Ereignisse, etwa wenn der Mann, es ist der Kommandant Höß (Christian Friedel) Geburtstag hat und vor dem Haus einen Schnaps mit seinen SS-Gratulanten herunterkippt. Seine Frau Hedwig Höß (Sandra Hüller), läuft mit dem Baby im Arm zwischen aufgehängter weißer Bettwäsche umher. Zum ersten Mal sieht man jetzt einen Wachturm hinter einer hohen Mauer - das ist das Einzige, was im gesamten Film vom Lager zu sehen sein wird.
Einige jüdische Menschen sind „Bedienstete“ der Familie, furchtsam liefern sie Lebensmittel, putzen im Haus oder servieren Essen. Stolz präsentiert Hedwig ihren Freundinnen einen „beschlagnahmten“ schwarzen Pelzmantel, in dem sie einen grellen Lippenstift fand. Zur gleichen Zeit sitzt Höß mit Ingenieuren zusammen und plant mit sachlich technokratischer Sprache zukünftige Massenmorde: „Der Transport wird entladen“ und „später wird die Brennladung in den Öfen gewechselt“.
Die Kamera ist kalt und distanziert, ihre aufgenommenen Bilder sind nicht ästhetisiert und ohne Effekte, emotionslos halten sie die scheinbar banalen Ereignisse in der Familie unweit des Entsetzens fest. Es gibt keinen Blick in das KZ, man sieht niemals Opfer - außer den ängstlichen „Bediensteten“ der Höß-Familie. Doch im Hintergrund ist leise ein ständiges Beben und Dröhnen aus dem Lager zu hören. Manchmal Geschrei. Hundegebell. Befehle. Schüsse. Das im Film verschwiegene, unsichtbare Grauen ist akustisch allgegenwärtig.
„Die Königin von Auschwitz“, wie Hedwig sich gerne nennt, inszeniert unermüdlich die heile Familienidylle. Die hässliche KZ-Lagermauer am Rande ihres „wunderschönen Gartens“, drei Jahre habe sie daran gearbeitet, möchte sie mit wildem Wein bepflanzen. Weil Höß als Kommandant versetzt werden soll, braust seine Frau auf: „Ich gehe hier nicht weg! Das ist unser Zuhause, so wie wir es uns immer erträumt haben.“ Höß ist zerrissen zwischen Familienidylle und Gehorsam. Mit sanfter Stimme versucht er seine Frau zu trösten, so wie er auch mit seinen Kindern meist überraschend nachsichtig umgeht. Dennoch ist die Idylle keine heile Welt. Höß zwingt heimlich ein jüdisches Mädchen zum Sex. In schwarz-weißen traumartigen Bildern legt eine Heranwachsende aus einer Aufseherfamilie, nachts heimlich Essen an die Arbeitsplätze der Gefangenen.
Hedwig und Rudolf Höß sind keine sadistischen Monster, wie es vermutlich viele andere Nazis ebenfalls nicht waren: Das Grausame wird nicht ausgesprochen, sondern umschrieben, es wird ausgeblendet und berührt die Täter nicht. Sie gehen lediglich ihrer Arbeit nach oder lösen ihnen zugewiesene Aufgaben. In ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess nannte Hannah Arendt einst diese Haltung die „Banalität des Bösen“, für die sie heftig kritisiert wurde. Es ist so, als habe „The Zone of Interest“ dieses Phänomen bebildert, natürlich ohne die Taten zu rechtfertigen oder zu relativieren. Das macht den Film so entsetzlich, aber auch so bedrohlich: „Ich glaube, was uns am meisten Angst einflößt, ist die Vorstellung, dass wir ebenso gut die Protagonisten sein könnten. „Sie waren menschliche Wesen wie wir“, sagt dazu der jüdische Regisseur und Drehbuchschreiber Jonathan Glazer.
Foto:
Idylle im Schatten des Grauens © Leonine-Studios
„The Zone of Interest“ wurde in Auschwitz gedreht, USA / GB / Polen 2023, 106 Minuten, FSK 12 Jahre, ab 29. Februar im Kino. Mit Christian Friedel, Sandra Hüller und anderen
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