Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zur rechten Zeit kommt diese DVD hier unter die Leute, denn in PERSEPOLIS kann man den politischen Hintergrund des heutigen Frauenwiderstands gegen die Diktatur der Mullahs und deren Frauenhaß im Iran noch besser verstehen. Von diesem französischen Zeichentrickfilm, den die Regisseure Vincent Paronnaud und Marjane Satrapi nach dem Comic von Satrapi angefertigt haben, geht eine Kraft aus, die im Jahr der Uraufführung bei den Filmfestspielen in Cannes 2007 zum Preis der Jury geführt hat.
Das Besondere am Film ist auch, daß er für Jugendliche eine besondere Aussagekraft über eigenes Handeln gewinnt, denn im Kern geht es um die komplizierte Kindheits- und Jugendgeschichte der Regisseurin, die auf dem politischen Verfall des Iran basiert und diese Wechselwirkung deutlich macht.
Wer kennt denn heute noch Schah Mohammad Reza Pahlavis, dessentwegen beim Staatsbesuch mit seiner Frau Farah Diba in der Bundesrepublik die Studenten auf die Straße gingen und gegen den autoritären Staatschef protestierten. Das war am 2. Juni 1967 in Berlin, in dessen Gefolge es auch zur Ermordung von Benno Ohnesorg durch einen Westberliner Polizisten kam, der, was erst nach 1991 herauskam, Stasi-Mitarbeiter war. Beginn der 68-er Bewegung. Auch der Schah hatte eine dreckige Weste. In den bunten Blättern dieser unsäglichen Zeitungen ging es immer nur um die verlassene Soraya, die dem Schah keine Kinder schenkte, weshalb er sie verstieß und Farah Diba heiratete, was ihm diese Blätter übel nahmen. Daß er selbst aber durch ein Komplott seinen Vater verdrängt hatte und seit 1941 mit massiver US-Unterstützung ein autoritäres System errichtet hatte, nach außen liberal und westlich, nach innen seine politischen Gegner durch den Geheimdienst beobachten oder ausschalten ließ, war die Grundlage, daß sich das Volk in einer Revolution gegen das Schah-Regime auflehnte und von den schiitischen Geistlichen, die den Volksaufstand zur Islamischen Revolution deklarierten, Besseres erhofften. Der nach Paris emigrierte Ruhollah Chomeini kehrte 1979 als weltlicher Führer zurück.
Damals ahnte keiner, daß es noch schlimmer kommen würde und die Mullahs die noch vom Schah ausgebauten Frauenrechte beschneiden und eine mittelalterlich frauenfeindliche religiöse Diktatur errichten würden, die in der heutigen Welt fast surreal wirkt, aber bittere Wirklichkeit ist.
Nein, im Film hören Sie das nicht so, sondern die Jahreszahlen sind jeweils groß eingeblendet, wenn eines der politischen Ereignisse die Kindheit und Jugend von Marjane bestimmt. Sie ist acht Jahre, als wir ihr begegnen und sie in Teheran als Tochter einer gutsituierter Familie aufwächst, die sich gegen den Schah stellte und aufatmete, als Chomeini die Macht übernahm. Es sieht alles gut aus, Onkel Anouche, ein Kommunist, wird aus dem Gefängnis entlassen, später jedoch wird schnell klar, daß die religiöse Führung noch schlimmer ist und ihn wegen seiner politischen Überzeugung sogar hinrichtet. Zusätzlich wird das Leben in Teheran durch den Golfkrieg (1980-88) zwischen dem Irak und dem Iran gefährlich, weshalb die Eltern die leicht renitente Marjane ins Internat nach Wien schicken. Doch dort bleibt sie Außenseiterin, lebt aber locker, hat einen Freund, eine Liebesbeziehung, die aber übel ausgeht. Das alles sehen wir auf den Zeichnungen, die eine ruppige, aber auch klare Marjane zeigen, die in Wien am Ende nach Hause zurückkehrt. Im Nachhinein eine falsche Entscheidung, aber sie war wohl nötig, damit sie endgültig im Iran durchblickt.
Erst einmal scheint alles gut, sie beginnt ein Kunststudium, verliebt sich, heiratet den falschen Mann, es geht wieder übel aus, weshalb sie nach Frankreich auswandert und dort bleibt.
So die Geschichte der Marjane, die also auf den vier Teilen ihrer eigenen Graphic Novel beruht. Die Zeichnungen im Film entsprechen den Büchern, auch in ihrem Schwarz-Weiß. Allerdings sind die Zäsuren im Film, die neue Lebensabschnitte bedeuten, immer in Farbe.
Genau so wichtig wie der Film sind die EXTRAS, eigentlich sogar noch wichtiger und auch länger. Marjane Satrapi ist eine selbstbewußte und durchsetzungsfähige Frau. Sie ist dazu geworden. Es ist sicherlich nicht leicht, sich ihr gegenüber zu behaupten, aber die Aufnahmen zeigen, wie sehr sie sich um Perfektion und auch Wahrheit bemüht. Ihre Ausführungen sind derart deutlich und interessant, daß man, wenn man glaubte, viel über den Iran zu wissen, dann doch noch mehr lernt und auch darüber, was es heißt, in der Fremde ein eigenes, selbstbestimmtes Leben führen zu wollen - und zu können. Sie selber formuliert so klar ihre politische Meinung zum Iran und zum Mut der Frauen, die sich auflehnen, daß man sich vorstellen kann, daß sie zu den bevorzugten Gegnern der Mullahs gehört.
In den Extras sind sowohl Interviews wie auch Gespräche, in denen aber immer wieder die Filmemacherin das Wort hat, was auch gut ist, denn sie hat trotz der Länge der Aussagen nur wenige Wiederholungen und auf jeden Fall immer etwas zu sagen. Es geht nicht nur um Politik, der größte Teil der EXTRAS hat mit der Entstehungsgeschichte des Films zu tun. So hatte sie sich auf ganz bestimmte Sprecher festgelegt, die sie auch bekam! Als Marjane wollte sie Chiara Mastroinanni, die Tochter der Deneuve mit Mastroianni, die selber Marjanes Mutter spricht. Beide bestreiten auch die englische Fassung, wo Sean Penn den Vater gibt. Die Großmutter, deren Rolle wir oben unterschlagen haben, die aber die entscheidende Figur für das Großwerden und die Einschätzung der Welt war, hatte Danielle Darrieux übernommen. Im Deutschen, das ja wie Französisch auf der DVD gewählt werden kann, spricht die gebürtige Iranerin Jasmin Tabatabai die junge Marjane, Nadja Tiller die Großmutter, die schon als junge Frau das Leben von Mann und Frau durchschaute und sich scheiden ließ, als das noch ungewöhnlich war. .
Der Film kam am 22. November 2007 in Deutschland in die Kinos, wurde gut aufgenommen und künstlerisch, bzw. stilistisch dem US-Zeichner Art Spiegelmann, Urheber von MAUS, zugesprochen, was der Intention von Marjane Satrapi entspricht. Eigentlich ist es ein typischer Coming-of-Age-Film, aber angesichts der politischen Ereignisse durch die mutigen Frauen im Iran ist es auch ein Beispiel für Frauenmut, weshalb man zum einen über die Herausgabe der DVD froh ist, andererseits eine Wiederaufführung in den Kinos im Jahr 2024 vorschlagen möchte. Inzwischen gibt es diese Reihe, in der monatlich ältere Filme wiederaufgeführt werden. Dieser Film paßt hervorragend.
Schon deshalb, weil das das iranische Regime mehr als ärgert. Die hatten sogar unter Zensur sogenannter ‚sexueller‘ Szenen 2008 eine Aufführung in den Kinos zugelassen. Schließlich endet der Film ja mit dem Weggang nach Frankreich, ohne die weiteren Verschlimmerung Richtung brutaler Frauenunterdrückung und politischer Diktatur gegenüber der ganzen Bevölkerung. Heute wäre eine Wiederaufführung im Iran unmöglich, was auch zeigt, wie sehr sich die Verhältnisse für alle, vor allem aber für Frauen verschlechtert, verschlimmert haben. Aber diese Frauen geben nicht auf. Die DVD unterfüttert die gegenwärtige politische Situation mit der Vergangenheit im Iran.
Foto:
Umschlagabbildung
Info:
Persepolis (Ultra HD Blu-ray & Blu-ray)
Frankreich/USA, 2007
FSK ab 12 freigegeben
Erscheinungstermin: 19.10.2023
Serie: Arthaus
Genre: Animation
Spieldauer: 96 Min.
Regie: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud
Autor: Marjane Satrapi
Sprache: Deutsch, Französisch
Tonformat: DTS-HD 5.1
Bild: Widescreen
Untertitel: Deutsch, Französisch
Persepolis DVD
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