Bildschirmfoto 2024 03 06 um 22.40.42Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. März 2024, Teil 3

Hanswerner Kruse

Rom (Weltexpresso) - Um es gleich von Anfang an klarzustellen: Dieser Film ist weder eine Einführung in die Methoden der Montessori-Pädagogik, noch eine Auseinandersetzung mit dem angeblichen Flirt Maria Montessoris mit den italienischen Faschisten. 

 

Dieser schwerwiegende Vorwurf wurde vor einigen Tagen von der FAZ erhoben. Stattdessen erleben wir eine Frau, eine engagierte Medizinerin und Pädagogin um 1900, die sich beispielhaft, wie die gleichgesinnten Kämpferinnen - Paula Modersohn-Becker als Malerin, Loïe Fuller als Tänzerin oder Marie Curie als Wissenschaftlerin - in der patriarchalischen Welt durchzusetzen versucht. Maria Montessori (Jasmine Trinca) leitet ein Heim in San Lorenzo, einem Armenviertel in Rom, in dem schwerbehinderte junge Menschen behandelt und gefördert werden. Doch den Ruhm für die Erneuerung der pädagogischen Medizin streicht ihr Lover und Kindsvater Giuseppe (Raffaele Esposito) ein. 

Die beiden haben eine Affäre und einen kleinen Sohn Mario, der aber bei einer Ziehmutter auf dem Land aufwächst. Denn als Alleinerziehende, als sündiges Weib, wäre sie in der bigotten italienischen Gesellschaft als Wissenschaftlerin erledigt. Und heiraten will Montessori nicht, weil sie fürchtet dann ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu verlieren. Nicht ganz zu Unrecht, wie sich später zeigen wird...

In der Parallelhandlung lernen wir in Paris die Französin Lili d‘Alengy (Leïla Bekhti) kennen, die eine kleine behinderte Tochter namens Tina hat, die sie zu verstecken sucht. Ist sie eine Edelhure oder ein Revue-Star? Vielleicht beides, doch die Pariser Männerwelt liegt ihr zu Füßen. Auf jeden Fall will sie nichts von dem „dummen“ Kind wissen, behandelt es eiskalt und möchte es loswerden. Schließlich nimmt sie die Einladung eines italienischen Adligen an und folgt ihm nach Rom. Auch hier will sie die Tochter verstecken und versucht sie in Montessoris Kinderheim unterzubringen.

Tina macht mit ein bisschen Zuwendung und Anerkennung erstaunliche Fortschritte, die sogar ihre distanzierte Mutter berühren und bewegen. Mit der Zeit nähern sich die beiden kämpferischen, aber sehr unterschiedlichen Frauen einander an. Lili d’Alengy wird eine angeheiratete, einflussreiche Adlige und kann ihre Freundin schließlich in der weiteren Arbeit erfolgreich unterstützen.

Dieser sehenswerte Film ist eine engagierte und hochinteressante Zeitreise und verdeutlich den gesellschaftlichen Umgang mit Frauen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert und ihren Mut, dagegen anzukämpfen. Der Streifen ist kein Biopic, sondern schildert eine Episode der Wissenschaftlerin - den Übergang einer der ersten Medizinerinnen Italiens zur Pädagogin und ihre Auseinandersetzungen mit patriarchalischen Wissenschaftlern und Bürokraten. Diese Kämpfe sind exemplarisch für avantgardistische Frauen, egal in welchen gesellschaftlichen Bereichen, um die Zeitenwende 1900.

Pädagogisch wird deutlich, welch große Rolle Zuwendung und Beziehung in der Pädagogik, in der Heilpädagogik darstellen. Die von Montessori entwickelten erzieherischen Grundlagen sind bis heute aktuell und wichtig, das wurde besonders in der westdeutschen Psychiatriereform seit den 1970er-Jahren bedeutsam..

Foto:
Szenenfoto in der Klasse
© Neue Visionen

Info:
„Maria Montessori“, Regie Léa Todorov, mit Jasmine Trinca, Leïla Bekhti, Raffaele Esposito u.v.m., Frankreich / Italien 2023, ca. 100 Minuten