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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. März 2024, Teil 1

Redaktion

Rom (Weltexpresso) - Was hat Sie an Maria Montessori so fasziniert und inspiriert, diesen Film zu machen?


Als ich das erste Mal etwas über Maria Montessori las, drehte ich gerade einen Dokumentarfilm über progressi- ve Bildungskonzepte zwischen den beiden Weltkriegen. Montessoris Leben hatte etwas sehr Romantisches und das interessierte mich. Sie war eine der ersten Ärztinnen Italiens, eine internationale Berühmtheit, ein Mythos und Gegenstand von Faszination. Obwohl sie aus einer positi- vistischen Denktradition kam, sprach sie ebenso viel von Offenbarungen und Intuitionen wie von Beobachtungen und Experimenten. Sie kollaborierte mit Mussolini während sie gleichzeitig für den Weltfrieden plädierte.

Für eine 1870 geborene Frau reichte es nicht, brillant und begabt zu sein. Um die Welt zu erobern, war es notwendig, einen eisernen Willen zu haben, unbeugsame Entschlossen- heit und eine klare Vision vom Erfolg. Wenn sie den sozialen Zwängen ihrer Epoche und ihres Geschlechts entkommen wollte, musste sich Maria Montessori von dem Einen tren- nen, der ihr das Wichtigste war: ihren Sohn Mario, der une- helich geboren wurde und der, hätte sie ihn offiziell als ihren Sohn anerkannt, ihre Karriere unmöglich gemacht hätte.

Aber der entscheidende Wendepunkt, der mich schließlich dazu brachte, diesen Film zu schreiben, war die Geburt meiner Tochter. Sie kam mit einer genetischen Krankheit zur Welt und ich habe sehr schnell realisiert, dass ich nicht einfach nur Mutter geworden war, sondern die Mutter eines Kindes mit speziellen Bedürfnissen. Ich litt darunter, dass solche Kinder nicht gut repräsentiert sind und ich entsprechend nur wenig Hilfe für die Bewältigung meiner Situation fand. Ich erinnerte mich an meine Recherchen für den historischen Dokumentarfilm RÉVOLUTION ÉCOLE, die mich mit den Schriften zahlreicher Pädagogen des 20. Jahrhunderts vertraut gemacht hatten. Zwei Ärzte, die zu wesentlichen Protagonisten der modernen Bildungsgeschichte wurden, hatten zunächst mit behinderten Kindern gearbeitet bevor sie sich den so genannten „normalen“ Kindern widmeten: Ovide Decroly and Maria Montessori. Die Archivaufnahmen, die ich damals gesehen hatte, stiegen wieder in mir auf. Meine Tochter verankerte dieses Grundwissen in der Realität. Mein Interesse an diesem Thema wurde durch meine persönliche Situation wieder erneuert.

So entstand die Geschichte von Maria Montessori, die eine Geschichte von zwei Frauen sein sollte – einer realen und einer imaginierten, Maria und Lili. Sich ihnen im Rahmen ei- nes historischen Films anzunähern ist eine Möglichkeit, in der Zeit zurückzureisen und sich den Moment vor Augen zu führen, in dem es notwendig war, zu kämpfen, wenn man die festgefahrenen Glaubenssätze einer erstarrten Welt er- schüttern wollte. Und dies angesichts des Risikos, alles zu verlieren – den eigenen Ruf, das eigene Kind. Je mehr die „neue Frau“ - gebildet, aufgeklärt, modern, aber auch im Bewusstsein ihres Verlangens und ihres Begehrens – ver- suchte, in einer patriarchalen Gesellschaft zu existieren, desto größer wurden die Hindernisse für sie und zwangen sie, unmögliche Entscheidungen zu treffen. Meine eigene Großmutter verließ drei ihrer Kinder, um ihr Studium ab- schließen zu können und den häuslichen Zwängen zu ent- fliehen. Dies sind kollektive Geschichten, die oft im Verbor- genen geblieben sind und es ist ein Genuss, sie nun endlich erzählen zu können.

Hinter solch einem Projekt steht intensive Recherche-Arbeit. Wie sind Sie vorgegangen?

Einen großen Teil der Arbeit hatte ich schon für meinen Dokumentarfilm erledigt. Dennoch musste ich mich wieder in die Bibliothek setzen und eine Menge Bücher lesen. Meine wichtigsten Referenzen waren der Biographien (die umfas- sende von Rita Kramer, die kritischere von Marjan Schwegman und die Biographie von Valeria Paola Babini, die sich auf Montessoris wissenschaftlichen Feminismus konzentrierte) und natürlich ihre eigenen Schriften, darunter ihr Tagebuch von 1913, das während einer Transatlantik-Reise entstand und in dem sie sehr viel über ihren Sohn schreibt. Es gab auch eine 30-seitiges Handbuch, in dem sie auf ihre Arbeit am Ortofrenico-Institut zurückblickt, aus dem ich viel entnommen habe. Während der Schreibarbeit habe ich mich bemüht, die Aussagen über Maria so korrekt wie möglich zu halten. Auch wenn ihre Reden verändert wurden, um die Kohärenz mit dem Drehbuch zu halten, wollte ich, dass jedes Wort wahrhaftig ihrem Denken entsprach.

Warum haben Sie sich auf diese besondere Phase in ihrem Leben konzentriert?

Diese Entscheidung hat mich sehr viel Zeit gekostet. Meine Intuition sagte mir, dass der spannendste Moment in Marias Biographie der des Abschieds von ihrem Sohn war. Zu dieser Zeit hatte sie die Schule für „normale“ Kinder noch nicht eröffnet. Sie arbeitete an einem Institut für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Mit ihnen machte sie Erfahrungen, die später zur Grundlage ihrer Methode wurden. Zu dieser Zeit engagierte sie sich auch sehr für Frauenrechte.

Ich denke, diese Phase war ein Wendepunkt in ihrem Leben.


Wie wichtig war es Ihnen, verschiedene Facetten des weiblichen Lebens im 19. Jahrhundert zu erzählen?

In Frankreich nennen Historiker diese Frauen „die neuen Frauen“. Man bezieht sich damit auf feministische, gebildete und unabhängige Frauen um 1900, die es auf hohe Positionen geschafft und zu akademischen Würden gebracht hatten, und die sich ihren Platz in der Gesellschaft durch ihr Wissen erarbeitet hatten. Dies träfe auf Maria Montessori zu. Lili wollte ich mir als unabhängige Frau vorstellen, deren Hintergrund sich deutlich von Marias und Giuseppes absetzt und für ein anderes Modell einer einflussreichen Frau dieser Epoche steht.

Bildung ist eines der großen Themen unserer Zeit. Denken Sie, Maria Montessoris Methode könnten auch die aktuellen Debatten bereichern?

Was ich wirklich an Montessoris Bildungsidee mag, ist, dass sie die Beobachtung des Kindes fordert. Ich glaube, dass Kinder nicht alle gleich sind und dass es eher die Aufgabe der Schule ist, sich den Kindern anzupassen als umgekehrt.

Warum sollten wir uns heute an Maria Montessoris Leben und Werk erinnern?

Ich hoffe, dieser Film wird den Mangel an echter Ambition in Frage stellen, den es in unserer Gesellschaft gibt, wenn es um Inklusion geht. Nachdem sie für so lange Zeit unsicht- bar und ausgegrenzt waren, ist es an der Zeit, Menschen mit Behinderungen, ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft zu geben. 



ÜBER DIE REGISSEURIN LÉA TODOROV

Léa Todorov, geboren 1982 in Paris, ist eine französische Autorin, Regisseurin und Produzentin. Sie studierte zunächst Politikwissenschaften in Paris, Wien und Berlin und begann im Anschluss, als Regieassistentin bei Dokumentarfilm-Produktionen zu arbeiten. 2012 führte sie Regie bei ihrem ersten Dokumentarfilm SAVING HUMANITY DURING OFFICE HOURS. 2014 folgte in Ko-Regie mit Joanna Dunis RUSSIAN UTOPIA. 2015 gründete sie gemeinsam mit den Regisseuren Lila Pinell, Chloé Mathieu, Gaëlle Boucand und Aurélia Morali die Produktionsfirma Elinka Films. Als Produzentin verantwortete sie in diesem Rahmen zwei Dokumentarfilme in der Regie von Gaëlle Boucand. Bei zahlreichen Dokumentar- und Spielfilmen war sie als Ko-Autorin tätig. 2017 schrieb sie das Drehbuch zu dem von arte koproduzierten Dokumentarfilm SCHOOL REVOLUTION: 1918 – 1939 (Regie: Joanna Grudzinska). Der Film wurde in die offiziellen Programme des Geneva International History Film Festivals und des La Rochelle Film Festivals eingeladen. Dieser Film über alternative Pädagogik bildete die Grundlage für ihren ersten Spielfilm, MARIA MONTESSORI.

Filmografie:

2023 MARIA MONTESSORI
2015 RUSSIAN UTOPIA – in Ko-Regie mit Joanna Dunis 2012 SAVING HUMANITY DURING OFFICE HOURS


Foto:
Die Regisseurin
©Verleih

Info:
Stab
Regie.       Léa Todorov
Drehbuch    Julie Dupeux-Harlé

Besetzung

Maria Montessori.    Jasmine Trinca
Lili d’Alengy.           Leïla Bekhti
Tina Giuseppe.     Rafaelle Sonneville-Caby 
Carlotta Betsy.   Raffaele Esposito
Clarisse Jean.    Laura Borelli