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Berlin (Weltexpresso) - Wie ist die Idee entstanden, einen Film über den 1. FC Union Berlin zu machen?
Auf das Phänomen Union, diesen kleinen Arbeiter- Fußballverein aus Köpenick, bin ich auf der Suche nach filmischen Antworten auf das Auseinanderdriften der Gesellschaft gestoßen. Mit dem immer größer werdenden Rechtsruck in Deutschland fragten schon vor drei Jahren viele: Was ist los mit den Ostdeutschen? Ja, über wen oder was kann man erzählen, wenn man an relevante Potenziale von Ostdeutschen denkt? Angela Merkel? Matthias Schweighöfer? Neo Rauch? Die derzeitige Oscar- Kandidatin Sandra Hüller aus Thüringen? Und dann macht der 1. FC Union Berlin 2019 mit dem Aufstieg und durch einen oberen Platz in der Bundesligatabelle von sich reden. Als unsere Producerin fragte: „Warum machen wir eigentlich keinen Film über Union?“, zögerte ich nicht, griff zum Telefon und rief den Pressechef bei Union an.
Was verbindet Sie (als Ost-Berlinerin) selbst mit dem Verein bzw. Fußball?
In der Wuhlheide, dem alten Königsforst, an den das Stadion An der Alten Försterei grenzt, bin ich schon als Kind durch den Wald gestromert. Fußball gab‘s für mich damals nur in schwarz-weiß auf unserem Fernseher. Von meinem Vater lernte ich, Fußball, das sind Beckenbauer, Netzer, Rummenigge und Müller.
Ende der 1970er Jahre, als Teenagerin, habe ich, mäßig am Sport interessiert, dann meinen ersten Freund zu Union begleitet. Aber da ahnte ich noch nicht, wie wichtig das Stadionerlebnis für viele Menschen als Treffpunkt und Anker in aufwühlenden Zeiten sein kann.
Wussten Sie von Beginn an, wie Sie die Geschichte bzw. die Geschichten erzählen möchten?
Ein Film über die Arbeit sollte es von Anfang an sein. Über den Betrieb Union Berlin. Ich war neugierig. Was machen die da eigentlich? Mehr als hundert Jahre wurde hier schon Fußball gespielt, aber ich hatte den Eindruck, dass man irgendwie in einer Art Ausnahmezustand war.
Also wollte ich den Film aus der Bewegung heraus entstehen lassen. Den Zauber der realen Situation einfangen. Da passiert immer etwas, das man sich nicht ausdenken kann. Auch den Arbeitsalltag jenseits der spektakulären Spieltage zu begleiten, die tägliche Schufterei, interessierte mich. Ich wollte die Leute im Verein nicht erklären, sondern erleben. Da kann jeder neue Tag der schönste aller Tage sein. Oder auch der schlimmste. Gespräche nur nebenbei, keine gesetzten Interviews, keine professionellen Fußballkommentare. Eine Filmmusik mit „Bodenhaftung“: Klavier. Auch die Ebene des Außen, der Medien, war mir wichtig. Hier wollte ich auch nicht mit Interviews arbeiten. Die Entscheidung, dies, bis auf wenige Ausnahmen, über einegrafische Ebene in den Film hineinwirken zu lassen, erschien eine gute Lösung. All das war vorher klar.
Im Stadion bleibt die Perspektive des Zuschauers auf das Feld 90 Minuten lang nahezu gleich. Eine interessante Perspektive. Also warum sollte man nicht Fans die Spiele kommentieren lassen? Die Entscheidung für die zwei sehr jungen Leute aus dem realen Podcast „Taktik&Suff“ habe ich nach längerer Recherche schon zu Beginn der Montage getroffen.
Wie haben Sie die unterschiedlichen Protagonisten des Films ausfindig gemacht?
Ja, wie habe ich das „Ensemble“ für den Film gefunden? Und ich sage absichtlich dieses Wort, denn das heißt „zusammen“. Zuerst habe ich viel Zeit damit verbracht, die Leute kennenzulernen. Immer und für alles gibt es zu wenige Leute, immer sind alle am Limit – wie fangen die Leute das ab? Die Antwort ist: Zusammenhalt. Das war spannend. Mein Team und ich haben viele verschiedene Menschen im Club begleitet. Erst mit Jörg Hauschild im Schnitt habe ich aber endgültig entschieden, mit wem man dieses Ineinandergreifen der Gewerke gut erleben kann. Für die Leute, die jetzt Teil des Filmes sind, die exemplarisch für die Arbeitsweise im ganzen Verein stehen.
Auf den „Schlüsselloch-Blick“ in die Kabine wollte ich von Beginn an verzichten, denn ich wusste vom Trainer Urs Fischer, dass die Kabine auch für ihn tabu ist. „Die Mannschaft bekommt die Freiheit, ihre Probleme untereinander zu regeln, ohne dass ich mich einmische.“
Diese Autonomie wollte ich, als beobachtende Begleiterin erst recht akzeptieren. Mein Respekt vor der Leistung dieser Spieler, sich für den maximalen Erfolg komplett zu verausgaben, ist groß.
Und auch bei Union kommen und gehen die Spieler, wie in allen anderen Clubs. Mich haben für diesen Film die Leute interessiert, die bleiben. Die den Betrieb am Laufen halten und die nicht unbedingt im Rampenlicht stehen. Wir wissen bislang wenig über diese Leute.
Der Profi-Fußball ist nach wie vor eine Männerdomäne. Das ist auch beim 1. FC Union Berlin so. Aber welche Rolle spielen Frauen im Club? Lange musste ich nicht nach starken Frauen suchen, die ganz selbstverständlich auch in Führungspositionen sind. STEFANIE VOGLER, SUSANNE KOPPLIN und KATHARINA BRENDEL, die wir im Film kennenlernen, stehen für viele andere beeindruckende
Persönlichkeiten im Verein.
Auch die sogenannte „Chefetage“ hat mich interessiert. Im Forsthaus, der Geschäftsstelle des Vereins, werden alle tragenden Entscheidungen von wenigen Akteuren getroffen. Auch der Pressechef CHRISTIAN ARBEIT trägt Verantwortung auf enorm vielen Gebieten und ist gefühlt immer überall. Allen voran aber der Präsident DIRK ZINGLER: „Unsere Entscheidungen treffen wir oft auf dem Flur, wenn
Sie davon was mitbekommen wollen, müssen Sie einfach vorbei kommen ...“.
Was macht Union und seine Menschen für Sie so außergewöhnlich?
Die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Dinge tun, wie sie sie tun. Für die Mitarbeitenden ist das von außen fast mystisch wirkende Phänomen Union ein normaler und schon lange existierender Aspekt ihres Lebens. Es hat aber lange gedauert, bis der Verein aus der „Niedlichkeits-Ecke“ herausgekommen ist, und als Teil des deutschen Profi- Fußballs ernst genommen wurde. Nun ist er auch gefährlich geworden als Wettbewerber um Geld, Aufmerksamkeit und Platzierungen.
Und wo in Berlin findet man noch die legendäre „freche Schnauze“ und so viele Menschen, die den Berliner Dialekt sprechen? So ist der Film nun auch ein echter BERLIN-Film geworden.
Welche Herausforderungen gab es bei der Entstehung des Films?
Mir ging es um die Arbeit. Um die Arbeitskultur, den „Maschinenraum“. Um das Innenleben bei Union. Das Alltägliche, das uns sonst verborgen bleibt. Mir fiel es noch nie schwer, „Zugang“ zu Leuten zu bekommen. Hier war das anders. Es hat lange gedauert.
Und dann der legendäre „12. Mann“. Die Herausforderung war, wie kann man die Arbeit der Ultra-Szene filmisch begleiten? Viele wissen von der Fanszene. Sie haben ihr Stadion selbst gebaut, das Weihnachtssingen angestoßen, Blut gespendet für ihren Verein, sind sehr aktiv in vielen sozialen Bereichen und, und, und. Aber die Union-Ultras, halten sich wie fast überall im deutschen Fußball extrem bedeckt. Viele sagten mir, „es gibt kein Filmteam, das an die rankommt, nicht mal die Unioner selbst“. Auch dies war ein langwieriger Prozess. Aber schließlich konnten wir mal dabei sein, wenn sie ihre ausgefeilten Choreografien erstellen und proben. Und eine leise Ahnung davon gewinnen, was das
auch für sie für ein unfassbarer Arbeitsaufwand ist. Bei oft drei (!) Spielen pro Woche
Warum haben Sie die im Film gezeigte Zeitspanne ausgewählt? Mit einem Einstieg mitten in einer Saison, endend mit dem Eintritt in die Champions League?
Wir haben auch die Ereignisse der laufenden, schwierigen Saison gedreht, in der sich Union aus der Champions League verabschieden musste usw., aber sie wollten sich einfach
nicht in diesen Film einfügen. Das muss dann wohl Material für einen nächsten Film werden.
Eingestiegen sind wir aber schon in der Saison 2021/22. Und so kurzentschlossen, wie das Projekt losging, sind wir einfach bei der ersten Gelegenheit auf den Union-Zug aufgesprungen. Es sollte sowieso keine „Saison-Doku“ entstehen. Der Übergang von einer in die nächste Saison war mir wichtig. Denn eine Saisonpause bedeutet nicht Leerlauf oder Urlaub für die Macher im Verein. Im Gegenteil. Ich ahnte nicht, was es für einen Aufwand bedeutet, den Sport in der Bundesliga zu organisieren. Und beim Saison-Start heißt es jedes Jahr erst einmal „Null Punkte“. Woche für Woche Ergebnisdruck, Siege, Niederlagen, Spielglück, Verletzungen. Und auf einmal gab es die Aussicht, die Champions League zu erreichen. Die Chance auf ein historisch einmaliges Erlebnis wollten wir nicht verpassen, also haben wir länger gedreht als geplant.
Und mit dem Auszug der Geschäftsstelle aus dem Forsthaus, der am Ende unseres Filmes zu sehen ist, startet auch eine ganz neue Ära. Die erste Phase des Stadion-Neubaus beginnt. Dies sind also die letzten Kinofilm-Aufnahmen im alten Stadion An der Alten Försterei.
Was hat Sie bei der Entwicklung und dem Dreh des Films am meisten überrascht?
Auch wenn alle am Limit arbeiten, die Trainer, Spieler und alle anderen, es gibt keine Formel, die eine Vereinskarriere berechenbar macht. Es wird immer die menschliche, unerklärliche, mysteriöse Komponente geben. Und, dass der Club sich nicht nur so lange in der Bundesliga behaupten, sondern auch in den Olymp der Champions League aufsteigen würde, habe ich nicht geahnt bei Drehbeginn. Ich wusste auch nicht, was es für einen Aufwand bedeutet, Woche für Woche auf Achse zu sein. Für den Betrieb, aber auch für die meist werktätigen Fans.
Aber am meisten überraschte mich, dass die Begegnungen der Menschen untereinander im Stadion oft wichtiger sind als die Spiele selbst. Was der Sport für Brücken bauen kann, war mir nicht klar. Und ein Stadion zu erleben, als Möglichkeit, Grenzen zwischen unseren sich immer fester zurrenden gesellschaftlichen „Blasen“ fast mühelos zu sprengen. Zum Beispiel, wenn die Ärztin neben dem Werkzeugmacher das Wort „Liebe“ intoniert und sie gemeinsam bei einem Tor unter der Bierdusche stehen.
Gibt es etwas, das Sie für sich selbst aus dem Film mitnehmen?
Ich durfte eine für mich neue Art von Rausch miterleben. Noch ist für mich aber die Reise mit dem Film nicht beendet. Ich freue mich sehr auf den Austausch mit den Zuschauenden. Und großartig ist, dass der Verleih für den Kinostart zufällig genau den Tag gewählt hat, an dem meine Firma IT WORKS! Medien vor genau 20 Jahren gegründet wurde.
Aber es schmerzt auch das, was ich nicht mitnehmen kann. Das Privileg, mit einer Arbeitskarte jederzeit und aus allen Perspektiven die Spiele im Stadion sehen zu können.
Foto:
Einzigartig: Die Choreos der Union-Ultra-Fanszene
©1. FC Union Berlin e. V.
Info:
UNION – DIE BESTEN ALLER TAGE
Ein Film von Annekatrin Hendel
Deutschland 2024 120 Minuten
Laufzeit FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 4. April 2024
Buch und Regie:
Annekatrin Hendel
Kamera: Martin Farkas, Roman Schauerte und Annekatrin Hendel
Montage und Buch: Jörg HauschildMusik: FLAKE
Ton: Nic Nagel
Mit: Dirk Zingler, Christian Arbeit, Stefanie Vogler, Katharina Brendel, Christopher Trimmel, Susanne Kopplin usw.
Christoph Biermann ist Sportjournalist und Buchautor
Abdruck aus dem Presseheft