ird1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. April 2024, Teil 16

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir sehen in neun Versuchsanordnungen des iranischen Regie-Duos Alireza Khatami und Ali Asgari jeweils Menschen, vom sehr jungen Mädchen, einem selbstbewußten Kind bis zum aberwitzig Tätowierten, die eine vom Staat angeordnete Pflicht erfüllen sollen oder die vom Staat eine Selbstverständlichkeit wie neue Ausweise etc. erhalten wollen, zusätzlich, da es sich um eine Meinungsdiktatur handelt, die um Genehmigungen von z.B. Drehbüchern bitten. Mit einem filmischen Trick sind wir persönlich miteinbezogen, denn die Kamera ist immer zentral auf die ‚Bittsteller‘ gerichtet, die also uns permanent anblicken, als ob wir die Entscheider seien.
Nur bei dem Mädchen, das aus dem unbändigen Kind, in eine verschleierte Schülerin mutieren muß und die gräßlichsten, auch kitschigsten Kleidungsstücke tragen muß, Kopftuch, Mantau, Tschador, zeigt sich das Umfeld im Kleiderladen. Es zeigt auch die Doppelmoral, die schon ein Kind lernt. Zu Hause und innen ein anderer Mensch zu sein, als im von den Sittenwächtern bewachten öffentlichen Raum. Grandios gezeigt in der so harmlosen wie diktatorischen Art, mit der das neue Kleidungsstück die Uniform der Gleichgeschalteten sein soll.

Der Film fängt an, wie der junge Mann die Geburt seines Sohnes anzeigt und die Namensgebung bei der zuständigen Stelle mitteilt. Auch bei uns gibt es Regeln für Namen. Aber sie sind locker. Hier will die Mutter den Sohn David nennen, was der Vater vorbringt. Doch damit ist der Angestellte, der mit seiner öffentlichen Aufgabe auch im Sinne des islamischen Systems die Sprachpolizei darstellt,nicht einverstanden. Erst will er dem argumentierenden Vater die iranische Form Davoud anhängen, dann fragt er nach dessen Lieblingsautor und will ihn zu dessen Vornamen überreden. Es ist ein so skurriler wie gespenstischer Dialog, daß man verstehen kann, daß viele solche Szenen als kafkaesk bezeichnet haben.

Insgesamt sind es neun solcher Episoden im nur 77 Minuten langen Film, die einen zwischen Lachen über die absurden Szenen, Mitleid mit den gegen Wände anredenden Bittstellern und Grauen über die angeblich gottesfürchtige, engmaschig kontrollierende Bürokratie im Iran hin- und herschüttelt. Im Szenenwechsel sehen wir Teheran im Morgengrauen, wenn der neue Tag mit blinkenden Lichtern beginnt und mit ihm der tägliche Irrsinn des Systems. Wir allerdings lassen uns bei diesen Bildern durch unser inneres Sprechen in die Etymologie entführen. Denn Morgengrauen hat ja mit dem Wort Grauen, das einen bei diesen Szenen befällt, nur die Buchstaben gemein. Das geschrieben identische Wort GRAUEN hat unterschiedliche Herleitungen. Wenn der Morgen graut, ist es draußen noch grau. Was wir dann aber als Episoden sehen, erzeugt Grauen, also Horror.

In der Mehrzahl sehen wir Männer, bei denen man oft bewundert, wie listenreich sie uns, das heißt den Bürokraten, der vor ihnen sitzt, mit Worten umgarnen, weil sie nicht glauben können, daß ihre vernünftige Argumentation ins Leere geht, weil wohlgesetzte Worten nichts erreichen. Es ist die Logik des Systems, nicht die der Sprache oder der Umstände. Aber um so deutlicher bleiben uns die Dialoge im Gedächtnis, sind sie doch die einzige Form, in der Bürger vom Staat etwas verlangen können, weshalb jedes einzelne Wort eine besondere Bedeutung erhält. Das sind geschliffene Dialoge, die wir hören, an denen man seine Freude hat, nur jedesmal konstatieren muß, daß mit Worten nichts erreicht wird.

Aber dann kommt mit der dreißigjährigen Frau im Bewerbungsgespräch ein neuer Ton hinzu, ein sexistischer. Sie bewirbt sich beim Chef und schnell wird klar, daß er nicht nur eine neue Angestellte einstellen will, sondern auch eine Frau, bei der er sich bedienen kann. Fies und unverhüllt. Doch diese Frau unterwirft sich nicht, sondern empört sich, steht auf und geht. Gut. Wird sie in einem nächsten Bewerbungsgespräch andere Verhältnisse vorfinden. Wie sexuell repressiv das iranische System grundsätzlich ist, verdeutlicht am stärksten die Szene mit dem jungen Mann, der einen Führerschein beantragt. Er muß sich nackt ausziehen, unter besonderer Besichtigung seines Anus durch den Beamten, der sich nicht nur als Voyeur zeigt, sondern seine Homoerotik dienstlich befriedigt. Widerlich. Und das alles im Namen Gottes. Darum geht es nicht nur unterschwellig, sondern das wird als Phrase durchgehend benutzt.
Ein knallhart gemachter, darum toller Film über menschenunwürdige Zustände im Iran, der bei aller Aussichtslosigkeit der Bittsteller uns mit derart skurrilen, ja dann doch kafkaesken Szenen und Wortgefechten uns staunen, lachen und weinen läßt.

P.S. Der Film besteht nicht nur aus geschliffenen Worten, sein Titel auch. Ein Zitat, aber gleichzeitig eine Erinnerung an die Satanischen Verse des Salman Rushdie. Ja, nicht nur die auf der anderen Seite , die in die Kamera blicken, wissen, was gespielt wird, auch der Mensch, der diesen Staat vertritt, weiß genau, was los ist. Eine perverse Situation, die hier wie im Brennglas vorgeführt wird. 

Foto:
©Verleih

Info:
Ein Film von Ali Asgari und Alireza Khatami
mit Bahram Ark, Arghavan Shabani, Servin Zabetian u.v.m.
Satire, Iran 2023, 77 Minuten
Besetzung
David       Bahram Ark
Selena.    Arghavan Shabani
Aram.      Servin Zabetian
Sadaf.     Sadaf Asgari
Faezeh.  Faezeh Rad
Farbod.  Hossein Soleymani
Siamak.  Majid Salehi
Ali.          Farzin Mohades
Mehri.    Gouhar Kheir Andish
Hundertjähriger Mann Ardeshir Kazem