Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Juni 2014
Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) – Es gibt Filme, aus denen man beglückt herauskommt. Beglückt, weil man etwas erfahren hat über die Welt und die Vielfalt innerhalb der Menschheit, hier über einen Menschen, von dem man – und die allermeisten auf der Welt – noch nie etwas gehört, noch gesehen hatte. Es geht nämlich um eine Fotografin.
FINDING VIVIAN MAIER
Von einer Fotografin spricht der Zuschauer nach dem Film. Sie selber, die Amerikanerin Vivian Maier, hätte sich sicherlich nicht als Fotografin bezeichnet, denn sie verdiente ihr Geld über 15 Jahre lang als Kindermädchen und hat sich ansonsten durchgeschlagen. Ob mit den zu beaufsichtigenden Kindern oder ohne, sobald sie das Haus verließ, hatte sie ihre Rolleiflex umgehängt und knipste alles und jeden. Doch eher jeden. Denn das fotografische Festhalten von Menschen war ihre Hauptbeschäftigung. Dabei ging es ihr nicht um das Besondere, sondern gerade um das Alltäglich, also ganz normale Menschen, unterwegs auf den Straßen. Der Begriff Straßenfotografie kam auf, als sie selbst Teil davon war. Nur wußte sie gar nichts von ihrer potentiellen Einordung, denn die Fotografien zeigte sie nie anderen, ja einen großen Teil davon hat sie selbst nie gesehen, weil sie die Negative nie entwickelte.
Woher man das weiß? Von John Maloof, der die Idee zum Film hatte, ihn produzierte, das Buch schrieb, Regie führte und auch die Kamera bediente. Was man für ein Märchen halten könnte, ist ihm wirklich passiert und dieser Film ist der Ausfluß seines Zufallsfund. Vivian Maier starb im Jahr 2009. Da war sie 83 Jahre alt und schon längst in verwahrlostem Zustand und bettelarm. Ihre Sachen waren verstreut und John Maloof wird noch heute seinem Schicksal danken, daß er noch vor ihrem Tod im Jahr 2007 einen Karton mt Negativen aus den 50er und 60er Jahren in einer Zwangsversteigerung ersteigert hatte, der einem Mietlager entstammte und den er erwarb, weil er sich Fotos aus dieser Zeit von Chicago versprach. Stattdessen hatte er die ungewöhnlichsten und außerordentlich faszinierenden Alltagsporträts von Menschen, die Vivian Maier auf der Straße entdeckte, oft ansprach und ablichtete.
Im Film erfahren wir, daß John Maloof Vivian Maier nicht erst durch diesen Film berühmt gemacht hat. Denn, als er einige der ersteigerten Fotos ins Netz gab, wurden diese so umfangreich angeklickt, daß inzwischen weit über 10 000 Suchergebnisse kommen, gibt man ihren Namen ein. Längst sind ihre Fotografien schon in Ausstellungen in New York, aber auch Moskau, Paris und London sowie Hamburg und München ausgestellt worden. Der Film versucht nun, ihr Leben, von dem man wenig weiß, nachzustellen. Hilfreich sind dabei auch die schon lange zu Erwachsenen gewordenen Kinder, die sie beaufsichtigte. Streng sei sie gewesen, sagen diese noch heute, und wenn man die Filmaufnahmen sieht, die von ihr gemacht worden sind, glaubt man das sofort.
Sie strahlt eine Eigenständigkeit aus, eine leichte Ruppigkeit, die korrespondiert mit ihrer ganzen Person, was Kleidung und Bewegungen angeht. Obwohl sie ja jünger ist, hat sie etwas von der Reformbewegung der 20er Jahre an sich, zumindest, was die Kleider angeht. Wie in einem Krimi begibt sich der John Maloof auf die Suche nach seiner Hauptperson, die sich immer wieder in einen französischen Kontext stellte. Sie sprach, sagen einige, ein Englisch, wie es Franzosen tun, war aber doch in Amerika geboren, auch wenn sie behauptete, in Frankreich zur Welt gekommen zu sein. Das alles wird noch untersucht. Bis jetzt weiß man, daß ihr Vater Österreicher und die Mutter Französin war und sie als Kind tatsächlich in Frankreich aufwuchs. Alles andere ist noch unerforscht.
Es hat schon etwas Tragisches an sich, wenn man dann von den nach ihrem Tod aufgefundenen rund 100 000 Aufnahmen, auch vielen nie gesehene Filmen hört – und all dies jetzt erst nach ihrem Tod ansehen kann. Sie ist ein Beispiel dafür, was Nachruhm bedeutet. John Maloof gelingt es mit seinem Film hervorragend, das Hintergründige, Undurchschaubare der rätselhaften Vivian Maier in unserem Gedächtnis zu verankern.