Bildschirmfoto 2024 04 22 um 21.08.43Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. April 2024, Teil 19

Redaktion

Sansibar (Weltexpresso) - Was hat Sie an der Verfilmung des Romans von Adam Shafi Adam interessiert?


Ich habe schon immer eine enge Beziehung zu Sansibar gehabt. Meine Großeltern, die vor meiner Geburt gestorben sind, stammten von dort, und ich bin mit Geschichten über sie aufgewachsen und habe mir vorgestellt, wie ihr Leben zu jener Zeit auf der Insel ausgesehen haben muss. Als ich den Roman las, war es das erste Mal, dass ich mir Sansibar in den 1950er Jahren lebhaft vorstellen konnte. Ich fühlte mich nicht unbedingt in die Vergangenheit zurückversetzt, sondern eher in die Gegenwart, und das hat mich dazu bewogen, ein filmisches Werk zu schaffen, um eine politisch aufgeladene und ästhetisch erfüllte Zeit wieder zu erleben.

Welche Herausforderungen gab es bei der Erstellung des Drehbuchs?

Eine Herausforderung, die sich in den Rissen der Geschichte verbarg und während des Schreibens auftauchte, war die Frage, wie man das Trauma, das die heutigen Sansibari gegenüber der Revolution empfinden, die als Höhepunkt des "politischen Erwachens" der 1950er Jahre angesehen wurde, thematisieren kann. Der Roman erzählte nicht vom Jahr 1964, in dem die Revolution stattfand, und das hatte ich im Film auch nicht vor. Während der Recherchephase wurde jedoch klar, dass das Thema auf die eine oder andere Weise behandelt werden musste, um den Menschen auf der Insel zu helfen, eine Art Heilung zu finden. Allein die Erinnerung an die Revolution treibt den Menschen Tränen in die Augen. Daher habe ich beschlossen, den Film mit einem Gesprächsangebot zu beenden, um über die Geschehnisse von 1964 gemeinsam zu sprechen.

Der Film zeigt Sansibar in den 1950er Jahren. Was assoziieren Sie mit dieser Zeit?

Diese Zeit war eine Periode voller intellektuellem Bewusstsein, Debatten, Intimität, Zorn, Wut, Ausschweifungen, eingebildeter Freiheit und gelebter Gefangenschaft. Ich sehe die Zeit als einen Wendepunkt in unserer Geschichte als Land (sowohl auf dem Festland als auch auf den Inseln), in dem die Menschen eine antikoloniale Bewegung anführten und alternative Ausdrucksformen zu denen des Mainstreams fanden. Musik und Tanz blühten in den "machtlosen" Vierteln auf. Die Sprache wurde angeeignet und neu gemischt, um die Massen zu erreichen. Sansibar stand in den 1950er Jahren an der Spitze des radikalen Wandels, und das wollte ich in dem Film festhalten.

Wie liefen die Vorbereitungen für die Dreharbeiten ab?

Der Film war von Anfang an ein ehrgeiziges Projekt. Zum Glück hatte ich dem erfahrenen Koproduzenten Steven Markowitz aus Südafrika an Bord, der mich bei der Vorbereitung des Pitchs und der Präsentation bei verschiedenen Fonds und Partnern sehr unterstützt hat. Nach zwei Jahren Entwicklungs- und Vorbereitungszeit, in denen ich in Sansibar lebte, um eine grundlegende Infrastruktur für die Filmproduktion aufzubauen, ging es dann vor die Kamera. Wir haben mit Hunderten von Einheimischen zusammengearbeitet und können mit Stolz sagen, dass über fünfundneunzig Prozent der Crew und der Schauspieler aus der Region stammen.

Welche Bedeutung kann der Film heute haben?

Ich habe immer geglaubt, dass wir unsere Vergangenheit verstehen müssen, wenn wir unsere Zukunft verändern wollen. Wir müssen von den Bewegungen lernen, die Ideen entwickelt haben, die wir dann weiterentwickeln. Was bedeutet Unabhängigkeit für die Sansibari? Das ist ein schwieriges Thema und führt zu einer viel größeren Debatte für ein Volk, das seit dem 15. Jahrhundert unterdrückt wird. Ich denke, der Film kann Teil einer Debatte sein, in der es um Unabhängigkeit, Autonomie, autokratische Regime und vom Volk geführte Befreiung geht.

Welche Botschaft soll das Publikum aus dem Film mitnehmen?

Jede*r Einzelne wird das mitnehmen, was ihm im Film am besten gefällt. Das kann ein Kuss zwischen zwei dunkelhäutigen Menschen in einem von einer Laterne beleuchteten Raum sein. Oder Denges unbändiger Glaube an die totale Freiheit mit allen nötigen Mitteln. Oder Yasmins Liebe zur Musik und wie sie zu der Erkenntnis kommt, dass ihre Unabhängigkeit durch die Unabhängigkeit ihrer Freunde eingeschränkt wird. Alles in allem denke ich, dass in meinem Film für jeden etwas dabei ist, und ich hoffe, dass er einen Denkanstoß gibt, der einen dazu bringt, ein wenig radikaler über die Befreiung des Selbst und der Nation nachzudenken, während man sich in den Anblick und den Klang Sansibars und seiner Menschen verliebt.

Foto:
©Verleih

Info:
Die Liebe in ungleichen Zeiten (Vuta N'Kuvute)Ein poetischer Revolutionsfilm von Amil Shivji

Tansania / Südafrika / Deutschland / Katar, Länge: 90 Minuten, FSK 6 DCP 24fps, Farbe, 5.1
Sprachfassung: Swahili und Englisch, mit deutsch Untertiteln

Stab:
Regie: Amil Shivji
Drehbuch: Amil Shivji und Jenna Bass
Nach einem Roman von Shafi Adam Shafi Produziert von: Steven Markovitz & Amil Shivji Ausführende Produzenten: Lucinda Englehart, Neil Tabatznik Ko-Produzenten: Tamsin Ranger, Nicole Gerhards Kamera: Zenn Van Zyl
Schnitt: Nadia Ben Rachid, Matthew Swanepoel Szenenbild: Emilia Roux, Eliudi Dominic Mwanyika Kostüm: Hawa Ally Issa
Musik: Amine Bouhafa, Amélie Legrand

Besetzung
Denge - Gudrun Columbus Mwanyika
Yasmin - Ikhlas Gafur Vora
Mwajuma - Siti Amina
Förderungen:
Rosa Luxemburg Stiftung
Berlinale World Cinema Fund
Doha Film Institute
Visions Sud Est

Abdruck aus dem Presseheft