Claudia Schulmerich
Wiesbaden (Weltexpresso) – Als Matinee Arte Kino Classics mit anschließendem Empfang haben das Festival, vertreten durch seine Leiterin Heleen Gerriten, Györgi Raduly, Direktor des Nationalen Filminstitus Ungarn & Filmarchiv und einem Zuständigen von Arte diese Aufführung eines ungarischen Filmklassikers aus dem Jahr 1955 ins Programm gesetzt. In dem Gespräch vorab, daß die Schauspielerin Dorka Gryllus in Gang gehalten, was nicht schwierig war, denn es gibt zu diesem Film einfach viel zu sagen. Äußerer Anlaß ist das Arte-Vorhaben, europäische Klassiker technisch aufzurüsten und in das gleichnamige Arte-Programm zu übernehmen, die in der Mediathek jederzeit zur Verfügung steht.
Der Arte-Vertreter begründete, warum gerade dieser Film, der in Ungarn bis heute sehr bekannt ist und ständig bei den besten ungarischen Filmen Favorit ist, in Deutschland dagegen kaum bekannt, ausgewählt wurde und ab Juni in der Arte-Mediathek zu sehen ist. Györgi Raduly begrüßte, daß ein ungarischer Film durch Arte so viele Zuschauer habe, sprach dann von der Situation nach dem zweiten Weltkrieg in Ungarn, wo auch der Film unter sowjetischer Einflußnahme stand, was aber für diesen Film nicht galt, der nicht nur in der Heimat goutiert wurde, sondern in Cannes 1955 Triumphe feierte.
Stolz berichtete Raduly, welche Wirkung dieser Film beispielsweise auf François Truffaut hatte, der damals als Filmkritiker zum 9. Internationalen Filmfestivals von Cannes 1956 diese Lobpreisung veröffentliche: „„Hier sind endlich meine persönlichen Preisträger. Großer Preis: Karussell. Auszeichnung als beste Schauspielerin: Mari Törőcsik für Merry-Go-Round.“ Das war nicht nur die Meinung des späteren berühmten Regisseurs, denn dieser Film gehörte zu den am meisten beachteten Filme des Festivals, was sich auch auf die so direkte Kameraführung bezog, sicher auch auf den Inhalt, weil sich ja hier eine Liebe gegen die Regeln durchsetzt.
Raduly befand, daß es also viele Gründe gab, warum der Film gescannt und die digitale 4K-Restaurierung von Original-35-mm-Negativen und -Ton, vom Original-Internegativ und von einer Positivkopie durchgeführt wurde. Die Restaurierung geschah durch den Ungarischen Nationalen Filmfonds-Hungarian Filmlab.
Höchste Zeit, vom Film selbst zu sprechen, der mit einer schmissigen, bekannten Melodie beginnt, die einen sofort an Fellini denken läßt, was die nächsten Bilder vertiefen, denn es wird ein Jahrmarkt von 1953 gezeigt, was wir früher Kirmes nannten und für Kinder der Höhepunkt des Jahres war. Früher gab es noch diese großen Ketten-Karusselle, die einen durch die Luft fliegen lassen, daß es nur so eine Lust ist. Dieses Gefühl zeigt der Filmanfang, die Leichtigkeit einfach, die eintritt gegen die Erdenschwere. Von der erleben wir sogleich ziemlich harte Szenen, in denen die blutjunge Tochter Mari des gut betuchten Bauern Pataki tun muß, was die Eltern befehlen. Das ist doch erst 70 Jahre her, aber was die Mutter Pataki an Sprüchen von sich gibt, hält man heute für Mittelalter. Sie bedrängt Mari unaufhörlich, sich genau an die Vorgaben des Vaters zu halten. Sie selbst tritt diesem untertänig gegenüber. Unglaublich.
Wir haben Mari luftselig zusammen mit Máté Biró auf dem Karussell gesehen, sie ist überhaupt glückselig, denn sie hat sich in diesen Máté verliebt, ein junges Genossenschaftsmitglied, der zurückliebt. Doch die hübsche Mari will aus Statusgründen auch der Großbauer Ádám Szirtes (Sándor Farkas) heiraten, was mit den Plänen ihres Vaters übereinstimmt. Das alles wird in vielen Szenen, die auch das bäuerliche Leben und Arbeiten und vor allem die Dorffeste, Heiraten etc. im Detail zeigen. Im Nachhinein wird Mari sich schon sagen müssen, daß sie nicht deutlich genug ihrem Vater signalisiert hat, daß die Heirat mit diesem Mann, der sie wie einen Preis behandelt, auf jeden Fall als Besitz behandelt, für sie unmöglich ist. Aber tatsächlich glaubt sie vielleicht selbst am Anfang, daß sie dem Vater gehorchen muß.
Doch zwei Vorgänge machen ihr klar, was Sache ist. Es geht um die vom ganzen Dorf gefeierte Hochzeit einer jungen Frau, die aufwendig gefeiert wird, was für uns insofern interessant ist, weil man Erstaunliches über damalige Hochzeitsbräuche sieht, wo die Braut abgekauft wird, um mit ihr zu tanzen. Zum einen werden ihr die aufdringlichen Besitzattitüden des Großbauern extrem peinlich; er selbst wird ihr nach und nach einfach widerwärtig. Aber sie muß mit ihm tanzen, wenn er sie auffordert, was sie mit eiserner Miene tut.
Máté, der erst aus Kummer einen Schnaps nach dem anderen trinkt, kann dieses Getanze einfach nicht mehr ertragen. Er stürmt zu den beiden Tanzenden, die innehalten. Er ergreift Maris Hände und fängt mit ihr zu tanzen an, einen Csárdás, Ádám steht wie ein Idiot da und trollt sich. Damit ist der Skandal da. Nicht genug können beide vom immer schnelleren Drehen um sich selbst kriegen, was man an Maris Miene verfolgen kann. Es dauert lange, bis sich ihr erstarrtes Gesicht auflöst und nach und nach ein glückliches Lächeln ihre Züge umspielt. Das kann der bisher Zukünftige nicht ertragen, er stürmt heran, will sozusagen abklatschen und mit Mari tanzen, doch die beiden sehen nur sich selber, schauen sich inniglich an, wirbeln umeinander und erneut steht Ádám als der Dumme da. Das kann er nicht ertragen und haut ab.
Zu Hause wird Mari von den Eltern ob ihres Tanzes gescholten, der Vater ohrfeigt sie und das ist wohl neu für sie, jetzt wird aus der bisher braven Tochter eine renitente. Nicht ganz grundlos wirft ihr der Vater auf ihren hingeworfenen Satz, daß sie den Großbauern nie heiraten wird, vor, warum sie das nicht früher gesagt hat, denn jetzt sei es längst vereinbart und festgezurrt und er könne von seinem Wort, die Hand seiner Tochter versprochen zu haben, nicht zurück und wolle es auch nicht, denn das sei für sie eine glänzende Partie. Eher würde er sie umbringen, als daß sie diesen anderen heiraten könne.
Doch jetzt läßt sich Mari nicht mehr vom Vater bestimmen, sie hat ihre eigene Meinung und diese ausgesprochen. Während der Vater stoisch vor sich hinsägt, kommt aufgebracht der sich gehörnt fühlende Ádám daher. Man weiß, wie es weitergeht, er ist wütend, sieht das Beil, ergreift es, während die dramatische Musik einen darauf vorbereitet, daß er gleich zuschlagen und sie töten wird. Doch es geschieht etwas ganz anderes. Wie selbstverständlich kommt absolut selbstsicher Máté hinzu, er und Mari gehen in den Stall, um die Tiere zu versorgen. Fassungslos sehen ihnen der Vater, der wieder zu sägen beginnt, und nach, bis das Beil niederlegt und sich schleicht. Einem Leben mit Máté,und der Hochzeit steht nichts mehr im Wege, die mit dem Dorf gefeiert wird; abschließend sehen wir das junge Paar glücklich im Karussell durch die Luft fliegen. Ja, mit der selben Fellinimusik. Gerne hätte man dessen Meinung zum Film gehört, denn das pralle Leben war ja auch seine Sache.
Tatsächlich ist die positive Wendung das Entscheidende an diesem Film, ein Ende, das überhaupt nicht kitschig wirkt, sondern emanzipatorisch. Man kann sich gut vorstellen, welche Wirkung ein solcher Film im landwirtschaftlich geprägten Nachkriegsungarn hatte, denn Parolen über die Selbstbestimmung der Frauen sind das eine. Solche Beispiele das andere.
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Info:
MERRY-GO-ROUND
HUN 1955 / 90 min
Regie: Zoltán Fábri
Caligari So, 28.04. / 11:00 Uhr
Drehbuch: László Nádasy, Zoltán Fábri
Kamera: Barnabás Hegyi
Schnitt: Ferencné Szécsényi
Musik: György Ránki
Ton: György Pintér
Besetzung: Mari Törőcsik, Imre Soós, Ádám Szirtes, Béla Barsi, Manyi Kiss, Gyula Bakos, Antal Farkas, Jószef Juhász, Flóra Kádár, Ervin Kibédi, Mária Kovács, László Kozák, János Makláry, László Misoga, Piri Peéry, Sándor Peti, Gellért Raksányi, Sándor Siménfalvy, Sándor Suka, Gyula id. Szabó, Viktória Ujváry, Irma Vass, Andrea Borbíró, László Halász, Margit Lubinszky, Zoltán Makláry, Lajos Tándor
Filmkopie: National Film Institute – Film Archive (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) (Hungary)