Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Kam die Geschichte von WAS VON DER LIEBE BLEIBT zu dir oder du zur Geschichte?
Die Idee zum Film kam mir während einer Lesung. Die Autorin las Gedichte, die aus der Perspektive der Angehörigen der Opfer der NSU geschrieben waren. Das war für mich eine sehr emotionale Erfahrung, ich hatte Tränen in den Augen. Bis dahin hatte mich mit dem NSU-Komplex – wie viele von uns – nur intellektuell auseinandergesetzt.
An dem Abend wurde mir klar, dass ich eine emotionale Geschichte aus der Perspektive von Menschen erzählen muss, die täglich mit systemischem, institutionellen Rassismus konfrontiert sind. Schon damals tauchte bei mir die Frage auf: Was ist schlimmer: Einen geliebten Menschen zu verlieren oder die anschließende rassistische Kriminalisierung des Opfers? So eine Frage darf man sich natürlich nicht stellen und die Beantwortung ist nicht möglich. Aber sie war der Ausgangspunkt meines Films. Was dann kam, war eine lange Reise.
Kannst du diese Reise beschreiben?
Am Anfang habe ich mich intensiv mit dem NSU-Komplex beschäftigt und damit, was den Opferfamilien geschehen war. Zunächst fing ich an, eine Geschichte zu entwickeln, die sehr stark an den Schicksalen der Familien der NSU-Opfer angelehnt war. Doch relative schnell habe ich dann diese Idee verworfen. Ich wollte keinen „Themenfilm“ erzählen, der Menschen mit Migrationsbiografie wieder einmal nur als Opfer darstellt.
Zwei Jahre lang konnte ich die Geschichte gar nicht mehr anfassen, bis ich die Idee hatte, eine „ganz normale“ Liebesgeschichte über zwei Deutsche mit kurdischen und türkischen Wurzeln zu erzählen. Der systemische Rassismus wurde dabei zur Gegenkraft, der die beiden auseinandertreibt. Anders als bei weißen deutschen Liebespaaren greift das Politische bei Ilyas und Yasemin stets in das Private hinein und bringt dadurch ihre Liebesgeschichte beinahe zu Fall. Sie müssen in ihrem Alltag immer damit rechnen, dass ihnen systemischer und expliziter Rassismus begegnet.
Gleich zu Beginn des Films wird klar, dass die beiden Liebenden Yasemin und Ilyas eigentlich nicht unterschiedlicher sein können. So scheint sich Yasemin politisch klarer zu positionieren, während es für Ilyas wichtiger ist, dass er „ein Berliner” ist.
Für mich ist das ein wirklich radikaler Moment im Film, zu erkennen, egal wie gut situiert und angepasst du bist, als Nicht-Weißer (BPoC) wird man sich sein ganzes Leben immer wieder mit rassistischen Übergriffen durch Staat und Gesellschaft auseinandersetzen müssen. Und dass, obwohl man diese Übergriffe nicht provoziert hat. Sie geschehen einfach, unvorhersehbar und durch nichts kontrollierbar.
Yasemin kann es gleich zu Beginn ihrer Beziehung benennen. Aber auch in Ilyas Aussage steckt ein politisches Statement. Auch wenn ihm erst am Ende der Geschichte so richtig bewusst wird, auch wenn er zur zweiten oder zur dritten Generation von Einwanderern gehört, die in Deutschland geboren wurden – am Ende bleibt er ein „Kanake”.
Trotz ihrer unterschiedlichen Lebensansichten schaffen es Yasemin und Ilyas, ihre Liebe über den Tod hinaus zu retten. War dir das wichtig?
Bei einer Liebesgeschichte kann man ja verschiedene Wege gehen. Es war eine bewusste Entscheidung, keinen besonders hochdramatischen Aspekt wie etwa Untreue oder Gewalt in die Geschichte von Yasemin und Ilyas einfließen zu lassen. Vielmehr wollte ich eine ganz alltägliche Geschichte zwischen Liebenden erzählen, die trotz unterschiedlicher Lebens- entwürfe 15 Jahre zusammenbleiben und nie aufhören, sich zu lieben. Trotz oder vielleicht wegen der Enttäuschungen und Auseinandersetzungen haben sie gelernt, aufeinander zuzugehen und einander zu vertrauen.
Klar gehören Zweifel zu jeder Liebesgeschichte. Aber hier wurden die Zweifel zusätzlich durch staatliche Behörden gesät und das in einem Moment, in dem der Partner nicht mehr da ist und sich dazu nicht mehr verhalten kann. Mir war es wichtig, dass Ilyas letztendlich diese Zweifel und seine Selbstvorwürfe überwinden kann. Ich wollte, ohne den Film zu verkitschen, dass am Ende die Liebe bleibt, selbst wenn Yasemin nicht mehr am Leben ist. Rassismus darf niemals über die Liebe siegen.
Eine Sichtweise, die du bei den beiden Hauptdarstellern Seyneb Saleh und Serkan Kaya wahrscheinlich voraussetzen konntest. Wie war die Zusammenarbeit?
Eigentlich begann unsere Zusammenarbeit lange vor den Dreharbeiten. Bereits im Vorfeld haben wir uns viel Zeit genommen und die Rollen gemeinsam intensiv erarbeitet. Ich habe sie zum Beispiel zu Paartherapeuten und Restaurantbesitzern geschickt. Vor dem Dreh haben wir dann mehrere Wochen am Drehbuch gearbeitet und auch an Szenen, die nicht im Drehbuch stehen, die aber Teil des Lebens der Charaktere sind.
Dadurch waren beide auf ihre Figuren sehr gut vorbereitet. Dennoch war die emotionale Belastung für Serkan sehr hoch, denn für ihn – und natürlich auch für Seyneb – sind das nicht nur Rollen. Denn diese Dinge erleben sie ja auch im echten Leben. Es war also schön und schmerzhaft zugleich, beide Darsteller in ihren Rollen aufgehen zu sehen. Eine sehr gute und intensive Zusammenarbeit.
Was ist dir wichtig, wenn dieser Film in den Kinos läuft?
Ich wünsche mir vom Publikum, dass es sich mit Ilyas und seiner Familie identifizieren kann. Dass es sich mit ihnen auf die Reise ihrer Liebe begibt und den lebensverändernden Schock nachempfinden kann, den ein rassistisch motivierter Mord in ihr Leben bringt. Das, was Ilyas, Yasemin und Senna passiert, reflektiert die Geschichten der Familien, die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) wurden und die der vielen anderen Opfer rassistischer Gewalt in Deutschland. Mir ist klar, dass Menschen mit Rassismus-Erfahrungen den Film anders sehen werden als Menschen ohne. Aber ich hoffe, dass letztere die Kraft und Empathie aufbringen können, diese krassen Erfahrungen nachzuempfinden. Denn es ist unerträglich und schmerzvoll, dass man im eigenen Land immer ein Fremder bleibt.
Und da die Frage mit dem Titel des Films schon gestellt worden ist: Was bleibt von der Liebe?
Diese Frage wird jeder für sich anders beantworten; jemand mit Rassismus-Erfahrung in dieser Situation sicherlich anders als jemand ohne. Damit bleibt die Antwort offen... so offen, wie unsere Gesellschaft eigentlich sein sollte.
Foto:
©Verleih
Info:
WAS VON DER LIEBE BLEIBT wurde produziert von Benny Drechsel, ROHFILM Productions (u.a. GROSSE FREIHEIT, Regie: Sebastian Meise, LORE, Regie: Cate Shortland, u.v.a.), in Koproduktion mit ZDF, gefördert von BKM, MDM, DFFF, MBB, HessenFilm und FFA. FILMWELT bringt den Film am 2.5.2024 in die Kinos.
Deutschland, 2023
1,85:1 Flat
Dolby 5.1100 Minuten
Darsteller
SERKAN KAYA (ILYAS)
SEYNEB SALEH (YASEMIN)
Stab
KANWAL SETHI (REGIE, DREHBUCH)
Abdruck aus dem Presseheft