Redaktion
Madrid (Weltexpresso) - Sie haben immer gesagt, dass Sie den Zuschauer gerne überraschen, und tatsächlich haben Sie sich nun zum ersten Mal mit einem neuen Genre befasst: dem Animationsfilm. Ist das ein Wunsch, den Sie schon seit Ihren Anfängen haben?
Nein, ganz und gar nicht, obwohl ich dieses Genre liebe. Ich habe in meiner Jugend viele Cartoons gesehen: „Merrie Melodies“, „Félix le Chat“, „Popeye“, „Betty Boop“ und die Hanna-Barbera-Produktionen. Das Haus, in dem ich lebte, lag neben einem Kino, in dem Disney-Filme liefen, und ich konnte den Ton bis in mein Zimmer hören. Der erste Film, den ich sah, war „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Später sollte der mich zu „Blancanieves“ inspirieren. Am meisten erinnere ich mich jedoch an zwei japanische Serien von Isao Takahata, „Heidi“, mit der Hayao Miyazaki begonnen hatte, und „Marco“. Sie spielten mit Emotionen. Das wollte ich in ROBOT DREAMS auch.
Was war der Auslöser für diesen plötzlichen Wechsel der Technik?
Zufällig sammle ich Bücher ohne Worte und als ich „Blancanieves“ vorbereitete, verliebte ich mich in einen amerikanischen Comic von Sara Varon, „Robot Dreams“. Das Thema – die Bedeutung und Zerbrechlichkeit der Freundschaft – berührte mich, ebenso wie das Ende, das ich sehr bewegend fand. Ich liebte auch die Idee, diese Geschichte mit Tieren zu erzählen. Ich musste einfach zum Animationsfilm übergehen. Ich liebe das Risiko. Seit „Blancanieves“ habe ich Produzenten, die mich begleiten und ermutigen, also haben wir es gewagt. Außerdem war es nicht so weit von der Welt meiner früheren Filme entfernt: das Fehlen von Dialogen, die Tatsache, dass alles durch Bilder vermittelt werden muss. In „Torremolinos 73“ und „Abracadabra“ wird gesprochen, aber es gibt ganze Minuten ohne Dialog. Ich sah in diesem Projekt auch die Gelegenheit für eine Liebeserklärung an New York, wo ich in den 1990er Jahren gelebt und meine Frau kennengelernt habe. Sie ist inzwischen meine engste Mitarbeiterin.
In der Tat scheinen einige Momente des Films vor allem dazu da zu sein, um die Stadt, ihren Rhythmus und ihre Persönlichkeit(en) zu feiern.
In den Comics ist New York eine Kulisse. Ich wollte es zu einer eigenständigen Figur machen. Das ist eine der Lektionen, die ich von den Filmen des Studios Ghibli gelernt habe: Figuren mit einfachen Gesichtszügen, aber vor einem sehr detaillierten Hintergrund. ROBOT DREAMS ist für meine Frau und mich ein sehr bedeutender Film. Wir versuchten immer, eine Realität wiederzufinden, die wir selbst erlebt hatten und nach der wir uns sehnten. Deshalb sind natürlich auch die Twin Towers zu sehen.
Aber Sie zeigen auch die Polizei, den Stacheldraht, der den Zugang zum Platz verhindert...
Es stimmt, New York ist auch eine Stadt, in der es hart zugeht, die einen aber auch stärker macht, ähnlich wie Paris.
Der Film ist voller Referenzen, eine davon gleich zu Beginn: das Plakat von Pierre Etaix' Film „Yoyo, der Millionär“.
Es war schwierig, ein Poster für HUNDs Wohnung zu finden, die im Film sehr oft vorkommt. Ich wollte ein Kinoposter, um zu zeigen, dass HUND ein Filmliebhaber ist, Schallplatten sammelt, Filme sieht. Ich dachte sofort an „Yoyo“, denn auch in diesem Film wird teilweise gar nicht gesprochen und er arbeitet stattdessen mit Bildern. Wir waren alle von Anfang an von der Idee überzeugt. Bevor wir mit der Produktion begannen, drehten wir einen zweiminütigen Teaser, in dem dieses Bild bereits zu sehen war.
Lassen Sie uns einen kurzen Blick auf die kulturellen Referenzen werfen. Ist das Fenster mit den Tauben eine Anspielung auf Sylvain Chomet?
Ich hatte nicht daran gedacht, aber es muss mein Unterbewusstsein sein, denn ich liebe „Die alte Dame und die Tauben“! Und der Anfang von „Das große Rennen von Belleville“ gehört zu meinen Inspirationen für ROBOT DREAMS. Diesen Geist wollte ich wiederfinden. Unser Animation Director hat übrigens an „Das große Rennen von Belleville“ gearbeitet. Das war einer der Gründe, warum wir ihn ausgewählt haben.
Andere augenzwinkernde Referenzen: die Zwillinge aus „Shining“, die drei kleinen Schweinchen, „Der Zauberer von Oz“ usw.
Ich bin ein absoluter Filmliebhaber, also habe ich Spaß und mag Augenzwinkern, bewusst oder unbewusst. Das habe ich auch in „Torremolinos 73“, „Blancanieves“ und „Abracadabra“ getan. In ROBOT DREAMS sieht man berühmte New Yorker, Schauspieler... Und wenn die Kulisse auf ROBO fällt, ist das natürlich dieselbe fabelhafte Einstellung von Buster Keaton in „Steamboat Bill jr.“, die auf die Sekunde genau kopiert wurde.
Dann folgt eine Erinnerung an Disneys „Von Blumen und Bäumen“, gefolgt von einer Choreographie à la Busby Berkeley...
Das Kino ist für mich tatsächlich dem Zirkus und der Magie von Georges Méliès immer noch sehr nahe. Der Ton trägt dazu bei. Wenn die Vögel in Grün und Orange aus den drei Eiern schlüpfen, in den Farben der irischen Flagge, und die wunderschöne irische Ballade „Danny Boy“ singen, dann ist das für mich eine Art Hommage an die Iren in New York.
Die Schlussszene, die wir nicht spoilern wollen, erinnert an Filme von Leo McCarey. War das beabsichtigt?
Nein, obwohl ich „Die große Liebe meines Lebens“ liebe. Ich dachte eher an „Zwei junge Herzen“, einen Stummfilm aus dem Jahr 1928 über die kurze Geschichte eines Arbeiters und einer Telefonistin, die sich auf Coney Island kennenlernen.
Mit welchen Studios haben Sie gearbeitet?
Es wurden zwei Studios eingerichtet, eines in Madrid, das andere in Pamplona. Um alles zu überwachen, mussten die Animatoren trotz Covid vor Ort sein, denn der Kontakt war sehr wichtig. Meine früheren Filme hatten mich gut vorbereitet, da ich für jeden Film immer sehr genaue Storyboards angefertigt hatte. An „Blancanieves“ hatte ich ein Jahr lang gearbeitet. Ich liebe es, jede Einstellung zu zeichnen und bin sehr ungeduldig. Zum Glück, denn für die Animation braucht man mindestens 18 Monate, aber für die Gesamtproduktion von ROBOT DREAMS haben wir fünf Jahre gebraucht, in denen man vor allem motiviert bleiben muss.
Blicken wir kurz auf ihre Ausbildung zum Filmemacher zurück – im Alter von 25 Jahren drehten Sie ihr Debüt, den Kurzfilm „Mamá“ (1998)?
Als ich diesen Kurzfilm drehte, hatte ich keine Ausbildung. Ich besuchte den Filmclub der Universität, wo ich einen gewissen Alex kennengelernt hatte, dem ich das Drehbuch zeigte, das ich nach einem Comic des französischen Zeichners Vuillemin geschrieben hatte. Alex – inzwischen der Filmemacher Alex de Iglesia – nahm mich mit zu seinem Freund Enrique Urbizu, der gerade seinen ersten Spielfilm gedreht hatte. Er war es, der uns mit seinem Produzenten in Kontakt brachte. Ich entdeckte die 35-mm-Kamera und drehte die 13 Minuten von „Mamá“. Das Publikum lachte viel und ich erhielt viele Preise, die mir 1990 ein Stipendium der Delegación Foral de Bizkaia einbrachten. So konnte ich an der Tisch School of Arts der New York University einen Master in Filmregie machen.
Sie hielten sich dann von 1990 bis 1999 in New York auf.
Ja, und mein Abschlusskurzfilm „Truth and Beauty“ wurde für den Emmy nominiert. Darin ging es um einen Fernsehwettbewerb in den 1950er Jahren. Die Kandidaten mussten traurige Geschichten erzählen – und die traurigste bekam einen Preis! 1995 unterrichtete ich Regie an der New York Film Academy, schrieb Werbespots und ein Musikvideo für eine japanische Rockband und leitete Sommerkurse in Cambridge, Princeton und Yale sowie an der Sorbonne und der Fémis.
Nach Ihrer Rückkehr nach Spanien drehten Sie 2003 Ihren ersten Spielfilm, „Torremolinos 73“, eine bizarre Sexkomödie über ein Paar, das unter dem Regime von Franco gezwungen war, mit seinem Leben zu bezahlen, indem es seine sexuellen Beziehungen für eine audiovisuelle Enzyklopädie dokumentierte, die die Reproduktion förderte! Einige haben von einer wahren Geschichte gesprochen...
Ja und nein. Sagen wir, es ist eine urbane Legende. Meine Inspiration war Jess Franco, einer der Regisseure mit den meisten Filmen, manchmal 5 oder 7 pro Jahr. Die Gemeinsamkeit mit meiner Figur ist, dass Jess auch erotische Filme mit seiner eigenen Frau Lina Romay gedreht hat. Ich bin vor allem stolz darauf, dass ich mit einem damals kaum bekannten Schauspieler gedreht habe: Mads Mikkelsen. Der Film gewann zahlreiche Preise und war ein Riesenerfolg in Spanien, aber auch in China, wo er 2008 in Shanghai neu verfilmt wurde.
Ihr zweiter Spielfilm, „Blancanieves“, folgte acht Jahre später.
Die Finanzierung war in der Tat sehr langwierig. Ich hatte drei Projekte geschrieben, die ich meiner Frau zu lesen gab. Unser Favorit war „Blancanieves“, in dem das Märchen von Schneewittchen in das Spanien der 1920er Jahre mit Stierkampf und Flamenco verlegt wird. Der Produzent von „Torremolinos 73“ hatte das Drehbuch gelesen, aber er dachte, ich würde scherzen, als ich ihm sagte, dass mir Stumm- und Schwarzweißfilme sehr wichtig sind. Meine Filmschule, noch bevor ich nach New York ging, war das Filmfestival von San Sebastián gewesen. Ich fuhr jeden Sommer dorthin und hatte eine Vorführung von Erich von Stroheims „Gier“ mit dem Orchester von Carl Davis gesehen. Für mich gab es nichts Schöneres als einen Stummfilm mit Musik. Jahre vergingen und ich hatte das Gefühl, dass alle Produzenten über mich lachten. Dann aber tauchte mein jetziger Produzent Ibon Cormenzana auf. Für ihn war es das beste Drehbuch, das er je gelesen hatte. Aber es dauerte noch drei Jahre, bis ich das Projekt verwirklichen konnte. Das Land, das mir am meisten geholfen hat, war Frankreich mit Jérome Vidal von Noodles Productions, dem Einnahmenvorschuss des CNC, Arte usw., und ich habe mich sehr gefreut, dass ich den Film in Frankreich drehen durfte.
Und ein Traum wurde wahr: Bei seiner Premiere 2012 wird der Film mit Live-Begleitung des Orchesters unter der Leitung seines Komponisten Alfonso de Villalonga vorgeführt. Der Film wird mit zehn Goyas ausgezeichnet, darunter der Preis für den besten Film. Die Kritik war einhellig. Der Film wurde sowohl mit Abel Gance als auch mit Buñuel in Verbindung gebracht.
Ja, Abel Gance, den ich wegen der Montage gut studiert habe... und Buñuel natürlich, was für ein Kompliment für einen Spanier! Ich liebe seinen Sinn für Humor, seine Freiheit... Als ich den Goya erhielt, dankte ich auch Jean-Claude Carrière, den ich nie getroffen habe, der aber durch seine Arbeit mit Buñuel eine Referenz für mich bleibt.
2017 überraschen Sie erneut mit „Abracadabra“, einer Satire über das heutige Spanien, die Sie sowohl als ernste als auch als komische Komödie bezeichnen...
Es ist das Prisma, durch das ich die Dinge gerne betrachte. „Abracadabra“ und Pedro Almodóvars „Womit hab‘ ich das verdient?“ sind so etwas wie „Schwesterfilme“. Sie wurden im Abstand von dreißig Jahren veröffentlicht, aber Spanien hat sich nicht verändert. Almodóvar hat mir oft geholfen und mich unterstützt, indem er über meine Filme geschrieben hat, selbst zu Zeiten von „Mamá“ schrieb er mir ein Empfehlungsschreiben für die Universität in New York. Er war immer präsent.
- Über den Regisseur -
Der Spanier Pablo Berger begann seine Karriere als Regisseur mit dem mehrfach preisgekrönten Kurzfilm „Mama“ (1988). Anschließend erwarb er einen Master in Regie an der New York University, wo er bei dem für den Emmy nominierten Kurzfilm „Truth and Beauty“ Regie führte. Er lebte ein Jahrzehnt lang in New York. Sein Debüt, die spanisch-dänische Koproduktion „Torremolinos 73“ (2003), gewann mehrere nationale und internationale Preise, darunter den Goldenen Biznaga für den besten Film auf dem Malaga Film Festival, und wurde in vier Kategorien für den Goya nominiert. „Torremolinos 73“ war außerdem einer der größten Box-Office-Erfolge Spaniens in jenem Jahr. 2017 schrieb und inszenierte er „Abracadabra“. Der Film war erneut Finalist für die Vertretung Spaniens bei den Oscars® und wurde mit 8 Goya- Nominierungen bedacht.
Sein folgender Film, die spanisch-französischen Koproduktion „Blancanieves – Ein Märchen von Schwarz und Weiß“ (2012), wurde ebenfalls mit einer Vielzahl an Preisen ausgezeichnet. Der Film gewann unter anderem zehn Goyas und einen Ariel für den besten iberoamerikanischen Film und vertrat Spanien bei den Oscars® 2013. „Blancanieves“ wurde außerdem 2014 für den César als Bester ausländischer Film und für den Europäischen Filmpreis in den Kategorien Bester Film, Beste Regie und Bestes Kostümdesign nominiert.
ROBOT DREAMS ist Bergers erster Animationsfilm. Der Film feierte seine Weltpremiere als Special Screening bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2023 und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Europäischen Filmpreis als Bester Animationsfilm, dem Prix Contrechamp des Festival International du Film d’Animation Annécy, dem Annie Award (Best Animated Independent Feature), dem Publikumspreis des Sitges Film Festival und zwei Goyas (Bester Animationsfilm, Bestes adaptiertes Drehbuch).
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