Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos am Donnerstag, 9. Mai, Teil 11
Oskar Roehler
Berlin (Weltexpresso) - Was für Filme darf man machen? Was für Filme sind erlaubt? Ich habe mir erlaubt, darüber nicht allzu lange nachzudenken, denn sonst könnte ich überhaupt keine Filme mehr machen. Was liegt im Trend, was ist gewollt, wie macht man sich beim Zuschauer beliebt? Ich kann es ahnen, ich weiß, dass es um Genderproblematik, Rassismus, Feminismus und ähnliche Dinge geht. Es wird ja auch empfohlen in Richtlinien, dass man Teilaspekte davon in seinen Filmen unterbringen soll, oder eine Quote für Hautfarbe.
Das kann alles sein. Ich will darüber nicht polemisieren. Es macht mich allerdings auch nicht glücklich. Die Tatsache, dass ich ein alter, weißer Mann bin, bringt mir sicherlich nicht allzu viele Sympathien. Dennoch ist es der Erfahrungshorizont, aus dem ich berichte. Ich blicke auf sechzig Jahre Leben zurück. Die Frage stellt sich häufiger, ob es vielleicht verpfuscht wurde, durch eigene Schuld, und durch die Agonie, die Selbstzufriedenheit und Wohlstand durch so lange Jahre hervorgerufen hat. Mit sechzig reagiert man leider darauf eher mit Resignation als mit einem revolutionären Aufruhr. Oder mit stiller Wut, oder Verbitterung. Man sucht nach Glücksgefühlen, aber man kriegt sie nicht mehr original hergestellt, man muss sie kaufen, künstlich herstellen, man muss sie projizieren – auf jemand – der jung ist,
zum Beispiel. Das hat viel mit Sentimentalität zu tun. Je näher man dem Tod kommt, je weniger man sich in der Lage fühlt, seine Comfort-Zone noch einmal zu verlassen, je langweiliger das Leben mit seinen täglichen Ritualen wird, desto stärker wird die Sentimentalität auf der einen – und die Grausamkeit auf der anderen Seite.
Diese Erkenntnis muss man erst einmal aushalten. Man kauft Jugend, um sich die Illusion zu erhalten, dass man selbst jung ist. Man macht einen auf jung. Man wendet viele Tricks an, um die Ernüchterung hinters Licht zu führen, die damit einhergeht, dass man zum Feindbild geworden ist. Man trinkt ein paar Gläser aus Gewohnheit, man hört die Musik alter weißer Männer, man denkt an schmutzigen Sex. Schön ist das alles bestimmt nicht, und schon gar keine Heldengeschichte. Es ist eher eine Farce, und als solche auch zu betrachten. Aber es ist auch ein Zustand, den näher zu untersuchen durchaus spannend sein kann, nämlich in dem Moment, wo er an seine Grenzen kommt, und das Opfer (seiner selbst), der alte weiße Mann, Schnappatmung bekommt. Und hier sind wir beim Thema, bei dem Modellcharakter, den Filme wie „8 ½“ und „Der letzte Tango von Paris“ auf meinen neuen Film haben. Ein Antiheld, ein „dirty old man“, soll einen Film drehen, die Handlung setzt kurz vor den Dreharbeiten ein, er spürt, er schafft das nicht mehr – kann sich aber die Blöße eines totalen Scheiterns und das Leben danach weder vorstellen noch leisten, es ist ein Horror für ihn, der ihn vom Schlafen abhält. Eine Tragödie. Eine Komödie.
Wie wenig wurde wirklich gelernt in all den Jahren, im Umgang mit den Menschen, im Umgang mit den alltäglichen Schwierigkeiten, die Wirklichkeit zu begreifen. Eitelkeiten, Egoismen. Arroganz. Selbstmitleid. Soziale Defizite. Die Liste nähme kein Ende. All das sind die Wurzeln des Übels, die in Paranoia und Menschenverachtung endet. Ein lächerlicher Held. Sein Fall ist nur bei näherem Hinsehen erkennbar. Also sehen wir näher hin. Wir reden hier über Filmregie, das heißt Erfolgsdruck, Zeitdruck, Leistungsdruck. Da ist der Verschleiß nach vielen Jahren hoch. Unser Held ist nur ein kleiner Bruder von Fellinis „8 ½“ und Marlon Brando. Er ist ein alter, weißer Mann, dem nichts anderes übrigbleibt als zu fragen: was nun?
Da sind die Eitelkeiten der Schauspieler. Da zeichnet sich ein Machtkampf zwischen ihm und seinem Hauptdarsteller ab. Da ist das Wissen um die großen Egoismen und Eitelkeiten, da ist das Minenfeld der
Dreharbeiten, da ist das Gefühl der Nichtigkeit des Unterfangens an sich im Vergleich dazu, wie wichtig sich alle nehmen.
Das ist das Zusammenbrauen der Hölle, je länger es einem nicht gelingt, einzuschlafen. Da wirken dann Kräfte, die völlig irrational sind – und, von außen betrachtet, durchaus komisch. Da entsteht ein Kräfteverhältnis, in welchem der Held deformiert wird und versucht, zu einem Gegenmittel zu greifen – zur Liebe. Es ist also auch eine Liebesgeschichte, die so ganz anders beginnt und endet als man denkt. Es ist auch ein Film darüber, dass Späne fallen, wo gehobelt wird, und dass es durchaus viele Wege in die Lächerlichkeit gibt.
Es ist eine desillusionierte Hommage an große Filme, eine räudige Variante, ein Spiel mit Klischees vom Film, es ist auch eine subjektive Bilanz und ein Erfahrungsbericht von der eigenen Arbeit. Manchmal geraten wir unfreiwillig in die Nähe der Karikatur - so auch unser Held, der demütigt, wo er sich gedemütigt fühlt, quält, wo er sich gequält fühlt – liebt, wo er sich geliebt fühlt – und dabei ständig um sich selbst kreist – bis ihn, kurz vor Erfüllung seines vermeintlichen Glücks, ein winziges Detail zu Fall bringt, ein Ding, mit dem man, wie immer, nicht gerechnet hat.
Ich habe selbst vor einigen Jahren die Erfahrung eines Nervenzusammenbruchs kurz vor Beginn von Dreharbeiten gehabt, weil ich zwei Nächte tatsächlich nicht schlafen konnte, weil selbst die stärksten
Schlaftabletten, die ich genommen habe, nicht anschlugen.
Die Angst, zu scheitern, die mich terrorisierte, war einfach größer. Das war eine phänomenale Grenzerfahrung. Vor allem dann der erste Drehtag, wo man sich winzig klein und alles andere überlebensgroß fühlt. Insofern ist Filmemachen: „no country for old men“ - auch das wollte ich in seiner unfreiwilligen Komik schildern. Es geht letztlich auch um Selbstironie, die der Held nicht besitzt, was ihn schließlich zu Fall bringt. Das ist die Ironie der Geschichte, die Moral der Komödie.
Foto:
©ARD-Audiothek
Info:
BESETZUNG
Gregor Samsa. Oliver Masucci
Grete. Bella Dayne
Konstanze Anne Ratte-Polle
Fabian Reiter. Elie Kaempfen
Regieassistent. Götz Otto
Jürgen Jürgen Tröster
Produzent Anton Rattinger
Holger Wiener Norbert Ghafouri
STAB
Regie & Drehbuch. Oskar Roehler, nach seinem Roman „Selbstverfickung“
Abdruck aus dem Presseheft