Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Auf einem Gemälde von Maria Lassnig (1919 - 2014) scheint ein Tiger die kurzhaarige Frau, die große Ähnlichkeit mit der Malerin besitzt, zu beglücken oder zu vergewaltigen. Dieses Bild gab dem Film, der heute in die Kinos kommt, seinen Titel: „Mit einem Tiger schlafen“. Viele Leute kennen dieses Bild, aber selten die Künstlerin, die es gemalt hat.
Klaglos nimmt die junge österreichische Malerin Maria Lassnig es hin, dass ein von ihr ausgestelltes Bild, ein nackter Mann mit einem roten Penis, vom Bürgermeister ihrer kleinen Heimatstadt mit einem Tuch zugedeckt wird: „Der Dreck ist eine Schande“, bellt er. Ein jüngerer Mann als sie, fast noch ein Junge, reist das Tuch fort und schnauzt, das sei doch das einzig gute Bild in dieser Ausstellung.
Er ist der jungenhafte Arnulf Rainer, mit dem die Künstlerin in den nächsten Jahren zusammenleben wird und heftig konkurriert: „Immer geht es nur um Rainer“, beschwert sie sich nach einer Parisreise, in der die beiden Galerien besuchten und ihre Arbeiten zeigten.
Später weiß sie genau, was sie braucht und was sie will: „So geht das nicht“, schreit sie in einer Galerie, „das hängt hier alles viel zu tief, meine Bilder sind doch keine Bodenfeger.“
Die Mutter kritisiert Maria, die von ihr gemalten Nachbarn sähen so seltsam aus. „Du musst heiraten“, keift sie, doch Maria widerspricht: „Ich heirate nur einen, der meine Bilder versteht. „Da kannst Du aber lange warten“, kontert die Mutter.
So wild aneinandergereiht wie diese Beispielszenen, ist der Film geschnitten, springt mit Vor- und Rückblenden durch verschiedene Zeiten, wechselt kühn die Orte, mal im einsamen Waldatelier in den Bergen, mal in Brooklyn. Ihre Begegnungen mit vielen wichtigen Zeitgenossen und Künstlergruppen, von Paul Celan, Andre Breton bis Caroline Schneemann und der Gruppe „Women/Artists/Filmmakers“ fehlen allerdings im Film.
Birgit Minichmayr, die großartige Schauspielerin, zeigt uns Maria Lassnig in jedem Alter: Als junges Mädchen, als bekannte Malerin, selber als zickige Mutter: „Die Sammler stehlen meine Bilder, das sind doch meine Kinder, die sollen nicht ins Waisenhaus“. Und sie gibt auch die alte Frau, die kaum noch malen kann.
Vor allem jedoch bringt sie uns nahe, wie Lassnig arbeitete. Ihre Bilder kann man als figurativen Expressionismus beschreiben. Oft lag sie auf ihren Papierbögen, räkelte und wand sich, fühlte in sich hinein: wo und wie berühre ich den Boden? Und malte dann ihre Gestalten und Figuren mit empfundenen Bewegungen als „Körpergefühls-Figurationen“.
Der einfühlsame Film der Regisseurin enthält sicherlich viele reale Erfahrungen, Geschichten und Arbeitsweisen der ab den 1960er-Jahre sehr bekannten Avantgardstin, die - natürlich - immer im Schatten der männerdominierten Kunstwelt stand. Aber er ist kein wirkliches Biopic, sondern ein unterhaltsamer und gelegentlich tief in das Leben der österreichischen Künstlerin eintauchender Spielfilm.
Liest man die Lebens- und Erfolgsgeschichte der Künstlerin nach, staunt man, dass sie wohl nicht ganz so deppert war, wie in den vielen, von der Regisseurin gestalteten Szenen. Das liegt nicht an der Minichmayr, die ihren schauspielerischen Job fantastisch ausübt.
Der Film endet wie der Anfang, umringt von Trauernden liegt Lassnig auf dem Sterbebett. Während die Gäste herumjammern, denkt sie sich Farbkombinationen aus. Unbemerkt steht sie auf, geht in ihr Atelier - und da kommt auch schon der Tiger um die Ecke.
Fotos:
© Arsenal-Film-Verleih
Über den Film
"Mit einem Tiger schlafen", Österreich 2024, 107 Minuten, Filmstart 23. Mai 2024
Drehbuch und Regie Anja Salomonowitz, mit Birgit Minichmayr, Johanna Orsini |