tigerDie anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Mai 2024, Teil 2


Redaktion 

Wien (Weltexpresso) - Schmerz. Der innere und äußere Schmerz ist bei Lassnig immer spürbar, ob in ihrer Kindheit, ihrer Zeit in Paris und New York, in ihrem Waldatelier in Kärnten oder in Wien, wo sie mit Hilfe ihres Assistenten Hans Werner Poschauko (Lukas Watzl) bis zuletzt noch malt, denn – wie sie in New York zu einer Freundin sagt: „Life is not bearable for me when I don’t paint.“



I/T PARIS BADEZIMMER 1964 1

Maria Lassnig, 45, liegt in einer Badewanne. Die Badewanne
ist schäbig und aus Email, das Badezimmer heruntergekommen.
Die Wände scheinen zu wackeln, denn außen ist eine Baustelle.
Durch das Rollo an der Seite ahnt man heruntergekommenes
Ziegelwerk.

Maria hat einen feschen Kurzhaarschnitt und ist überall
unrasiert, wie damals üblich. Sie genießt die Stimmung unter
Wasser. Man hört von außen dumpf das Geräusch fallender
Ziegelsteine. Das Wasser lässt eine Käseglocke über ihr
entstehen.

Ihre Hände sind außerhalb der Wanne. Da sehen wir, dass ihre
Hand aufgeschürft ist und tiefe Wunden hat.
Maria schreckt hoch. Wasser plätschert aus der Wanne. Ein
braunhaariges Mädchen, 7, steht auf einmal neben der
Badewanne.
Maria wischt sich die Augen ab und sieht das Mädchen an. Das
Mädchen hält Maria ein türkises Handtuch hin.
Maria sieht es an. Dann fragt sie, auf französisch:
MARIA LASSNIG
Ist deine Mutter auch deine einzige
Bezugsperson auf dieser Welt?
Das Kind sagt nichts. Es zuckt mit den Schultern.
Maria kommt ihr näher. Sie will doch etwas wissen!
MARIA LASSNIG (CONT’D)
Siehst du mich?
Das Kind sagt wieder nichts. Nickt aber.
MARIA LASSNIG (CONT’D)
Du siehst mich von außen und ich
spüre das. Aber ich bin auch innen.
Ich bin außen und innen.
Maria sieht ihre eigenen Arme an und fährt sie mit der Hand
ab. Das Kind fährt auch seine Arme ab.  
MARIA LASSNIG (CONT’D)
Ich kann gesehen werden und bin in
dem Gesehenen gleichzeitig.

Das Kind schweigt.
MARIA LASSNIG (CONT’D)
Aber es tut so weh! Was meinst du?
Ist der Schmerz jetzt innen oder
außen?
Das Kind tut so, als würde es überlegen.
MARIA LASSNIG (CONT’D)
Der Schmerz ist innen, aber wenn
man den Körper aufschneiden würde,
würde man innen nichts sehen!
Sie deutet das Messer an, das sie in der Mitte aufschlitzt.
Das Kind lässt das Handtuch fallen. Es landet am
Badewannenrand und rutscht, wie in Zeitlupe, langsam ins
Wasser. Das Kind läuft hinaus.
Maria Lassnig spricht ihr noch nach, als ob das Kind sie
hören könnte. Oder sagt sie es zu sich?
MARIA LASSNIG (CONT’D)
Weil es etwas Unsichtbares ist.
Nicht? Etwas, dass man nur spürt.
Sie fischt das nasse Handtuch aus der Wanne. Mit ihren
aufgeschürften Händen.

Kampf

„Eine Frau muss drei Mal so viel schuften wie ein Mann, nur weil sie eine
Frau ist“, sagt Maria Lassnig (Birgit Minichmayr), am Boden malend, während
ihr jüngerer Geliebter und Wegbegleiter Arnulf Rainer (Oskar Haag) neben ihr
aufwacht, sich eine Zigarette anzündet und verkündet, feiern zu gehen, um
sie nicht zu stören. Und das tut Maria Lassnig auch ihr Leben lang, täglich,
unnachgiebig, in Stille: Sie schuftet und bringt ihre Gefühle auf die Leinwand
– die einer verlassenen Tochter, einer unverstandenen Künstlerin, stillen
Denkerin, feministischen Vorkämpferin und einsamen Malerin, ob in ihrem
Atelier in Paris, in New York oder im Kärntner Metnitztal.


I/T PARIS GALERIE 1951 26

Maria und Arnulf sind in einer Galerie in Paris. Sie sehen
sich beeindruckt die Bilder, die hier an der Wand hängen, an.
Bilder mit Farbflecken, die ineinander verschwimmen. Wilde
Striche. Die Auflösung der Form. Sie sehen das Informel in
der Ausstellung Véhémences confrontées.
Die beiden gehen praktisch mit offenen Mündern durch die
Ausstellung. Sie sind begeistert von den Bildern. Man merkt
Ihnen ihre Aufbruchstimmung an.
Nina Dausset, die Galeristin, kommt. Sie setzt sich an den
Sie sitzen gespannt am Tisch gegenüber der Galeristin. Die
Galeristin sieht sich gerade die Mappen der beiden an. Es
sind unheimliche Drucke in schwarz/weiß. Gesichter wie
Monster, die ineinander wachsen. Dann Lichtpausen
surrealistischer Zeichnungen.

GALERISTIN IN PARIS
Où avez-vous appris cette
technique?
Sie fragt das Arnulf, dieser schaut zu Maria. Maria übersetzt
für Arnulf:
MARIA LASSNIG
Sie möchte wissen, wo du das
gelernt hast.
Arnulf sagt zu Maria:
ARNULF RAINER
Sag ihr, dass ich die Technik vom
Planzeichnen hab. Aus der
Staatsgewerbeschule!
Maria antwortet wieder an die Galeristin:
MARIA LASSNIG
Il a appris cette technique en
dessinant des plans en génie civil
à la Staatsgewerbeschule de
Villach.
GALERISTIN IN PARIS
Cette technique est très
intéressante.
Arnulf sieht Maria fragend an.
MARIA LASSNIG
Sie sagt, sie findet es
interessant.
Nina Dausset blättert weiter. Bilder von Maria kommen. Die
Galeristin blättert und blättert, aber hat keine Frage. Maria
beißt sich auf die Lippe. Dann erklärt sie ungefragt:
MARIA LASSNIG (CONT’D)
Je pense à un détachement de la
représentation et pourtant c'est 
mon corps que je représente ici. (Ich denke an eine Loslösung der
Repräsentation und doch ist es mein
Körper, den ich hier darstelle.)

Die Galeristin ist in sich gekehrt. Sie sieht nicht mehr, was
Maria ihr zeigt. Sie blättert zurück.
GALERISTIN IN PARIS
Il est exceptionnellement doué.
ARNULF RAINER
Was sagt sie? Was sagt sie?
MARIA LASSNIG (ZU ARNULF RAINER)
Sie sagt, du bist begabt.
Arnulf lächelt. Er ist sehr stolz.
Die Galeristin steht auf, um ihnen die Hand zu schütteln. Die
beiden stehen auch auf. Die Galeristin gibt Rainer die Hand
und sagt zu ihm:
GALERISTIN IN PARIS
J'aimerais que vous reveniez dans
un mois. Veuillez donc apporter
votre prochain travail.
Sie sieht Maria an und wartet auf die Übersetzung. Maria ist
wirklich schon genervt, übersetzt aber brav.
MARIA LASSNIG
Sie will, dass du in einem Monat
wieder kommst. Sie sagt, es würde
sie freuen.
Die Galeristin gibt auch Maria die Hand. Maria wartet, was
sie wohl zu ihr sagt.
GALERISTIN IN PARIS
Peut-être que vous irez encore avec
lui. C'est vraiment stupide s'il ne
peut pas communiquer.
(Vielleicht begleiten Sie ihn
wieder. Es ist ja wirklich blöd,
wenn er sich nicht verständigen
kann.)
ARNULF RAINER
Was sagt sie?
MARIA LASSNIG
Dass du gern alleine kommen kannst.


KUNST 

"Kunst ist ansteckend."

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