fragendDie anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Mai 2024, Teil 1


Maria Teuchmann

Wien (Weltexpresso) - Maria Lassnig, im fortgeschrittenen Alter, gebückt aber mit kräftiger Stimme und vehement im Auftreten, besichtigt den Aufbau einer Werkschau, schüttelt den Kopf. Ihre Bilder wurden nicht richtig gehängt. „Meine Bilder, die müssen strahlen“ kritisiert sie die Galeristen. Anja Salomonowitz ist es, die Maria Lassnigs Werke in ihrem Film MIT EINEM TIGER SCHLAFEN zum Strahlen bringt. 



Ein Film, weit mehr als ein biographisches Portrait Maria Lassnigs.

MIT EINEM TIGER SCHLAFEN erzählt auch das Erwachen einer Frau, die 1919 in Kärnten geboren wurde. Aufgewachsen zunächst bei der Großmutter, später bei der Mutter, die ihr vermittelte, dass man als Frau nur an der Seite eines Mannes existieren kann. Der um 10 Jahre jüngere Arnulf Rainer wurde ihr Partner und selbst die Avantgarde pflegte die Dominanz des Männlichen in Gesellschaft und Kunst. So musste die junge Künstlerin zahlreiche Demütigungen als Rainer Epigonin hinnehmen, „das hat natürlich sehr in mein Herz gegriffen“ sagt sie selbst. Anja Salomonowitz hat einen feministischen Film geschaffen, der nicht das radikale Narrativ bedient die Selbstfindung einer Künstlerin zu zeigen. Lassnigs Werk steht vor allem für das introspektive Erspüren der eigenen Befindlichkeit und den künstlerischen Ausdruck körperlicher Empfindungen. Anja Salomonowitz macht diesen visionären Zugang zur Kunst in MIT EINEM TIGER SCHLAFEN nicht nur sichtbar, sondern mit jeder Grimasse, jeder Verrenkung oder jedem Schulterzucken der Hauptdarstellerin Birgit Minichmayr den Begriff der Body Awareness, der für Lassnigs Werk kennzeichnend ist, erfahrbar.

Birgit Minichmayr IST Maria Lassnig. Sie ist das Kind, das sich an den Vater schmiegt, sie ist die junge, noch scheue, unentdeckte Künstlerin, sie ist die selbstbewusste, aber immer verletzliche Frau, sie ist die starke Frau, die nicht des Geldes wegen einen männlich dominierten Kunstmarkt bedient, aber equal pay einfordert, sie ist die hochbetagte Malerin, die in ihren Bildern ihre Kinder sieht, die nicht ins Waisenhaus abgeschoben werden dürfen. Minichmayr verkörpert Lassnig in all ihren Lebensabschnitten – alterslos, zeitlos, faszinierend wie ihre Kunst.

In ihrem Regiekonzept und Drehbuch schreibt Anja Salomonowitz die fordernde Aufgabe fest, 80 Jahre Frauenleben ohne jede Maske darzustellen. Minichmayrs geniale Darstellung, ihr körperlicher Ausdruck, (ihre Stimme), lassen uns spielend sämtliche Zeitsprünge des Films nachvollziehen. Einer Dirigentin gleich orchestriert Anja Salomonowitz das Timbre der Darstellerin durch alle Jahrzehnte. Das Drehbuch (Drehbuch: Anja Salomonowitz, Dramaturgie: Roland Zag) ist dicht verwoben und führt über das Leben Maria Lassnigs auch durch die Kunstgeschichte des letzten Jahrhunderts.

Aber auch Farben und Motive aus Maria Lassnigs Bilderwelten spiegeln sich immer wieder in den Filmbildern Anja Salomonowitz‘. MIT EINEM TIGER SCHLAFEN verortet Biografisches in den Kunstwerken Lassnigs und schafft unaufdringliche, aber eindringliche Bildzitate. Das rote Motorrad erzählt die Geschichte des abwesenden Vaters, das creme-weiße Telefon im Pariser Atelier kündigt den nahen Tod der Mutter an.

Prägende Momente werden in bewegten Bildern erzählt und finden dann Entsprechung in Lassnigs bunten Bilderwelten. „Ob ich mich scheue, wegen meiner Vergangenheit die braune Farbe zu verwenden?“ fragt sie sich, nach dem gewaltigen Filmbild der hakenkreuzbeflaggten Akademie der Künste, wo sie in diesen dunklen Zeiten ihr Studium absolvierte. Von sphärischen Klängen (Sound Design von Veronika Hlawatsch, Musik von Bernhard Fleischmann) getragen, eröffnet sich Szene für Szene die Farb-, Bild- und Gefühlswelt Lassnigs auf der Kinoleinwand.

Maria Lassnig war es, die als Frau neue Wege in der bildenden Kunst und am Kunstmarkt beschritt und Anja Salomonowitz ist es, die dramaturgisch und filmisch neue Wege beschreitet, um ein komplexes
Frauenleben zu erzählen. 
 
Foto:
©Verleih

Info:
Maria Teuchmann, leitet den größten österreichischen Bühnenverlag (Thomas Sessler Verlag) und ist neben dem Theater auch als Agentin für Stoffrechte, Autor:innen und Regisseur:innen tätig