Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos am 11. Juli 2024, Teil 1
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Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Dieser Film ist ein Wagnis, aber ein Wagnis, das unverzichtbar ist. Vor ungefähr 80 Jahren geschahen die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte: Holocaust und Zweiter Weltkrieg, 60 Millionen Tote im Krieg, inklusive sechs Millionen ermordeter Juden. Diese Verbrechen verübten Täter, deren Manipulationsstrategien heute als Vorbild für Populisten dienen, die überall auf der Welt die Menschenrechte und die Demokratie mit Füßen treten.

Die Erinnerung an diese Archetypen des Populismus - Hitler, Goebbels und die führenden Nazis - führt ein warnendes Beispiel vor Augen, was geschehen und wie schnell eine Zivilgesellschaft in eine Barbarei übergehen kann, in der die Menschlichkeit sowie alle moralischen Grundsätze außer Kraft gesetzt werden.

Der Film ist gerade auch angesichts der jüngsten Ereignisse von höchster Aktualität und handelt von einer der größten Fragen der Geschichte: Wie konnte es den Tätern gelingen, solche unvorstellbaren Verbrechen mit Millionen unschuldiger Opfer zu begehen und warum folgte die Mehrheit der Deutschen Hitler in den Krieg und in den Mord an den europäischen Juden? Das Thema beschäftigt mich seitdem, es gehört nicht nur zu unserer Vergangenheit, sondern auch zu unserer Gegenwart. Gerade in einer Zeit, in der Populisten weltweit auf dem Vormarsch sind, in der rechtsextreme Parteien in Regierungen sitzen, in der antisemitische Gewalttaten zunehmen und in der die Verbrechen des Dritten Reichs mehr und mehr bagatellisiert werden. Für mich gilt der Satz des Auschwitz- Überlebenden Primo Levi, mit dem unser Film beginnt und endet: „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen. Das ist der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

Doch wie kann es gelingen, das Unbegreifbare zu begreifen, das Nichtverstehbare zu verstehen und das Unzeigbare zu zeigen? Ich bin der Überzeugung, dass dies nur möglich ist, wenn wir die größten Verbrecher der Menschheit als das zeigen, was sie sind: Menschen aus Fleisch und Blut. Das wirkt zunächst wie ein Tabubruch, ein Wagnis, das man vielleicht besser sein lassen sollte. Denn wir haben uns daran gewöhnt, die führenden Nazis ganz anders zu sehen, in einer Art und Weise, mit der wir uns bequem von ihnen distanzieren können: als plakative Dämonen und als eindimensionale Psychopathen.

Filme über das Dritte Reich gibt es viele, meist erzählen sie die Opferperspektive, ein wichtiger und notwendiger Umgang mit dem Nazi-Terror. Andere Filme, auch gut gemachte wie INGLOURIOUS BASTERDS, versuchen einen überzeichneten, auch satirischen Blick, sind aber gerade deshalb nicht der historischen Wahrheit verpflichtet. Wenn Hitler und seine Entourage gezeigt werden, erscheinen sie oft als Ikonen des Grauens, sowohl in dokumentarischen als auch in Spielfilmen. Meist halten sich Filmemacher ohnehin zurück, Menschen wie Hitler, Goebbels, Stalin oder Mussolini ins Zentrum zu rücken. Das geschieht mit den besten Absichten, die durch die Kritik an dem Film DER UNTERGANG

gestützt wird. Aber man erreicht damit das Gegenteil von dem, was man erreichen will, denn man geht einer der wichtigsten Fragen der Geschichte aus dem Weg. Wenn wir diese Verbrecher filmisch nur noch als eindimensionale Randfiguren oder gar als schreiende Witzfiguren darstellen, können wir sie und ihre Taten nicht verstehen. Wir lernen daraus auch nichts für die Gegenwart, dabei wäre es so wichtig, heutige Demagogen und deren Verführungsstrategien durchschaubar zu machen. Die Gefahr besteht nicht in einer Vermenschlichung dieser Verbrecher, sondern in ihrer Dämonisierung. Als Dämonen fällt es leicht, sie von uns fernzuhalten. Sie konnten aber ihre Verbrechen nur ausführen, weil sie Menschen waren und auch Züge hatten, die wir in uns allen erkennen.

Viel weiter führt ein Herangehen, das versucht, die Verführungsstrategien des Terrors und die beispiellosen Verbrechen als von Menschen gemacht zu begreifen. Nur dann können sie von Menschen verhindert werden. Das ist die eindeutige Haltung des Films.

Dies kann nur in einem Spielfilm gelingen, denn fast alle historischen Aufnahmen sind von Goebbels mit der Absicht inszeniert worden, die damaligen Zuschauer ebenso zu täuschen wie die Nachwelt. Wir haben also keine Bilder davon, was sich hinter den Kulissen abspielte, wir müssen sie herstellen. Unsere Vorstellung vom Dritten Reich hat einer der Täter selbst geprägt, Joseph Goebbels. Die von ihm geschaffenen Materialien bestimmen unser Bild der Vergangenheit bis heute. Diese Dokumente geben sich objektiv und werden häufig so benutzt. Sie waren aber das Ergebnis einer gigantischen Inszenierung, gerichtet an die damalige Gegenwart und gegen Ende des Dritten Reichs immer mehr an die Nachwelt. Wenn wir Hitler und seine Entourage immer nur in den inszenierten Dokumenten zu Gesicht bekommen, laufen wir Gefahr, auf Goebbels ́ Täuschung hereinzufallen. Goebbels war der Verführer in der Nazi-Diktatur, der Vollender des Hitler-Mythos, er war eine Art Prophet des Führers, für ihn ein Messias. Unser Film versucht, das von Goebbels geschaffene Bild zu dekonstruieren und Einblicke hinter die Fassade zu geben, wie sie bisher noch nicht zu sehen waren. Es wird gezeigt, mit welchen Mitteln Goebbels versuchte, die Bevölkerung hinter die verbrecherischen Ziele Hitlers zu bringen. Wir schauen Goebbels bei der Inszenierung seiner Lügen über die Schulter. Es geht uns um die Wirklichkeit, die sich hinter den offiziellen Bildern des Dritten Reichs versteckt, es geht um die Wahrheit hinter der Kulisse. Wer den Film gesehen hat, wird Goebbels‘ Materialien mit anderen Augen sehen, nicht mehr als dokumentarische Abbilder, sondern als inszenierte Zerrbilder der Wirklichkeit. Gleichzeitig wird er den Wirklichkeitsgehalt von Bildern überhaupt kritischer betrachten, er wird grundsätzlich wachsamer gegenüber der Manipulation durch Medien sein, auch in der Gegenwart.

Wohl kein anderer hat jemals eine so umfassende Macht über die Medien gehabt wie Goebbels, und nie hat ein Politiker diese Arbeit so umfassend betrieben wie er. Goebbels hat Regeln für Massenbeeinflussung entwickelt, die immer noch gültig sind. Heute ist der Einfluss der Medien weit größer als damals, und schon von daher ist der Einblick in die Mechanismen der Propaganda im Dritten Reich ein ebenso unverzichtbares wie aktuelles Thema. Goebbels ist eine Art Vater und Meister der fake news und hat es, viel gekonnter und virtuoser als seine Epigonen erreicht, dass das Gefakte als solches für die Zeitgenossen und manchmal sogar für die Nachgeborenen gar nicht erkannt wird. Dadurch wird es – das hat er immer wieder schriftlich festgehalten – noch viel wirksamer.

Um der Wirklichkeit näher zu kommen, wurden die Quellen umfangreich ausgewertet. Ziel war es, ein Drehbuch zu entwickeln, in dem fast alles, was Hitler, Goebbels und die Führungsspitze der Nazis sagen, belegbar ist. Das ist eine wichtige Besonderheit des Films: So wie die Figuren reden, so oder so ähnlich haben die obersten Nazis wirklich geredet. Die Dialoge enthalten viele belegbare Zitate aus den verschiedensten Quellen. Der Film zeigt nicht das von Goebbels offiziell vermittelte Bild, das auch in der unreflektierten Verwendung von Wochenschauen zum Ausdruck kommt, sondern die Wahrheit hinter der Fassade. Das Ergebnis ist ein ungeschminkter Blick ins Innere des Machtapparats. Er basiert auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, Berater des Films ist einer der besten Kenner des Dritten Reichs: der international renommierte Historiker Thomas Weber.

Ein überaus wichtiger Bestandteil des Films sind Aussagen von Opfern des NS-Terrors. Stellvertretend für viele sprechen Frauen und Männer von ihren Erlebnissen, sie erzählen auch, was Menschen berichten, die nicht überlebt haben, Menschen, die unbeschreiblichen Grausamkeiten ausgesetzt

waren und ermordet wurden. An drei bis vier Stellen erfolgen diese Einbrüche der Wirklichkeit in die Spielhandlung, in diesen so wichtige Sequenzen ist nichts fiktional, nichts gespielt, hier geht es um die pure Wirklichkeit. Nicht die führenden Nazis haben das Wort, sondern die Menschen, die heute noch leben und die mit ihren Berichten den Zuschauern eindringlich vor Augen führen, dass nie wieder geschehen darf, was geschehen ist.

Unser Film zeigt eine Art Making of des Dritten Reichs, er bietet den Blick hinter die Kulissen. Er zeigt, was im Backstage-Bereich geschieht, etwa was sich vor und nach der berüchtigten Sportpalast-Rede abspielt. Und es wird deutlich, wie Goebbels die Rede konzeptioniert, vor dem Spiegel probiert und sie danach wie ein Regisseur und Produzent bearbeitet. Das Ganze erscheint als multimediale Inszenierung: zunächst als Live-Auftritt im Sportpalast, dann zeitversetzt und bearbeitet im Radio, am nächsten Tag in den Zeitungen und am Schluss in der Wochenschau. Der Film entlarvt also die inszenierten Dokumente des Dritten Reichs als Täuschung und lässt den Zuschauer grundsätzlich wachsamer gegenüber der Macht der Bilder und misstrauischer gegenüber Manipulationsstrategien werden. Es ist ein Film gegen Verführung.

Wir versuchen damit etwas Neues zu wagen, sowohl inhaltlich als auch formal. Der Film zeigt die Täter als Menschen, mit allen Attributen des Schlechten, nur die fiktionale Form lässt die Nähe zu den Charakteren und ihrer grundsätzlich verlogenen Verderbtheit zu. Die Perfidie der Propaganda wird so auch emotional erfahrbar gemacht und die wahre Bedrohung hergestellt, viel stärker als dies in einer dokumentarischen Form machbar ist. Die fiktionale Form ist auch deshalb unverzichtbar, weil die zeitgenössischen Dokumente inszeniert und mit der Absicht gemacht sind, den Zuschauer zu täuschen. Wenn wir die damaligen Verbrecher und ihre Strategien durchschauen, werden wir auch heutigen Menschenfängern die Maske vom Gesicht reißen können. Der Film weist über das Vergangene hinaus und macht deutlich, wie gefährdet unsere Zivilgesellschaft ist und wie rapide eine Barbarei entstehen kann. Die Welt gerät aus den Fugen, viele Länder laufen Gefahr, Führern und Verführern zu folgen, heutigen Demagogen, die mit allen Mitteln täuschen, Demokratien in Frage stellen und Menschenrechte außer Kraft setzen. Das Geschehene ist nicht tot, es ist auch nicht vergangen, es verfolgt uns, wenn wir beschließen, es zu ignorieren. Umso wichtiger ist unser Film. Ich möchte mit meiner Arbeit und meiner ganzen Kraft zum Wichtigsten einen Beitrag leisten: dass das Geschehene nie mehr geschieht.


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Info:
Deutschland / Slowakei 2023 Länge: 135 Min
Bildformat: 2.39:1
Ton: Dolby Digital 5.1

FSK: freigegeben ab 12 Jahren
FBW: Prädikat „besonders wertvoll“ Verleih: WILD BUNCH Germany Produktion: Zeitsprung Pictures, SWR

Stab:
Buch und Regie.   Joachim A. Lang

Besetzung

Joseph Goebbels.     Robert Stadlober
Adolf Hitler                  Fritz Karl 
Magda Goebbels        Franziska Weisz 
Werner Naumann        Dominik Maringer 
Karl Hanke                   Moritz Führmann 
Wolf-Heinrich von Helldorf.   Till Firit
Veith Harlan.                  Christoph Franken
Joachim Gottschalk.      Michael Glantschnig
Lida Baarova                   Katia Fellin
Hermann Göring.             Oliver Fleischer
Heinrich Himmler              Martin Bermoser 
Alfred Rosenberg.             Wolfram Rupperti
Joachim von Ribbentrop.   Emanuel Fellmer
Otto Dietrich                        Johannes Rhomberg
Albert Speer                       Peter Windhofer
Martin Bormann                 Sebastian Thiers
Fritz Hippler                     Sascha Goepel
Leni Riefenstahl               Helene Blechinger 
Eva Braun                        Raphaela Möst
Michael Gottschalk.         Damien Erminio Ballasina 
Meta Gottschalk          Franziska Lindenthaler 
Heinz Rühmann           Raphael Nicholas
Helmut Goebbels.        Samuel Fischer 
Junger Helmut Goebbels.  Ferdinand Tuppa 
Hans Fritzsche.      Tomheinz Breitenecker

Zeitzeugen
Margot Friedländer
Elly Gotz
Ernst Grube
Charlotte Knobloch
Eva Szepesi
Eva Umlauf
Leon Weintraub

Abdruck aus dem Presseheft