Bildschirmfoto 2024 08 01 um 08.40.21Bildschirmfoto 2024 08 01 um 08.40.35Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos seit Mittwoch 24. Juli 2024,  Teil 14

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es war für das gegenüber der verbrecherischen Nazi-Vergangenheit stumpfe Nachkriegswestdeutschland die erste öffentlich massiv wahrgenommene Wahrheit über Judenmord und Vergasungen von Menschen in Konzentrationslagern, die insbesondere für die Jugend von da an ihr Bild des Dritten Reiches bestimmte und nicht wenige für immer wach hielt, zum einen das menschenentwürdigende System des Nationalsozialismus zu erforschen und anzuprangern, zum anderen dafür zu sorgen, daß so etwas nie wieder passiert

Der erste Auschwitzprozeß dauerte vom 20. Dezember 1963 bis zum 19. August 1965 und wäre ohne das beharrliche und listige Vorgehen des damaligen Hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer nie zustandegekommen. Das haben mit langem Zeitabstand erst in den Zehner Jahren dieses Jahrhundert verschiedene Spielfilme zum Thema gemacht, weil die Art und Weise wie es Bauer gelang, gegen den gesammelten Widerstand bundesdeutscher Wirtschaftswunderkreise die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen anzufangen, ist bewundernswert, auch wenn die Urteile für uns heute lächerlich gering ausfielen, war doch das Entscheidende die Offenbarung, was in deutschem Namen von der nationalsozialistischem Diktatur verbrochen wurde. In diesem Kontext bringt nun DIE ERMITTLUNG gewissermaßen das Original. Denn der rechtzeitig nach Schweden emigrierte Peter Weiss schrieb wirkungsvoll parallel sein AUSCHWITZ-ORATORIUM, das mit Aplomb schon am 19. Oktober 1965 gleichzeitig an verschiedenen Bühnen Westdeutschlands und der DDR sowie in London uraufgeführt wurde.

Weiss hatte den Prozeß immer wieder in Frankfurt verfolgt und bringt mit seinem Dokumentartheater das Geschehen in der Tat auf den Punkt. Die Unmenschlichkeit von Menschen gegenüber anderen Menschen ist das Thema, das in gnadenloser Härte ausgesprochen, gerade durch die Frage und Antwortmethode der gerichtlichen Untersuchung unter die Haut geht. Tatsächlich ist es so, daß man tausend Male über Auschwitz und andere Verbrechen gelesen haben kann, seine Meinung dazu hat und dennoch gegenüber Worten, die ursprünglich auf der Bühne und nun in dieser Verfilmung ausgesprochen werden, erschüttert reagiert, so als ob man das alles das erste Mal hört. Allerdings ist es für die meisten auch das erste Mal, daß sie Ankläger und Fragesteller und Angeklagte und Antworten im Original hören. Gerade durch dies dokumentarische Theater, die Form, gelingt Weiss eine derartige Verdichtung und Konzentration des fast dreijährigen Prozesses, was diejenigen, die das Stück auf der Bühne sahen, nie wieder vergaßen, was dem vierstündige Film ebenfalls eindringlich gelingt.

Es wird nicht viele geben, die sich diese vier Stunden im Alltag zumuten, erst recht angesichts einer Welt, die derzeit politisch in Flammen steht. Aber es ist eine filmische Heldentat, daß Regisseur Rolf-Peter Kahl mit einer Riege hervorragender Schauspieler – höchste Zeit einmal darauf zu verweisen, welche richtig gute, ja hervorragende Schauspieler inzwischen auf Bühnen, Filmen und Fernsehen agieren – DIE ERMITTLUNG zum Film machte, der nun in der Welt ist und vielfach eingesetzt werden kann.

Als Peter Weiss sein Stück ein Oratorium nannte, konnte er an literarische und musikalische Vorgänger anknüpfen, die sachlich und moralisch einen Gegenstand ins Bewußtsein und in die Verantwortung der Hörer und Seher bringen. In elf Gesängen, die in den Vorartikeln, die Sie unbedingt lesen sollten, beschrieben sind, wird der Weg gezeigt, wie die Ankömmlinge in Auschwitz an der Rampe sortiert, die einen gleich für die Verbrennungsöfen, die anderen für Arbeit im Konzentrationslager, Station für Station entwürdigt, gefoltert, ermordet werden.

Szenisch wird dies durch vier Personengruppen visualisiert. Da gibt es die 18 Angeklagten – auch hier verdichtet, es waren im Prozeß mehr - , die sich durch ihre Antworten und Ausflüchte auf die Fragen von Ankläger und Richter demaskieren, wobei ihre Verteidiger dies auch tun. Die Verdichtung findet auch insofern statt, als die einzelnen Grausamkeiten nicht pauschal, sondern konkret von den Angeklagten geschildert werden, mal mit Emotion, mal ohne. Das geht einem durch und durch.
Ja, dies muß man sich zumuten.

Foto:
©Peter Weiss Haus

Info:

Mit
Rainer Bock, Clemens Schick, Bernhard Schütz, Arno Frisch, Thomas Dehler,
Sabine Timoteo, Christiane Paul, Nicolette Krebitz, Barbara Philipp,
Tom Wlaschiha, Karl Markovics, Wilfried Hochholdinger u.v.m.

Regie. RP Kahl
nach dem Theaterstück „Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen“ von Peter Weiss 





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