Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos am 5. September 2024, Teil 7
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Was fasziniert dich an der Figur Hazal?
Die Figur Hazal hat mich im Roman sehr gereizt. Was ich im Film adaptiert habe, ist ihre Kompromisslosigkeit. Sie weiß zwar nicht, was sie will, sie weiß aber, was sie nicht will. Sie hat eine große Wut und auf der anderen Seite repräsentiert sie aber auch eine Verletzlichkeit. Eine junge Frau, die selten gefragt wird, was sie will und was sie nicht will. Sie ist ambivalent und man kann sich wunderbar an ihr abarbeiten. Hazal ist ein 17-jähriges Mädchen, die unglaublich authentisch dargestellt wurde in diesem Roman. Das hatte ich in der Form über eine junge Frau mit Migrationsbezug noch nicht gesehen und das hat mich auch dazu bewegt, diesen Film zu machen.
Welche Bedeutung hat Hazals Wut für dich Und wie war dein Umgang damit?
Wut ist ein zweischneidiges Schwert. Bei Frauen oder bei jungen Mädchen wird Wut anders bewertet als bei Männern. Bei Männern kann man das oft als Ehrgeiz sehen, gerade im beruflichen Sinne. Bei Frauen wird das schnell als hysterisch bewertet, aber ich würde das gerne auch ummünzen auf eine Wut, die gerade bei jungen Frauen wichtig ist, um herauszufinden, was man will. Diese jungen Frauen in ELLBOGEN haben diese Wut. Sie spüren, irgendwas läuft schief, haben aber noch nicht das Vokabular, um sich die Türen zu öffnen. Und dadurch staut sich die Wut an und Hazal versucht einen Weg rauszufinden. Ich finde, dass Wut natürlich auch was Positives sein kann. Sie kann aber auch im falschen Moment zur falschen Zeit zu fatalen Folgen führen, wie es bei Hazal der Fall ist.
Die zentrale Frage, die sich aus der Figur Hazal ergibt ist vielleicht: Wie wollen wir in der Gesellschaft miteinander umgehen und wie gehen wir mit Jugendlichen um, die aus der Mitte unserer Gesellschaft künstlich an den Rand gedrängt werden? Das ist etwas, was mich beim Lesen im Roman so berührt hat, aber auch, dass die Figur so präzise und klug ist und ihr trotzdem niemand die Tür aufmacht, ihr eine Chance gibt oder sie fragt: „Was möchtest du vom Leben?“
Wie viel von dir steckt in der Figur Hazal?
Die Figur Hazal und ich haben nicht so viel gemein. Was ich spannend finde, sind die Emotionen, die ich auch als junge Frau durchlebt habe, sich einerseits als Teil der Gesellschaft zu fühlen, aber trotzdem immer wieder künstlich rausgedrängt zu werden. Das Gefühl zu haben, das kannst du nicht oder das schaffst du nicht.
Es gibt sehr viele Menschen, die keinen deutschen Namen haben, die all diese Erfahrungen in Deutschland gemacht haben und das ist heutzutage teilweise immer noch so. Ich habe Workshops gegeben an Schulen und war sehr erschüttert darüber, dass bestimmte Erfahrungswerte heute immer noch existieren, aber wiederum auch eine ganz tolle Generation an neuen Lehrkräften kommen, die eben exakt das Gegenteil machen, um diesen jungen Menschen nicht dieses Gefühl geben.
Wie nah Ist der Film an der literarischen Vorlage?
Eine literarische Vorlage in einem Film zu verarbeiten ist sehr aufwendig, aber auch sehr spannend. Auf der einen Seite ist das Buch reich an fesselnden Ideen, Themen und Figuren. Auf der anderen Seite die Frage: Wie kann man das in den Film übertragen, wenn man eine begrenzte Zeit hat? Wir haben uns entschieden zu fragen: Was ist der Drive dieses Romans? Gibt es eine bestimmte Emotion oder ein bestimmtes Gefühl, was man beim Lesen hat? Es ist diese Schnelligkeit und das Rastlose bei Hazal, was wir dann auf den Film übertragen haben. Außerdem haben wir uns auf bestimmte Themen geeinigt, um in die Tiefe gehen zu können und uns entschieden, komplett bei Hazals Perspektive zu bleiben. Der Roman ist komplett aus ihrem Innerem heraus erzählt. Wir sind im Kopf von Hazal. Das mussten wir in Bilder übersetzen, weil wir keinen Off Text in unserem Film hatten, aber trotzdem nah an der Figur bleiben wollten, um einerseits ihre Wut, aber auch ihre Verletzlichkeit zu erzählen. An diesem Balanceakt haben wir sehr lange gefeilt und gearbeitet.
Fatma Aydemir mag den Film sehr. Sie meinte, sie sieht, dass es ein eigenes künstlerisches Werk ist, aber trotzdem spürt sie den Kern des Buches. Das war für mich ein sehr schönes Kompliment.
Wieso habt ihr euch für die Besetzung durch eine Laiendarstellerin entschieden?
Mir war es wichtig, die Figur mit einer Laiendarstellerin zu besetzen, um den rauen Ton des Romans in den Film zu übertragen. Sie wächst während des Drehs an sich, macht Erfahrungen, verändert sich und überträgt das auf die Leinwand, genau wie Hazal selbst. Außerdem war mir Sprache unglaublich wichtig und ich wollte, dass es eine Berlinerin ist, die den Berliner Slang authentisch rüberbringt. Ich bin selbst so groß geworden und habe ein sehr sensibles Gehör dafür. Gerade bei Filmen über Jugendliche, merke ich schnell, wenn das aufgesetzt ist. Die Sprache ist oft schon fast künstlich und das wollte ich vermeiden.
Wie hat sich dein Dokumentarfilmhintergrund auf die Arbeit an diesem Film ausgewirkt?
Was ich vom Dokumentarfilm gelernt habe, ist den Figuren zu vertrauen und mich von ihnen leiten zu lassen. Auf der einen Seite weiß ich, was ich von den Figuren will. Das ist wichtig. Auf der anderen Seite interessiert mich, auch auf der Suche zu sein. So habe ich auch bei ELLBOGEN gearbeitet. Es ist wichtig, bei der Kameraarbeit darauf zu achten, dass Inhalt und Bildsprache zueinander passen und in diesem Fall hat es gepasst, eine dokumentarische Kamera zu haben, die Hazal auf Schritt und Tritt folgt.
Welche Rolle spielt dein kurdischer Hintergrund für den Film?
Das Thema kurdisch sein spielt im Roman eine große Rolle, ab dem Moment, wo Hazal in der Türkei ist. Ich fand dieses Thema sehr spannend, weil mein letzter Film auch das Problem von Kurd*innen in der Türkei behandelt. Das war für mich eine schöne Parallele. Ich habe mich gefragt: „Was hat das mit der Figur zu tun?“ Hazal lernt, dass Kurd*innen in der Türkei eine Minderheit darstellen und sie ebenfalls kämpfen müssen und dass es eben überall auf der Welt diese Geschichten gibt, in der Menschen ihren Platz suchen in der Gesellschaft. Das war für mich wichtig als Thema und deswegen hat das auch seinen Platz im Film gefunden.