Bildschirmfoto 2024 09 15 um 08.17.19Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. September 2024, Teil 7

Redaktion

Warschau (Weltexpresso) - Warum wollten Sie Władysław Reymonts Roman verfilmen, der ja außerhalb Polens nicht so bekannt ist?

HW: Während wir an LOVING VINCENT arbeiteten, versuchte DK, mein Wissen über die polnische Kultur zu erweitern. Sie kaufte mir viele berühmte Bücher, darunter „Die Bauern“. Es war das längste von allen und ich hatte viel zu tun, also schob ich das Lesen immer wieder auf. Als ich nach den Oscars endlich Urlaub machte, dachte ich: ‚Wenn ich es jetzt nicht lese, werde ich es nie tun‘. Ich las es von Anfang bis Ende – viermal, da es die Übersetzung von 1924 in vier Teilen war. Sofort wusste ich, dass es ein Meisterwerk war, ähnlich wie die Werke von Charles Dickens, Thomas Hardy oder Émile Zola. Bauern waren über tausend Jahre lang das Rückgrat der Gesellschaft in Europa. Ich fühlte mich berufen, dieses großartige Werk einem Publikum außerhalb Polens näherzubringen. Deshalb haben wir auch eine neue englische Übersetzung mit Penguin Classics organisiert, in der Hoffnung, dass mehr Leute den Roman lesen werden.

DKW: Ich hörte das Hörbuch, während ich eine Szene für LOVING VINCENT malte. Ich war von Reymonts Beschreibungen des Dorfes, der Jahreszeiten und der Natur, die die Bauern umgibt, beeindruckt. Die Figuren fand ich auch fesselnd und lustig, viel mehr als damals, als ich es als 17-Jährige zu lesen versuchte. Es ist ein Buch, das Geduld und Lebenserfahrung erfordert.


Sie konzentrieren sich bei dem Drehbuch sehr auf Jagna. Es fühlt sich an, als würden Sie ihr endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen.

DKW: Das war der wichtigste Grund, diese Geschichte zu erzählen. Es ist ein großartiger Roman mit atemberaubenden Beschreibungen, aber was mich wirklich dazu brachte, ihn zu adaptieren, war Jagna. Als Frau wurde ich in meinem Leben oft unfair behandelt und fühlte mich mit Jagna sehr verbunden. Zuerst wird sie beneidet und missverstanden, dann schlecht behandelt und bloßgestellt und schließlich vertriebent: weil sie hübsch ist, weil sie träumerisch und künstlerisch ist, weil sie leidenschaftlich ist und vor allem, weil sie das Patriarchat in Frage stellt, das auch von der Kirche unterstützt wird. Es war, als ob sie mich rief. Dieser Film ist meine Antwort auf diesen Ruf.

Ihr Blick auf ihre Geschichte ist viel ermächtigender als der des Romans von Reymont. War das von Anfang an Ihr Ziel?

HW: Im Buch bekommt man das Gefühl, dass sie mehr will, als das Dorfleben ihr bieten kann. Wir wollten das zeigen und auch, wie das Leben der meisten Frauen vom Patriarchat bestimmt wird. Jagna ist die in Erinnerung bleibende Figur des Romans, aber es ist eine Geschichte der gesamten Gemeinschaft. Wir wollten wirklich ihren Wunsch nach Selbstausdruck zeigen.

Sie kümmert sich nicht um materielle Dinge, im Ge- gensatz zu allen anderen um sie herum, die von Land und Besitz besessen sind. Ihr Liebhaber Antek ist fü- rchterlich. Er ist abscheulich zu seiner Frau und stellt seinen Stolz über die Bedürfnisse seiner eigenen Kin- der, aber am Ende des Tages versteht und akzeptiert die Gemeinschaft ihn. Aber Jagna? Sie passt einfach nicht hinein.

Können Sie etwas über Ihre visuellen Inspirationen erzählen? Und die Idee, einige direkte künstlerische Referenzen in die Geschichte einzubeziehen?

DKW: Dass Reymont ein Autor der Jungen Polen war, gab uns die Gelegenheit, seine Prosa mit den Werken der Maler dieser Epoche zu verbinden. Die Bewegung der Jungen Polen umfasst viele Kunstformen und Stile, aber im Kern geht es darum, die polnische Identität und Kultur zu feiern und Polen als stark und lebendig zu zeigen, obwohl es zu dieser Zeit von fremden Mächten besetzt war. Wir griffen auf die Werke polnischer Ölmaler aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zurück und kombinierten das mit Film- und Animationstechniken des 21. Jahrhunderts. Wir beziehen uns auf die Werke von über 30 Malern, von Michał Gorstkin-Wywiórski bis Ferdynand Ruszczyc, aber vor allem zitieren wir Józef Chełmonski aus der realistischen Schule. In seinen späteren Werken, als er wieder in Polen war, war die polnische Landschaft voller Pathos und Schönheit, was perfekt zu dem passte, was wir visuell erreichen wollten. Der Look, den ich für den Film mit Piotr Dominak, der auch schon bei LOVING VINCENT dabei war, geschaffen habe, basierte auf unserer eigenen Kunsterziehung. Wir sind mit diesen Gemälden aufgewachsen, wir sind immer noch voller Leidenschaft für sie und dieser Film gibt uns die Chance, diese Leidenschaft mit dem Publikum in Polen und der ganzen Welt zu teilen.

HW: Reymont war als ein Schriftsteller der Jungen Polen bekannt, aber in seinen Beschreibungen gibt es einen Hauch von magischem Realismus. Sie sind so poetisch. Wir hatten das Gefühl, dass es etwas Harmonisches hatte, all diese Maler heranzuziehen, um seine Vision zum Leben zu erwecken. Das ist etwas, das ein Realfilm einfach nicht leisten könnte. Man könnte nicht die gleichen Emotionen erzeugen.

Über die Regisseure

HUGH WELCHMAN

Co-Autor und Regisseur von LOVING VINCENT. Der Film spielte an den internationalen Kinokassen 43 Mil- lionen US-Dollar ein und wurde für mehrere BAFTAs, Golden Globes und für einen Oscar® nominiert. Zuvor gewann Hugh einen Oscar® für den Besten animierten Kurzfilm mit PETER UND DER WOLF von BreakThru Film (Produktion).

Filmografie:

2017 LOVINGVINCENT


DK WELCHMAN

Die Absolventin der Akademie der Schönen Künste in Warschau wurde bereits vier Mal mit dem Stipendium des Kulturministers für besondere Leistungen in Male- rei und Grafik ausgezeichnet. Nach ihrem Abschluss drehte DK fünf Kurzfilme, bevor sie gemeinsam mit Hugh Welchman ihren ersten Spielfilm, den Os- car®-nominierten LOVING VINCENT, realisierte.

Filmografie:

2017 LOVING VINCENT
2006 ́Swiadek Czasu (Dokumentarfilm)

SYNOPSIS

Polen im späten 19. Jahrhundert. Die junge Jagna lebt in einem Dorf, das geprägt ist von Klatsch und Tratsch, vom Wandel der Jahreszeiten, von bunten Traditionen – und von einem tief verwurzelten Patriarchat. Jagna wird dem mächtigsten Bauern im Dorf versprochen, doch eigentlich liebt sie dessen Sohn, den rebellischen Antek. Als sie zum Spielball der Männer wird, lehnt sich Jagna auf und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand.

Nach dem Publikumserfolg LOVING VINCENT er- schafft das Regie-Duo DK und Hugh Welchman mithilfe von über 100 Künstler:innen erneut ein visuell berauschendes Meisterwerk aus unzähligen handge- malten Ölbildern. Basierend auf dem mit dem Litera- turnobelpreis ausgezeichneten Roman „Die Bauern“ von Władysław Reymont erzählen sie entlang der Jahreszeiten die Geschichte einer jungen Frau, die nicht bereit ist, sich einem ungerechten System zu fügen.



Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie.   DK Welchman, Hugh Welchman
Drehbuch.   DK Welchman, Hugh Welchman
basierend auf dem Roman „Die Bauern“ („Chlopi“) von Władysław Reymont

Besetzung
Jagna Paczesiówna. Kamila Urze ̧dowska 
Antek Boryna. Robert Gulaczyk 
Maciej Boryna.  Mirosław Baka 
Hanka Borynowa.  Sonia Mietielica 
Jagustynka. Dorota Stalinska 
Marcjanna Paczes „Dominikowa” Ewa Kasprzyk 
Michal, der Schmied    Cezary Łukaszewicz 
Mateusz.  Mateusz Rusin

Abdruck aus dem Presseheft