Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. September 2024, Teil 5
Hanswerner Kruse
Berlin / Los Angeles (Weltexpresso) - „Jugend, die mir täglich schwindet...“ - wie aktuell sind doch diese 180 Jahre alten Zeilen Heinrich Heines. Wer würde diesen Prozess des Alterns nicht gerne aufhalten?
Die Diva Liz Sparkle, im Film dargestellt von Demi Moore, ist wahrlich kein junges Mädchen mehr. Aber mit ihren 50 Jahren ist sie immer noch eine topfitte und äußerst attraktive Frau. Doch der verschlagene Programmdirektor Harvey (Dennis Quaid), der aussieht wie Dieter Bohlen, will ihre erfolgreiche Aerobic-TV-Show absetzen und sie loswerden. Dem alten Knacker ist Liz zu alt, hinter ihrem Rücken bereitet er heimlich das Casting für eine Nachfolgerin vor. Als Sparkle zufällig von der Intrige erfährt, verursacht sie anschließend vor Wut einen heftigen Autounfall. Später bekommt sie in der Klinik einen Zettel zugesteckt, er erhält ein attraktives Angebot...
Mit Hilfe einer geheimnisvoll Substance bekommt sie die Chance, eine Woche lang äußerst jung, dünn und schön zu sein, in der jeweils folgenden Woche müsste sie dagegen ihr altes Ich leben und altern. Natürlich nimmt sie an und nimmt die Substance. Nackt liegt Liz regungslos in ihrem Badezimmer, dramatisch kommt aus ihrem aufreißenden Rücken die nackte junge Sue (Margaret Qualley) herausgekrochen und näht später ihr altes Ego zu. Schnell gewinnt sie die Casting-Show des Senders und wird ihre eigene Nachfolgerin.
Im Folgenden geht es nicht um die Substance und die anonymen Mächte die dahinterstecken, sondern ausschließlich um die Folgen dieses eigenwilligen Tauschs. Immer wieder heißt es: „Ihr seid eine Einheit“, aber Sue wird mit der Wechselei immer unzufriedener. Sie mogelt herum, schindet längere Verwandlungszeiten heraus, doch dadurch altert Liz immer schneller und heftiger. Irgendwann wird sie zum riesigen Monster, wie Dorian Gray in der Erzählung von Oscar Wilde. Und am Ende des Films spritzt das Blut aus ihr wie aus Feuerwehrschläuchen...
So wird auch der Filme, der zunächst im schönen, perfekten Barbieland beginnt, zum krassen Monsaterfilm, genauer zum Genrefilm Body-Horror. Doch der Streifen ist kein Selbstzweck der Regisseurin Coralie Fargeat, für den sie beim letzten Filmfestival in Cannes mit einer Silbernen Palme (Bestes Drehbuch) ausgezeichnet wurde. Fantastisch ist auch die schauspielerische Leistung der beim Dreh fast 60-jährigen Demi Moore, die sich mutig nicht nur im wörtlichen Sinne nackt macht.
Denn Filmemacherin Fargeat ist wütend über die Ausgrenzung älter werdenden Frauen im öffentlichen Leben und will dagegen bewusst eine böse, sarkastische Satire setzen:
„Deshalb komme ich heute mit dieser Geschichte zu Ihnen“, schreibt sie. „Es geht darum, mit der Zerstörung von Frauenkörpern zu spielen, um sich von den Zwängen zu befreien, die Frauen so lange eingeengt haben. Uns wurde so lange gesagt, wir sollten uns kontrollieren und zurückhalten. Lasst uns das genaue Gegenteil tun. Körper werden hier tyrannisiert, verspottet, zerstört, genauso wie ich wirklich glaube, dass die Gesellschaft Frauen mit all den Regeln zerstört, die wir stillschweigend befolgen sollen. Dieser Film ist verdammt blutig.
Und er ist gleichzeitig verdammt lustig. Denn ich kenne keine stärkere Waffe als Satire, um der Welt die Absurdität ihrer eigenen Regeln zu zeigen.“
(vergl. das vollständige Statement von Coralie Fargeat in Teil 2)
Wie die zitierten Heine und Wilde oben bereits deutlich machten, bewegt sich der Film in der Tradition der menschlichen Selbstverbesserung. Auch Dr. Frankenstein wollte nur das Beste für die Menschheit erreichen und richtete riesiges Unheil an. So hat „The Substance“ durch die kritische Ironisierung der Selbstoptimierung auch noch eine - man möchte sagen: faustische - Dimension jenseits der feministischen Perspektive.
Ein äußerst sehenswerter Film, der bei MUBI herauskommt und im Kino leider nur in exklusiven Previews in Berlin, Hamburg, München, Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt und Köln zu sehen sein wird.
Foto:
©MUBI
Info:
„The Substance“, USA, GB, F 2024, 141 Minuten, FSK ab 16 Jahren, Filmstart bei MUBI ab 19. September 2024, Regie Coralie Fargeat mit Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid u.a.