Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos am 19. September 2024, Teil 1
Redaktion
London (Weltexpresso) - Die 1907 in Poughkeepsie, New York, geborene Elizabeth „Lee“ Miller war, wie Kate Winslet sie beschreibt, „eine unaufhaltsame Naturgewalt mit einer ungeheuren Lebenslust“. Sie wurde vom Verlag Condé Nast entdeckt und machte zunächst Karriere als Fotomodell. Sie arbeitete für viele Publikationen, darunter auch die Vogue, bevor sie es schnell leid war, durch den männlichen Blick betrachtet und vor der Linse positioniert zu werden. Also wechselte sie die Laufbahn und zog nach Paris, wo sie bei dem bekannten Fotokünstler Man Ray surrealistische Fotografie studierte.
Es war Lee Miller, die die Technik der Solarisation entdeckte (die lange Zeit Man Ray zugeschrieben wurde). Bald gründete sie ihr eigenes Studio und begann erfolgreich als Fotografin zu arbeiten. Einige Jahre später änderte die Bekanntschaft mit dem Engländer und Kunsthändler Roland Penrose ihre Laufbahn erneut. Roland und Lee verliebten sich unsterblich ineinander. Dafür ließ sie ihr früheres Leben hinter sich und zog mit ihm nach London. Das war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Lee Miller, eine Frau mittleren Alters in einer Männerwelt, weigerte sich, still zu sitzen und pflichtbewusst ihren Beitrag zu leisten, wie es von allen Frauen in England während des Krieges erwartet wurde. Stattdessen beschloss sie, das Patriarchat herauszufordern und überwand enorme Hindernisse, bevor sie schließlich allein an die Front in Europa reiste, um für die Leserinnen der britischen Vogue den Krieg zu fotografieren und darüber zu berichten.
Ihr natürliches Verständnis für Frauen und die Not der stummen Opfer von Krieg und Vertreibung, kombiniert mit ihrer Fähigkeit, Zerbrechlichkeit und Grausamkeit in gleichem Maße fotografisch einzufangen, kennzeichnet ihre außergewöhnlichen Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg und andere Arbeiten – und verschaffte ihr zu Recht einen Platz in der Geschichte als eine der bedeutendsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts.
Der Auslöser für Kate Winslet, den Film zu machen, entstand aus einem zufälligen Moment heraus, als sie ein Relikt aus Lee Millers Vergangenheit erstand: „Vor neun Jahren rief mich ein wirklich guter Freund an, der in Cornwall lebt und für ein Auktionshaus arbeitet. Er sagte: ‚Kate, in einer bevorstehenden Auktion wird ein erstaunlicher Tisch versteigert, den musst du unbedingt erwerben. Die Geschichte dahinter ist unglaublich! Da mein Freund wusste, dass ich gerne koche und große Abendessen ausrichte und alte Tische liebe, wusste er, dass dies meine Neugier wecken würde. Schließlich habe ich ihn gekauft. Er ist wunderschön. Er ist alt und knorrig, mit einer rauen, unebenen Oberfläche. Er bietet Platz für etwa acht Personen!“ Der Geschichte nach gehörte der Tisch Annie Penrose, der Schwägerin von Roland Penrose, dem späteren Ehemann von Lee Miller. Der Tisch war das Herzstück in der Küche des Hauses, in dem Lee Miller viele glückliche Sommer in Cornwall verbrachte, mit Künstlern wie Roland, Max Ernst, Noel Coward und Paul Éluard, um nur einige zu nennen.
Während dieser hedonistischen Sommer der Liebe bereiteten die Künstler an diesem Tisch Mahlzeiten zu, aßen, diskutierten und schufen Ideen. Der Erwerb dieses Tisches brachte Winslet auf ihre eigene spätere kreative Reise. Je mehr Kate Winslet über Lee Miller herausfand, umso brennender erschien die Frage: „Warum hat noch niemand einen Film über sie gedreht?“ Winslet war entschlossen, mehr herauszufinden. Sie wandte sich an Antony Penrose, den Sohn von Lee Miller und Roland Penrose. Er sagte ihr: „Viele Männer haben versucht, einen Film über Lee zu drehen. Wir haben eine ganze Kiste mit Drehbüchern auf dem Dachboden, die nie umgesetzt wurden.“
Auf die Frage von Winslet, warum das so sei, antwortete Antony: „Sie haben sie einfach nicht richtig verstanden.“ Winslet erkannte schnell, dass die echte Lee Miller vielleicht in keinem der historischen Bücher, die über sie geschrieben wurden, zu finden war. Es stellte sich heraus, dass sie Recht behielt. In den folgenden Jahren arbeitete Winslet sehr eng mit Antony Penrose zusammen und begann einen langwierigen kreativen Prozess, um einen Zugang zu Millers außergewöhnlichem Leben zu finden. Ausgehend von Antonys Buch „Immer lieber woandershin – Die Leben der Lee Miller“ (Originaltitel: „The Lives of Lee Miller“) machte sich Winslet daran, die tieferliegenden Seiten der Fotokünstlerin zu verstehen. Sie erhielt uneingeschränkten Zugang zu den Archiven von Lee Miller und entdeckte die Komplexität dieser brillanten, warmherzigen, charismatischen und mutigen Frau. Dabei ging sie bis in ihre Kindheit zurück, die geprägt wurde von ihrer Fähigkeit, das Leben in vollen Zügen zu genießen.
Winslet, die oft als Vorbild und Muse gesehen wird, erkannte schnell, dass die öffentliche Person Lee Miller in starkem Gegensatz zur Realität dieser entschlossenen, kraftvollen und doch fehlerhaften Frau mittleren Alters stand, die den Mut hatte, Risiken einzugehen und sich ganz allein an die Front begab.
Die Struktur des Drehbuchs war die größte Herausforderung. „Lee lebte viele Leben, und die Entscheidung für den wichtigsten Abschnitt ihres Lebens war nicht so leicht“, sagt Winslet, „wir haben uns immer wieder gesagt, dass wir nicht in die Falle eines Biopics tappen dürfen. An dieser Erzählstruktur waren wir nicht interessiert. Außerdem wäre es unmöglich gewesen, die Geschichte von Lee Miller von der Wiege bis zur Bahre in einem Spielfilm zu erzählen, weil sie sich im Laufe ihres Lebens so oft neu erfand.“
Der Film ist klugerweise kein Biopic, bestätigt Penrose: „Es wurden die markantesten Momente aus Lees Leben ausgewählt, die ihre Persönlichkeit genau wiedergeben.“ Die Produzentin Kate Solomon ergänzt: „Es geht nicht um die Dramatik von Lees Leben, sondern vielmehr um ihr Inneres, wie sie sich fühlte und was sie animierte. Es ist eine Geschichte über eine Frau, ein menschliches Wesen mit Herz und Seele, und darüber, wie die Schrecken des Krieges sie beeinflusst haben.“
Für Winslet war der Fokus des Drehbuchs auf ein bestimmtes Jahrzehnt in Millers Leben eine Möglichkeit, „all die vorgefertigten Meinungen über Lee Miller als Modell und Gegenstand der Blicke vieler männlicher Künstler loszuwerden.“ Wir wollten die Wahrheit darüber erzählen, wer Lee war und zu wem sie durch ihre Erfahrungen als Kriegsfotografin wurde. Das begann sich zu entfalten, als wir uns auf ihre Jahre als Fotografin konzentrierten, in denen sie für die britische Vogue arbeitete und während des Zweiten Weltkriegs als Kriegsberichterstatterin an die Front ging. Da spürten wir, dass dies das spezifische Jahrzehnt ihres Lebens war, auf das wir uns konzentrieren wollten.“
Solomon erklärt: „Wir wollten den Lebensabschnitt finden, der den Kern dessen beschreibt, worum es ihr ging. Für Lee sind es die zehn Jahre, die sie von den sonnigen Vorkriegstagen in Südfrankreich, wo sie Zeit mit ihren Künstlerfreunden verbrachte, bis ins Herz der Dunkelheit von Dachau führen.“ Die Herausforderung bestand darin, einen Weg zu finden, wie man zwischen all diesen verschiedenen Momenten ihres Lebens hin- und herwechseln könnte, so dass das Publikum mit Lees innerer emotionaler Reise als Frau in einer Männerwelt verbunden bleibt, während sie die Schrecken des Krieges vor ihren Augen erlebt. Durch einen jungen Mann, gespielt von Josh O'Connor, der eine viel ältere Lee Miller (ebenfalls gespielt von Kate Winslet) über ihr jüngeres Leben interviewt, konnte das Team die Erzählung im Drehbuch formen und sie an einem Ort der Reflexion und emotionalen Resonanz verankern.
Penrose erklärt: „Lee in den späteren Phasen ihres Lebens zu beobachten, wie sie zu den Fotos aus ihrer Vergangenheit befragt wird, lässt uns in ihre innere Gefühlswelt eintauchen und erlaubt uns, mit ihr mitzugehen, während der junge Journalist ihre Vergangenheit entdeckt. Auf diese Weise konnten wir uns sehr genau von einem Ereignis in ihrem Leben zum nächsten bewegen.“ Winslet stimmt zu: „Mit diesem Element fühlte es sich an, als hätten wir eine funktionierende Struktur für einen wahrheitsgetreuen Film gefunden.“ Zu erkennen, was Lee Miller antrieb, macht deutlich, was für eine unaufhaltsame Frau sie war und wie relevant ihre Geschichte heute ist: „Sie war eine Lebenskraft, mit der man rechnen musste, so viel mehr als nur das Objekt der Aufmerksamkeit berühmter Männer, mit denen sie verbunden war. Diese Frau war Fotografin, Schriftstellerin und Reporterin. Sie tat alles mit Liebe, Lust und Mut. Sie ist eine Inspiration dafür, was man erreichen kann, was man ertragen kann und was man tun kann, wenn man sich traut, das Leben fest in die Hand zu nehmen und es mit Vollgas zu leben.“
In der Vorbereitungsphase befasste sich Kate Winslet auch intensiv mit ihrer Rolle: „Lee Miller war eine Wahrheitssuchende und eine Wahrheitsverkünderin. Das war es, was sie antrieb und der Grund, warum sie die Wahrheit über die Gräueltaten des Nazi-Regimes aufdecken wollte. Sie war eine Frau, die sich selbst treu geblieben ist, auch wenn das manchmal einen enormen emotionalen und persönlichen Preis hatte. Sie hielt den vielen grausamen Gesichtern des Bösen einen Spiegel vor und war dabei ein selbstloser, trotziger Beobachter. Es waren diese Qualitäten, die Winslet an der Rolle reizten und sie dazu brachten, diese Geschichte zu erzählen. Sie erklärt weiter: „Ich bin einfach so angetan von ihr. Wie sie lebte. Wie sie sich nicht darum kümmerte, was die Leute von ihr dachten, oder über ihre Entscheidungen und Meinungen. Wie sie frei mit ihrer Zuneigung umging, ihre Fähigkeit, sich mit anderen Frauen zu verbinden und die Wahrheit zu enthüllen. Die Wahrheit zu sagen und andere Menschen zu ermutigen, genau das zu tun! Das ist alles, wofür ich auch lebe, und Lee Miller hat das schon Jahre vor mir getan, und zwar viel besser als alle anderen und sicherlich besser als ich. Jemanden zu spielen, den ich wirklich bewundere, verehre, zzu dem ich aufschaue und der ich auch nur ein kleines bisschen sein möchte, ist ein großes Privileg.“
In der Vorbereitungsphase verbrachte Penrose viel Zeit mit Winslet und stellte fest, dass es viele Ähnlichkeiten zwischen ihr und seiner verstorbenen Mutter gab. Die Parallelen zwischen den beiden Frauen gingen weit über die Ästhetik hinaus, wie er erklärt: „Im Gespräch waren es oft kleine Dinge, die Kate sagte, die dem, was Lee gesagt hätte, erschreckend ähnlich waren. Kate hat eine immersive Qualität, die auch bei Lee sehr präsent war. Wenn meine Mutter herausfinden wollte, wie man in ein verschlossenes Gebäude einbricht, tat sie es. Oder, wenn sie herausfinden wollte, wie man ein neues Gericht kocht, ging sie bis ins kleinste Detail, um es zu lernen. Am Ende wusste sie so viel wie jeder Meisterkoch. Das ist genau diese Einstellung, die auch Kate gegenüber Lee und diesem Film hat. Es wurde kein Stein auf dem anderen gelassen. Und wenn sie alle umgedreht hatte, ging sie los, um noch mehr zu finden!“ Lee Miller lebte so viele Leben und erfand sich immer wieder neu, in dem Wunsch, frei von Stereotypen zu sein, mehr zu wissen, mehr zu lernen und mehr zu sein. Sie war eine führende Frauenpersönlichkeit und sagte den bekannten Satz: „Ich würde lieber ein Foto machen, als eines zu sein.“ Sie war eine unglaubliche Frau. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Kate Winslet ihre Geschichte erzählen und diejenige sein wollte, die ihre außergewöhnlichen Leistungen und ihre überwältigende emotionale Reise ans Licht bringt.
Foto:
©Verleih
Info:
BESETZUNG
Lee Miller Kate Winslet
David E. Sherman Andy Samberg
Roland Penrose Alexander Skargård
Solange D’Ayen Marion Cotillard
Journalist Josh O’Connor
Audrey Withers Andrea Riseborough
Nusch Éluard Noémie Merlant
STAB
Regie Ellen Kuras
Drehbuch Liz Hannah
Marion Hume
John Collee
Abdruck aus dem Presseheft