Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Oktober 2024, Teil 4
Christel Schmidt
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das kann nicht gutgehen! Dieser Gedanke, drängt sich gleich zu Beginn dieses ungewöhnlichen und aufwühlenden Films auf. Memory ist von Anfang an verstörend, rätselhaft.
Schon die ersten Bilder wirken in ihrer Intensität fast dokumentarisch. Eine Gruppensitzung der Anonymen Alkoholiker. Alles verletzte, verwundete Seelen. Und eine davon ist Jessica Chastain. Eine der schönsten Frauen Hollywoods. In dieser Rolle ist sie fast ungeschminkt, verletzlich, schmerzensreich. Sylvia, so heißt sie, hat sich in ihrem Leben eingerichtet. Ihr Inneres ist so gut verschlossen wie die vielfach gesicherte Wohnungstür. Eine alleinerziehende Mutter, die ihre pubertierende Tochter mit Liebe, Sorge und Strenge erzieht, und in einer sozialen Einrichtung liebevoll die PatientInnen mit psychischen Erkrankungen betreut. Eine Frau, für die Routine und Struktur lebenswichtig sind. Eine Rüstung, um sich für den Alltag zu wappnen. Da ist keine Leichtigkeit. Über allem schwebt eine Art düsteres Geheimnis.
Und dann kommt es zur ersten von vielen Überraschungen in diesem sehr wendungsreichen Film. Sylvia begegnet einem Mann auf eine absolut ungewöhnliche Weise. Läuft er ihr nach, oder läuft er ihr zu? Es wirkt mysteriös und fast bedrohlich, aber dann versteht Sylvia, verstehen wir, dass dieser Mann, der sich zu ihr hingezogen fühlt, an einer früh einsetzenden Form von Demenz leidet. Für seine Rolle wurde Peter Sarsgaard 2023 als Best Actor in Venedig ausgezeichnet. Es ist hinreißend, wie er als Saul manchmal kindlich liebenswert und unschuldig, manchmal hilflos verwirrt, aber immer rührend menschlich und sympathisch, Sylvias Nähe sucht.
Saul lebt in einem gepflegtem townhouse in New York, und wird von seinem Neffen betreut. Der möchte Sylvia als Unterstützung, denn es ist ganz offensichtlich, dass Saul in ihrer Nähe auflebt. Und auch Sylvia beginnt langsam Vertrauen zu Saul zu fassen. Beide sind heilsam füreinander. Dadurch kann auch Sylvia sich ihren Traumata stellen. In der Auseinandersetzung mit ihrer Mutter, die an einer grausamen Lebenslüge festhält, gibt es Szenen, die in ihrer Intensität und Schonungslosigkeit kaum auszuhalten sind. Und die gleichzeitig zutiefst menschlich und berührend sind. In dieser Tiefe findet der Regisseur eine meisterhafte Balance.
Eine Frau und ein Mann in New York. Wieviele Geschichten wurden davon schon im Kino erzählt. Aber diese ist eine der ungewöhnlichsten. Eine Frau, die ihre traumatischen Kindheitserlebnisse nicht vergessen kann, und ein Mann, der sich immer weniger erinnern kann. Kann das gutgehen?
Diese Frage schwebt lange über der Geschichte, erfährt immer neue Wendungen, und zum Schluss fast so etwas wie Hoffnung. Kann das wirklich gutgehen? Man wünscht es diesen beiden sehr! ‚Memory‘ ist auf jeden Fall ein Film, den man nicht vergessen wird.
Foto:
©Verleih
Info:
Regie und Drehbuch Michel Franco
Darsteller Jessica Chastain, Peter Sarsgaard, Merrit Wever, Jessica Harper
Verleih Filmladen
Kinostart 3. Okt. 2024
Länge 99 Minuten