craSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Okober 2024, Teil 15

Joachim A. Lang

Stuttgart (Weltexpresso) - Er starb viel zu früh, am 26. Juni 1973 irgendwo über dem großen Ozean zwischen Amerika und Europa auf dem Rückflug von einem Gastspiel seiner Compagnie in New York. Viele seiner Kinder, wie er seine Tänzerinnen und Tänzer nannte, waren mit an Bord. Er war einer der größten Choreographen der Weltgeschichte, ein Künstler, der wie kein anderer, Bilder und Szenen für die großen Themen der Menschheit schuf: das Leben, das Lieben und das Sterben. Sein Name steht für einen Erfolg, den man überall auf der Welt als das „Stuttgarter Ballettwunder“, als historisches Ereignis der Kunst, feiert: John Cranko.


Er wurde zur Legende, so wie auch andere zu früh verstorbene Genies – Mozart, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Kurt Cobain oder Amy Winehouse. Sie alle haben ihr Leben wie im Zeitraffer gelebt, schufen etwas völlig Neues und revolutionierten ihre Kunst, aber waren abseits der Bühne oft unglücklich. Man könnte meinen, sie hätten ihr Leben als Film inszeniert.

John Cranko war der Popstar des Balletts und der Kunstszene. Die Geschichten über ihn sind alle ähnlich: Unkonventionelles Leben, extravagantes Outfit, offen schwul, die Kantine war sein Büro, er trank fast immer zu viel, besonders in einer griechischen Kneipe, begleitet von wunderschönen Tänzerinnen und Tänzern, er mischte sich unters Volk wie kaum ein anderer Künstler. Im Juni 1969 wurde sein Stuttgarter Ballett, eine Gruppe aus ‚Leftovers‘, wie er sie selbstironisch nannte, bei seinem New Yorker Debüt geradezu triumphal von der Kritik und dem Publikum gefeiert. So etwas hatte die Metropolitan Opera zuvor noch nie gesehen. Der gefürchtete Kritiker der New York Times Clives Barnes fühlte den „heißen Atem eines historischen Ereignisses“. Der Jubel galt auch der Ballerina Marcia Haydée, Crankos Muse. Sie wurde ebenso wie er zum Weltstar.

Seine Höhen und Tiefen, seine ständigen Affären mit gutaussehenden jungen Männern gehören ebenso zu ihm wie seine Besessenheit und seine Leidenschaft für die Arbeit. Cranko war zeitlebens auf der Suche nach Vollendung, in der Kunst und in der Liebe. Immer wieder choreografierte er Beziehungen zwischen Menschen, oft endeten sie tragisch, bei Romeo und Julia mit dem Tod, bei Onegin mit der verzweifelnden Trennung der Liebenden. Er selbst hat die Schattenseiten des Lebens kennengelernt, die Apartheid in Südafrika, die Verfolgung wegen seiner Homosexualität, seine Einsamkeit, er war immer auf der Suche nach Liebe, einer Liebe, die er nie fand. Er trank, rauchte, lebte in Exzessen und brach immer wieder zusammen. Doch gerade in seinen dunklen Zeiten schuf er Meisterwerke. Zum Beispiel Opus 1, in dem er in elf Minuten ein Leben erzählt, von der Geburt bis in den Tod, ein Leben wie ein Fest und ein Aufschrei der Verzweiflung zugleich. Marcia Haydée sagte einmal, er regierte nicht mit Angst, sondern mit Liebe.

Die Rolle des John Cranko spielt Sam Riley, an seiner Seite tanzen und spielen die heutigen Weltstars des Stuttgarter Balletts ihre Vorbilder von damals: Elisa Badenes als die große Marcia Haydée, Friedemann Vogel als Heinz Claus, Rocio Aleman als Birgit Keil und Henrik Erikson als Egon Madsen. Direktor Schäfer, der Cranko förderte und zugleich an ihm verzweifelte, spielt Hanns Zischler.

Es war mein Ziel, mit JOHN CRANKO den ersten wirklichen Ballettfilm zu machen, einen Film, der dem Zuschauer diese Kunst in ihrer ganzen Tiefe und Emotionalität nah bringt, der uns mit einem der besten Choreographen auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle nimmt, ein Film, der tiefer in die Wirklichkeit blicken lässt, als es eine einfache Abbildung kann. In JOHN CRANKO steckt das ganze Herzblut und die Liebe meines Teams zu seiner Arbeit. Es ist ein Versuch, mit der Darstellung des Lebens und Werks dieses Genies die Seele des Tanzes zu erfassen. Der Film ist kein Biopic, sondern ein Film über Kunst und Wirklichkeit, es geht um die Menschen, um die Zeit, die ihnen bleibt und um das, was sie antreibt, es geht um die großen Themen des Menschseins, um die Sehnsucht nach Liebe, um das Leben und um das Sterben.

Foto:
©Verleih

Info:
Cranko (Deutschland 2024) 
Regie: Joachim A. Lang
Drehbuch: Joachim A. Lang
Darsteller: Sam Riley, Max Schimmelpfennig, Lucas Gregorowicz, Hanns Zischler u.a.
Sowie die Ballettstars Friedemann Vogel, Elisa Badenes, Jason Reilly und weitere Ensemblemitglieder des Stuttgarter Balletts