Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Laila Stieler, gönnen Sie sich Momente, in denen Sie bewusst nach verbindenden Linien der vielen Frauenfiguren suchen, die es bislang in Ihre Drehbücher geschafft haben?
Laila Stieler: Ich denke nicht aktiv darüber nach und ziehe Bilanz. Aber mir fallen schon einige Ähnlichkeiten zwischen meinen Frauenfiguren auf. Manchmal suche ich in mir selbst, weshalb mich ein bestimmtes Frauenbild immer wieder beschäftigt. Aber eigentlich will ich es gar nicht so genau wissen. Ich habe eher Angst davor, mich zu wiederholen. Ich schreibe, was ich schreiben muss und worauf ich Lust habe. Da muss ich wohl akzeptieren, dass sich dann in der Wahrnehmung von außen vielleicht Details in den Figuren wiederholen.
Es fällt auf, gerade auch in Ihren Arbeiten mit Andreas Dresen, dass Sie großen Wert darauf legen, sich Charakteren auf eigenen Wegen zu nähern und sie nicht unbedingt auf gängige Weise zu betrachten.
Laila Stieler: Oft faszinieren mich Aspekte an ihnen, die mir den Zugang erleichtern. Bei Hilde Coppi war es ein Interview mit Heinrich Scheel, einem Freund von früher, der überlebt hat. Er beschrieb Hilde als scheues Mädchen, das steile Abfahrten mit dem Schlitten fürchtete und auch nicht gern auf den Sozius von Hans‘ Motorrad stieg. Im Gefängnis wirkte sie dann ganz anders auf ihn, selbstbewusster, trotzig fast. Ich sah Fotos von ihr und habe mich sofort in diese Frau verliebt — beziehungsweise in die Vorstellung, dass ein fragiler, weiblicher, ja vielleicht auch ängstlicher Mensch eine Kraft besitzen kann, die niemand sieht, die erst durch ihre Mutterschaft sichtbar wird. Viel- leicht gefiel sie mir auch deshalb so, weil ihre Er- scheinung so gar nicht dem üblichen Bild einer Widerstandskämpferin entsprach.
Hilde entwickelte sich also aus Ihrer persönlichen Vorstellung und überlieferten Informationen. Sind Sie als Drehbuchautorin besonders vorsichtig, empathisch oder emotional, wenn es sich um eine Person dreht, die wirklich gelebt hat?
Laila Stieler: Das hängt ganz von der Person und ihrer Geschichte ab. Nehmen wir beispielsweise DIE POLIZISTIN, DIE FRISEUSE, GUNDERMANN oder RABIYE KURNAZ, da gab es reale Menschen, die ich getroffen, mit denen ich gesprochen habe. Oft habe ich schon zeitig meine eigene Vorstellung der Figur im Kopf, die ich schreiben möchte und die ich mit der Recherche anreichere und ergänze — wissend, dass ich ihre wahre Komplexität nie abbilden kann. Figuren sind immer verdichtet und zugespitzt. Vom Genre hängt dann ab, wie weit ich gehen kann. Wobei die Beziehungen zu den Menschen, den Vorbildern meiner Figuren, die sich während meiner Recherche entwickeln, natürlich auch in meine Arbeit einfließen.
Was haben Sie über Hilde Coppi erfahren?
Laila Stieler: So wahnsinnig viel Material gibt es gar nicht, einige Fotos und persönliche Briefe. In den Berichten anderer Frauen über ihre eigene Haftzeit findet sich hin und wieder auch ein Satz über Hilde. In Claudia von Gélieus’ Buch „Barnimstraße 10“ über das Berliner Frauengefängnis habe ich viel vom Alltag jener Zeit gefunden, in der Hilde dort inhaftiert war. Sie wird im achten Monat ihrer Schwangerschaft verhaftet und eingesperrt, bekommt im Gefängnis ihr Baby und stirbt acht Monate später. Das musste ich mir vorstellen, das war die Aufgabe.
Ich habe eine Frau gesehen, die sich im Angesicht des Todes mit ganzer Kraft ihrem Sohn widmet. Sie will diesem Kind alles an Liebe geben, was ihr möglich ist. Acht Monate müssen für ein ganzes Leben reichen. Diese Nähe von Leben und Tod hat mich gepackt. Recherche ist ja wie ein Steinbruch. Manchmal sitzt du tagelang in Archiven und liest und dann gehst du raus mit nur einem Satz. Aber dieser Satz ist es dann wert. Bei mir war es Hildes Antwort vor Gericht, als sie gefragt wird, weshalb sie ihren Mann nicht angezeigt habe: „Weil ich meinen Mann liebe!“
Was glauben Sie, woraus speiste sich Hilde Coppis Kraft? Aus Intuition?
Laila Stieler: Ja, und aus eben dieser Liebe. Ich habe durchaus über andere Frauen gelesen, die nicht damit zurechtkamen, im Gefängnis Mutter zu werden und zu sein. Die mit ihrem schreienden Kind in ihrer Zelle saßen, isoliert und von der eigenen Todesangst überwältigt. Das ist auch verständlich und nachvollziehbar. Aber Hilde hat es geschafft. Und das, obwohl man ihr nicht einmal zugetraut hat, überhaupt die Geburt zu überstehen.
Hilde Coppi hat mit ihrer Freundin Grete Jäger stapelweise Briefe an Angehörige von Frontsoldaten geschrieben, deren Adressen sie vom deutschen Programm Radio Moskaus abhörten. Sie besorgte Papier für Flugblätter, klebte in Berlin Zettel mit Losungen gegen Hitler. Es scheint, als hätten diese stillen Aktivitäten zuvorderst ihrem Wesen entsprochen. Würden Sie für Hilde den Begriff einer Heldin ablehnen oder nur neu definieren?
Laila Stieler: Ich finde, dass Held und Heldin schöne Worte sind. Ich würde sie nur gern weiter fassen. Ein Held steht ja gemeinhin auf dem So- ckel und ist unfehlbar, geht immer voran und traut sich Dinge zu, die andere nicht wagen. Für mich ist Hilde eine Heldin, weil sie leise ist, zaudert, Angst hat und sich trotzdem nicht in die Verhält- nisse fügt. Sie hat so eine große Portion Anstand, dass sie nicht anders kann.
Sie bekommt von Ihnen sehr schöne, auch überraschende Momente eigenen Mutes an die Seite. So sagt sie einmal sehr bestimmt zu Hans Coppi: „Traust du mir keine eigene Meinung zu?“ Wollten Sie Hilde schützen?
Laila Stieler: Wenn ich eine Figur schreibe, der es an Selbstbewusstsein mangelt, bewege ich mich auf einem schmalen Grat. Einerseits sollte sie nicht zu schnell zu dechiffrieren sein, andererseits darf sie nicht zu passiv werden. Ich habe Hilde szenisch in Situationen gebracht, die ihr Entscheidungen abverlangen. Sie hat immer die Möglichkeit abzulehnen. Entscheidet sie sich für etwas, agiert sie mit stiller Selbstverständlichkeit. Ich habe ihr aber hin und wieder Momente gegeben, in denen durchscheint, wie sie auch ist oder sein könnte. Meine Lesart von Hilde ist, dass vieles in ihr angelegt ist, ohne dass es sichtbar wird. Sie hat diese Potenziale schon in sich, nur noch nicht genutzt. Ich bin kein Fan von immensen Figurenentwicklungen, die es in der Realität nie gibt.
Welche Rolle spielt für Sie historische Genauigkeit in einer offenkundigen Liebes- und Lebensgeschichte wie dieser? Anders gefragt: Darf man für die Konsequenz seiner eigenen Erzählung historisch ungenau sein?
Laila Stieler: Ja und nein! Es ist ein Balanceakt. Es gibt bei historischen Stoffen immer Eckdaten, die einfach stimmen müssen. Anderes darf ich auslegen und muss es sogar. Manche Zeitzeugen erinnern sich beispielsweise daran, dass sich Verhaftete beim Transport umarmen durften oder dass Bewacher Leberwurstbrote verteilt haben. Wie gesagt, es sind Erinnerungen, die nicht unbedingt historisch genau sein müssen: Wer weiß, was sich alles über sie gelegt hat. Für mich zählt also, was mir in dieser oder jener Szene wichtig ist. Das Schreiben ist ja nur die eine Sache, was man dann beim Schauen empfindet, die andere. Dort verschiebt sich die Wichtigkeit historischer Genauigkeit, es geht mir selbst ja im Kino nicht anders. Im fiktionalen Film zählen emotionale Bindungen. Für präzise Informationen und das Vermitteln von geschichtlichem Wissen sind andere zuständig — sei es in Form einer Unterrichtsstunde, eines Museumsbesuchs, eines Dokumentarfilms oder eines Zeitungsartikels.
Hier ist IN LIEBE, EURE HILDE sehr konsequent. Das Wort „Rote Kapelle“ fällt kein einziges Mal, das Finden von geschichtlichen Zusammenhängen und biografischen Details wird der persönlichen Neugier des Kinopublikums überlassen.
Laila Stieler: Eigenes Nachspüren wäre toll.
Was, glauben Sie, ist vom Film thematisch fürs Heute relevant?
Laila Stieler: Zunächst der pazifistische Grundgedanke. Für mich zeigt der Film zwei zeitlose Aspekte: Anstand und Widerstand. Das Bei-sich-Bleiben, wenn die eigenen Anschauungen der öffentlichen Meinung nicht entsprechen. Es gibt aber auch diese intuitive Ebene, allein wenn ich mir vorstelle, wie unfassbar jung diese Menschen waren. Naiv und leichtsinnig aus heutiger Sicht, ja, aber das macht die Jugend ja aus. Gestern, heute, hoffentlich auch morgen. Sie hatten damals vielleicht andere Klamotten, andere Frisuren, aber sie benehmen sich wie wir heute auch. Ich halte historisierendes Erzählen generell nicht für realistisches historisches Erzählen. Hans Coppi junior hat mir ein Buch über die Künstlerin Oda Schottmüller geschenkt, die sich in der Haft mit Ina Lautenschläger angefreundet hat. Beide kannten sich bis dahin nicht, obwohl sie Mitglieder der „Roten Kapelle“ waren. Sie haben sich Briefe und Kassiber geschrieben, die sind so frech, so rotzig, so heutig. Unfassbar, dass diese Zeilen 1942/43 in einem Gefängnis geschrieben wurden. Da habe ich erst kapiert, dass das Selbstverständnis dieser Frauen ja noch aus der Weimarer Republik kommt, als sie von Aufbruch und Gleichberechtigung geträumt haben. Welcher Rückschritt muss die Zeit ab 1933 für sie gewesen sein!
Mit Pfarrer Harald Poelchau bekommt eine reale Figur noch etwas stärkere Kontur als andere. Warum?
Laila Stieler: Ich habe über ihn und von ihm gelesen. Er hat kurz nach dem Krieg einen schmalen Band Erinnerungen verfasst über die Hinrichtungen, die er als Gefängnispfarrer begleitet hat. Das war herzergreifend. Harald Poelchau war ja selbst im Widerstand, ein moderner Mensch mit modernen Auffassungen beispielsweise von Religion. Alles also, nur kein Faschist! Er hat zum Beispiel Juden bei der Flucht geholfen und auch für die Todeskandidaten im Gefängnis vieles möglich gemacht. Ich hätte gern noch mehr über ihn erzählt, übrigens auch über die Wärterin Anneliese Kühn, eine hochinteressante Frau.
Denken Sie beim Schreiben schon an Zumutbarkeiten, hier vor allem für die Darstellerin der Hauptrolle und letztlich auch das Kinopublikum?
Laila Stieler: Natürlich muss alles, was ich schreibe, spielbar sein. Aber Andreas ermutigt mich immer wieder, erst einmal ohne Rücksicht auf ihn oder irgendwen zu schreiben, sondern ausschließlich so, wie ich meine, dass es geschrieben werden muss. Ich trete beim Schreiben nur selten aus mir raus. Wenn ich dabei weinen muss, weine ich. Ich sehe den Film vor mir, nicht den Zuschauer und wie ich es ihm im Saal bekömmlicher machen kann. Mehr noch, bei IN LIEBE, EURE HILDE verbietet sich das sogar.
Dennoch ist der Film auch ein sehr sinnlicher. Sinnlichkeit meint Berührungen, Blicke, Körperlichkeit, eine behutsame Sprache, pure menschliche Momente in einem unmenschlichen System.
Laila Stieler: Das war eine Idee von Andreas, die sinnlichen Momente dieser Liebesgeschichte stärker zu betonen. Der bin ich gern gefolgt, weil ich Hilde so gesehen habe, dass sie viele ihrer Entscheidungen einfach aus Liebe heraus trifft. Nicht nur aus Liebe zu Hans oder zu ihrer Mutter, sondern aus der Liebe zu Menschen. Für sie ist es gelebter Alltag, wie ein Netz, das sie umgibt. Sie will nicht hassen.
Wie haben Sie Hans Coppi junior erlebt? Wie und womit konnte er Ihnen helfen?
Laila Stieler: Ich war sehr vorsichtig, denn Hans musste schon früh ein Heldenkind sein und die Verantwortung mit sich herumtragen, diese Eltern gehabt zu haben. Es hat sich durch sein Leben gezogen. Ich war aufgeregt bei der
ersten Begegnung mit ihm, er aber war von Anbeginn so freundlich, verschitzt auch. Ziemlich schnell hatten wir uns verständigt, dass dieser Film kein Heldenepos werden soll. Das war ihm wichtig. Ein Glück für mich! Wir haben uns oft getroffen, geredet, er hat mich mit Material versorgt, mir Zugang zum Archiv verschafft und nebenbei habe ich durch ihn Einblicke in die Arbeit eines Historikers bekommen. Anfangs ging es nur um Fakten, dann aber habe ich mehr und mehr seine Mutter in ihm gesehen und die Fakten verloren an Bedeutung. Ich habe darauf geschaut, wie er lächelt, sich bewegt, wie er im Leben steht. Ich mag Hans sehr.
Foto:
©Verleih
Info:
BESETZUNG
Hilde Coppi. Liv Lisa Fries
Hans Coppi. Johannes Hegemann
Anneliese Kühn. Lisa Wagner
Pfarrer Harald Poelchau. Alexander Scheer
Ina Ender-Lautenschläger. Emma Bading
Libertas Schulze-Boysen. Sina Martens
Grete Jäger. Lisa Hrdina
Liane Berkowitz Lena Urzendowsky
Albert Hössler. Hans-Christian Hegewald
Harro Schulze-Boysen. Nico Ehrenteit
Heinrich Scheel. Jacob Keller
Mutter Hilde. Tilla Kratochwil
Mutter Franz. Rachel Braunschweig
Mutter Hans. Heike Hanold-Lynch
Kommissar Henze Claudiu Mark Draghici
Kommissar Habecker. Thomas Lawinky
Hebamme. Fritzi Haberlandt
Arzt. Florian Lukas
STAB
Drehbuch. Laila Stieler
Regie. Andreas Dresen
Bildgestaltung Judith Kaufmann
Abdruck aus dem Presseheft